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19.02.2021

Wer prüft die Prüfer?

Warum die Aufsicht von Wirtschaftsprüfern einen Kulturwandel benötigt

Lukas Löhlein - 19. Februar 2021

Tipps für Praktiker

In Deutschland ist die Abschlussprüferaufsichtsstelle (APAS) beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle verantwortlich für die Kontrolle der Wirtschaftsprüfer. Formell erst in 2015 etabliert, muss die APAS jedoch vor dem Hintergrund eines fast zwei Jahrzehnte andauernden Entwicklungsprozesses betrachtet werden.

Das Aufsichtssystem als Ergebnis einer historischen Pfadabhängigkeit  

Historisch organisierte sich der Berufsstand der deutschen Wirtschaftsprüfer weitestgehend in Eigenverantwortung. Um die Jahrtausendwende setzten internationale Regulierungstendenzen und nationale Bilanzskandale den Berufsstand – und seine traditionelle Ablehnung von externen Qualitätskontrollen und berufsstandsunabhängigen Elementen – jedoch unter Legitimationsdruck. Der Berufsstand reagierte und etablierte, in enger Abstimmung mit dem Gesetzgeber, im Jahr 2000 einen formal unabhängigen „Qualitätskontrollbeirat“, welcher mit der Aufsicht von verbindlichen Qualitätskontrollen beauftragt wurde. Es sollte jedoch keine zwei Jahre dauern, bis die USA, erschüttert durch die Verstrickung der Prüfer in den Enron-Skandal, eine neue Regulierungsära einläuteten. Ausgestattet mit weitreichenden Überwachungs- und Durchsetzungsbefugnissen, setzte die eingerichtete amerikanische Aufsichtsbehörde (PCAOB) von nun an internationale Maßstäbe für die Kontrolle von Wirtschaftsprüfern. Um mit dieser Entwicklung Schritt zu halten, und die Akzeptanz des deutschen Aufsichtssystems zu gewährleisten, überführte der deutsche Gesetzgeber 2005 – wiederum in enger Abstimmung mit dem Berufsstand – den bestehenden Qualitätskontrollbeirat in die „Abschlussprüferaufsichtskommission“, kurz APAK.

Von Beginn an zeichnete sich die APAK durch eine enge personelle und organisatorische Verflechtung mit dem Berufsstand aus. So erinnert sich ein politischer Akteur:

„Als ich die Aufsichtsbehörde zum ersten Mal besuchte, erwartete ich eine mächtige US-ähnliche Behörde. Und dann fand ich mich in einem kleinen Büro im vierten Stock der Wirtschaftsprüferkammer wieder.“

Zunehmend kritisch vom amerikanischen PCAOB beäugt, waren die Folgejahre durch eine Reihe von kosmetischen Reformen geprägt, welche die formelle Unabhängigkeit des Aufsichtssystems vom Berufsstand bezeugen sollten. Das Ergebnis war ein Aufsichtssystem, das sich formell den Anforderungen internationaler Finanzmärke angepasst hatte, kulturell jedoch weiterhin durch starke Selbstregulierung geprägt wurde. Dies spiegelte sich auch in der personellen Besetzung wider: Es waren (und sind bis heute) ganz überwiegend Mitarbeiter ehemaliger Big4-Gesellschaften, welche die Leitungsfunktion der Aufsicht besetzen und die operative Durchführung von Inspektionen von Prüfungsgesellschaften durchführen.

Diese Regulierungskultur sollte sich auch mit der Einführung der APAS in 2016 nicht wesentlich ändern und die Aufsichtsbehörde blieb, wie es ein Beobachter beschrieb, „ein merkwürdiges Wesen“ – gefangen zwischen dem Anspruch eine starke Aufsicht nach internationalem Vorbild zu etablieren, ohne gleichzeitig die traditionelle Logik der berufsständischen Selbstverwaltung in Frage zu stellen. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass die Sanktionen der APAS bis heute ganz überwiegend aus Rügen und kleineren Geldbußen bestehen; von einer disziplinierenden Wirkung für den Berufstand kann dabei nicht ausgegangen werden.

