Es ist nicht allzu lang her, dass wir ausschließlich vom Sofa zuschauen durften, wie die größten Sportler der Welt in leeren Stadien gegeneinander antreten mussten. Plötzlich war es uns nicht mehr möglich am Samstag einfach mit der Bahn ins Stadion zu fahren. Auch das Miteinander auf den Tribünen oder in der Eckkneipe ging verloren – und damit oftmals auch die Emotionen.
Damals, wie heute, sind es vor allem, aber nicht nur, technologischen Veränderungen, die die sogenannte „neue Normalität“ geprägt haben. Mit Blick auf die nahe Zukunft stellen sich deshalb eine ganze Reihe grundlegender Fragen:
Wie beeinflussen Veränderungen im Zuschauerverhalten, gleichermaßen von technologischem Fortschritt und gesellschaftlichen Wandel angetrieben, die Medien- und Unterhaltungsindustrie? Wie müssen erstklassige Sportmedienprodukte angepasst werden, um den Bedürfnissen der nächsten Generation gerecht zu werden, ohne dabei bestehende Fans zu verlieren? Werden wir in Zukunft weiterhin Live-Sport konsumieren und uns in einem Stadion treffen, oder werden wir uns mit Freunden in einem Metaversum treffen, zu dem wir uns von zu Hause aus über Virtual-Reality-Headsets einwählen? Werden wir weiterhin ein relativ standardisiertes Fernsehprodukt sehen, oder werden wir es selbst anpassen können, indem wir (Kamera-)Perspektiven und den Kommentar auswählen? Wird hierbei eine künstliche Intelligenz automatisiert Vorschläge machen, da sie unsere Bedürfnisse und Vorlieben kennt? Und welche Auswirkungen haben diese Veränderungen auf die Produktion eines Sportereignisses?
Zwei Delphi-Studien, 25 Projektionen und 99 Experten
Um diese Fragen zu beantworten, haben wir 99 Expert:innen gebeten, sich die nahe Zukunft des Sportmedienprodukts und dessen Produktion im Jahr 2030 vorzustellen. Unter Anwendung des bewährten Delphi-Ansatzes bewertete eine Expertengruppe 14 Projektionen zur Zukunft des Produkts Spitzensport, während eine zweite Expertengruppe 11 Projektionen zur zukünftigen Produktion von Spitzensport bewertete. Um eine möglichst ganzheitliche Perspektive sicherzustellen, haben wir ein interdisziplinäres Expert:innengremium zusammengestellt, dem Vertreter:innen von Sendern und (Sport-)Produzenten, Sportverbänden, -vereinen und -ligen, Medienunternehmen, Sportberatungsagenturen, Technologieunternehmen sowie Universitäten angehörten. Zwischen Februar und April 2022 bewertete jede der 99 Expert:innen dann die erwartete Wahrscheinlichkeit einer Projektion, die Wünschbarkeit ihres Eintretens und die potenziellen Auswirkungen im Falle ihres Eintretens.
Das Medienprodukt Spitzensport wird immersiver und zunehmend personalisiert sein
Gemäß der ersten Delphi-Studie gehen die Expert:innen davon aus, dass das zukünftige Publikum eher aktiv am Sportmedienprodukt teilhaben möchte, statt dieses lediglich passiv zu konsumieren. Hierbei sind vor allem die Integration von immersiven Features und die Nähe zum Spielgeschehen von großer Bedeutung. In Zukunft könnten die Zuschauer:innen ihre Feeds zunehmend erweitern, indem sie digitale Einblendungen hinzufügen und ihre bevorzugten Kameraperspektiven oder Kommentar wählen. Hierdurch können sie die Perspektive eines Sportlers, einer Trainerin oder Schiedsrichterin einnehmen und dabei zum Beispiel einem lokalen, eher vereinstreuen Kommentator zuhören. Interessanterweise wird diese zunehmende Personalisierung nicht am Spielfeldrand haltmachen. Ganz im Gegenteil, denn unsere Expert:innen gehen davon aus, dass Zuschauer:innen Werbung nicht (mehr) als störend empfinden werden, solange sie auf ihre Interessen und Bedürfnisse zugeschnitten ist.
Unsere Produktexpert:innen prognostizieren auch, dass Zuschauer:innen, insbesondere die jüngere Generation, ein immersives Spitzensportprodukt bevorzugen werden, das zusätzlich unter anderem auch durch TV-Serien ergänzt wird. Die meisten Zuschauer:innen werden ein solches Produkt jedoch nicht in einer streng virtuellen Umgebung erleben - zumindest noch nicht in 2030. Diese Einschätzung deckt sich weitgehend mit der Ungewissheit darüber, ob die meisten Zuschauer:innen zukünftig digitale Sportsammlerstücke besitzen werden – und dies, trotz des anhaltenden Hypes um Non-Fungible Tokens (NFTs). Im Gegensatz dazu gehen unsere Expert:innen von einer Zunahme des mobilen Konsums aus und damit auch von einer größeren Nachfrage nach 9:16-Formaten (z. B. vertikale Clips, Hintertorkameras, PoV).
Auch mit Blick auf die Produktion von Sportinhalten, erwarten unsere Expert:innen die Tendenz zur Immersion. So gehen sie davon aus, dass die Produktion von Spitzensportinhalten personalisierte virtuelle Werbung und auch die Integration spezifischer Anforderungen des Publikums ermöglichen wird – zum Beispiel um das Engagement des jüngeren Publikums zu erhöhen. Aufgrund der Bedeutung der „Mobile only“-Generation wird sich auch der Fokus der Produzent:innen mehr in Richtung des mobilen Konsums verschieben.
Künstliche Intelligenz wird wahrscheinlich eine wesentliche Rolle bei der Unterstützung von Zuschauer:innen und Produzent:innen gleichermaßen spielen
In Zukunft werden Konsument:innen von Sportinhalten vor der Herausforderung stehen, das Meiste aus ihrem Erlebnis herauszuholen. Folgerichtig betonen unsere Expert:innen daher die Bedeutung von Algorithmen zur Unterstützung des Publikums. Zuschauer:innen werden wahrscheinlich Sportinhalte mit ständig sichtbaren Live-Daten schauen können, die ihnen weitere Informationen zum Spielgeschehen liefern werden. Hierbei könnten ihnen auswählbare Einblendungen und ein Algorithmus helfen – zum Beispiel, um die besten Momente auszuwählen oder Highlights nach ihren Präferenzen zusammenzustellen.
Unsere Expert:innen gehen auch davon aus, dass künstliche Intelligenz die Produktion von Inhalten unterstützen wird, vor allem durch die automatische Steuerung von Kameras oder die effizientere Planung der Logistik. Dies könnte sogar zu vollautomatisierten Sportproduktionen führen, womöglich aber erst nach 2030. Vor diesem Hintergrund glauben unsere Produktionsexpert:innen, dass die Produktion von Spitzensportinhalten möglicherweise vollständig IP-basiert und ferngesteuert sein wird, das heißt, völlig ortsunabhängig. Dadurch wird die Produktion bis 2030 deutlich weniger Kohlenstoffdioxid ausstoßen.
Expert:innen betonen mögliche Unterschiede zwischen Fangruppen, Sportarten und den darin enthaltenen Wettbewerben
Wir haben eine breite Palette internationaler Expert:innen mit umfangreichem Wissen im Sportbusiness, wie beispielsweise American Football, Basketball und Radsport, sowie auch Fußballligen außerhalb der Bundesliga eingeladen, um die Zukunft des Spitzensports zu untersuchen. Es ist dementsprechend nicht überraschend, dass unsere Produkt- und Produktionsexpert:innen auf geografische und generationsbedingte Unterschiede hingewiesen und argumentiert haben, dass sowohl ausländische als auch jüngere Zuschauer offener für die digitale Interaktion mit dem Sportprodukt und für die Interaktion zwischen verschiedenen Sportarten sein könnten. Während fast alle eine stärkere Personalisierung des Sportprodukts prognostizieren, unabhängig von der Sportart, sind sich unsere Expert:innen hingegen einig, dass die Personalisierung in Sportarten wie der Formel 1 oder dem Golfsport natürlicher ist, da die Zuschauer:innen hier nicht alle Athlet:innen gleichzeitig verfolgen können – anders also als im Fußball oder Tennis. Darüber hinaus gibt es auch Sportarten wie beispielsweise den Golfsport, bei dem sich eine vertikale Ausrichtung und dementsprechend ein 9:16-Format eher anbieten. Und das, obwohl es sicher spannend klingt, ein Spiel aus Perspektive von Jude Bellingham, Jamal Musiala oder Christopher Nkunku zu verfolgen, während man Gesprächen mit dem Schiedsrichter, dem Trainer und den Mannschaftskameraden lauscht.
*Bei diesem Text handelt es sich überwiegend um die übersetzte Zusammenfassung unseres Reports.
Tipps für Praktiker
- Stellen Sie Ihr Publikum in den Mittelpunkt des Produktdesigns: Kommen Sie dem Wunsch der Konsument:innen nach personalisierten Spitzensportinhalten nach und bieten Sie leicht adaptierbare Produkte an, die neue, immersive Optionen wie zum Beispiel die Auswahl verschiedener Kameraperspektiven und Kommentatoren beinhalten.
- Nutzen Sie KI zu Ihrem Vorteil: Durch den Einsatz von KI sollten Inhalte zukünftig autonomer, effizienter und umweltfreundlicher produziert werden können, und Zuschauern gleichzeitig das gewünschte, zunehmend personalisierte Erlebnis bieten. Beschäftigen Sie sich deshalb bereits heute mit der Beantwortung der Frage, welche Fähigkeiten und Talente in Ihrer Organisation zukünftig benötigt werden, um KI und deren Anwendung möglichst effektiv managen zu können.
- Experimentieren Sie kontinuierlich mit neuen Technologien: Es wird zunehmend wichtig werden, neue Technologien (wie z.B. Virtual Reality) zu testen und schrittweise in Ihr Kernprodukt zu integrieren, auch wenn sie noch auf ihren Durchbruch im Massenmarkt warten. So lassen sich Kundenbedürfnisse frühzeitig antizipieren und unmittelbar erfüllen, sobald sie im Markt spürbar werden.
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