Was können wir aus dieser Geschichte lernen? Erstens, historisch hat die Wirtschaftsprüfung maßgeblich die Gesetzgebung hin zur unabhängigen Aufsicht geprägt. Dies ist per se noch nichts Verwerfliches, wenn es jedoch um die Ausgestaltung der Aufsicht über die eigene Berufsgruppe geht, stellt sich die Frage, wie viel Kontrolle von einer Aufsicht ausgeht, die von Beginn an von einer personellen, strukturellen sowie kulturellen Verflechtung mit dem Berufsstand geprägt wurde. Zweitens, trotz unzähliger Reformen bleibt die Aufsicht in ihrer historischen Pfadabhängigkeit verfangen, welche Reformen und Versprechungen zu Symbolpolitik verkommen lassen und echten Kulturwandel verhindern. 

Wirecard als Möglichkeit zum Wandel?

Pfadbrüche werden in der Regel durch exogene Schocks ausgelöst. Der spektakuläre Zusammenbruch der Wirecard AG bietet daher eine (neue) Chance das deutsche Aufsichtssystem auf internationales Niveau zu heben. Was muss sich dafür ändern? Deutschland braucht einen Kulturwandel in der Aufsicht von Wirtschaftsprüfern. Konkret darf das Aufsichtssystem nicht länger den Eindruck erwecken, Wirtschaftsprüfer vor einer kritischen Öffentlichkeit zu schützen. Stattdessen muss gewährleistet werden, dass die Aufsicht eine kritische Haltung gegenüber Wirtschaftsprüfern einnimmt. Dafür muss insbesondere die Durchsetzungsfähigkeit und Transparenz der Aufsicht verstärkt werden. Ein Beispiel: Trotz der hohen Anzahl an Mängeln veröffentlicht die aktuelle Aufsicht keine Informationen darüber, bei welchen Wirtschaftsprüfern Mängel festgestellt wurden. Anders als in Großbritannien. Dort war zuletzt ein Viertel der überprüften Abschlussprüfungen der 350 größten börsennotierten Firmen mangelhaft. Studien zeigen deutlich, dass eine erhöhte Transparenz die Fehlerquote in Prüfungsgesellschaften senkt und dadurch die Qualität der Jahresabschlüsse steigt. Inspektionsergebnisse und Sanktionen gegen Abschlussprüfer sollten daher nicht wie gegenwärtig anonymisiert, sondern namentlich kommuniziert werden. Es ist diese Transparenz, die sowohl die Aufsichtsbehörde als auch die Wirtschaftsprüfer diszipliniert. Ein kultureller Wandel erfordert nicht zuletzt eine ausgewogene Besetzung der Aufsichtsbehörde: Qualifizierte Wirtschaftsprüfer sind nicht ausschließlich bei den Big4-Gesellschaften zu finden.

Die Bilanzfälschungen der Wirecard AG haben die Schwächen der Aufsicht über die Wirtschaftsprüfer offengelegt. Genau deshalb bieten diese jedoch die Chance für eine grundlegende Reform des Aufsichtssystems. Nur mit einem grundlegenden regulatorischen Kulturwandel kann das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Rolle der Wirtschaftsprüfer als TÜV des Kapitelmarktes zurückgewonnen werden.

Tipps für Praktiker

  • Für die Glaubwürdigkeit von Systemen ist Transparenz und Stringenz entscheidend. Achten Sie darauf bei der Etablierung und Weiterentwicklung von Aufsichts- und Kontrollsystemen.
  • Die DNA von Systemen kann den Handlungsspielraum für Veränderung und Anpassung eingrenzen. Achten Sie auf die Pfadabhängikeit(en) Ihrer Organisation.
  • Berücksichtigen Sie die Kompatibilität unterschiedlicher Systemziele. Eine klare Priorisierung der Zielte ist entscheidend für die Stabilität und Wirksamkeit von Systemen. 

Literaturverweis und Methodik

Co-Autor der Studie

Juniorprof. Dr. Lukas Löhlein

Lukas Löhlein ist Juniorprofessor am Institut für Management und Controlling (IMC) an der WHU – Otto Beisheim School of Management. In seiner Forschung nimmt Lukas Löhlein eine interdisziplinäre, soziologische Perspektive auf Fragen der Rechnungslegung und des Controllings ein.

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