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Fünf Fragen an meevo Healthcare

Hamburger Start-up denkt Sanitätshäuser und Hilfsmittel völlig neu

Der Ruf der Sanitätshaus-Branche gilt bislang nicht gerade als sexy und modern. Das finden auch die drei Gründer und Digital-Health-Pioniere Arlett Chlupka, Simon Maass und Florian Birner. Letztere sind beide Alumni des WHU-MBA-Programms. Sie möchten mit ihrem Unternehmen meevo Healthcare aus Hamburg die Zunft um Kompressionen, Bandagen und Einlagen umkrempeln – und das vor allem mit einem völlig neuen digitalen Angebot. Denn daran mangelt es bislang vollständig. Während mehr als 70 Prozent der Deutschen unter Fußfehlstellungen, Beinlängendifferenzen oder den Folgen von Haltungsproblemen leiden, geht kaum jemand zwecks Prävention den Weg ins Sanitätshaus. Das neue Angebot von meevo Healthcare soll auch für junge Menschen und Sportler interessant sein, um gesundheitliche Probleme gar nicht erst entstehen zu lassen. Namhafte Investoren goutierten die Idee bereits und investierten mehr als drei Millionen Euro in das 2018 gegründete Unternehmen.

1. Mit meevo Healthcare nehmt ihr gerade einen bis dato völlig abgeschotteten Milliardenmarkt ins Visier. Was genau möchte eure Firma denn revolutionieren, und wie schwer war es, in diesem quasi geschlossenen System wortwörtlich Fuß zu fassen?

Simon Maass: Was wir mit meevo und mit craftsoles anstreben ist ein zeitgemäßer Zugang zu Hilfsmitteln. So wie man es bereits aus nahezu allen anderen Bereichen des alltäglichen Lebens kennt, ist es auch für die Gesundheitsbranche an der Zeit, digitaler und damit auch zugänglicher zu werden.

Florian Birner: Wir wollen moderne Versorgungswege bei alten Versorgungsstrukturen etablieren. Dafür müssen wir in erster Linie alte Strukturen aufbrechen, um uns in diesem sehr regulierten Markt durchsetzen zu können. Unser Ansatz ist neu, deshalb mussten wir einige Hürden überwinden, um uns im bestehenden Markt zu beweisen.

SM: Unser Ziel ist es, frischen Wind in die Branche zu bringen. Das ist in einem so komplexen System nicht ganz einfach. Wir haben uns zuerst tiefgreifendes inhaltliches Know-how angeeignet und bestehende Regularien kennen und verstehen gelernt. In den vergangenen drei Jahren gab es viel Gegenwind, weil unser Ansatz in dieser eingefahrenen Umgebung erstmal Aufsehen erregt hat. Worin wir unseren großen Vorteil sehen, ist allerdings eben genau dieser neue, kundenorientierte Ansatz, welcher sich von den bisherigen Strukturen abhebt.

2. Wieso war in diesem Markt in der Vergangenheit so wenig Bewegung und Innovation zu finden, und was macht ihr mit Hilfe der Digitalisierung anders?

FB: Der Markt in sich ist sehr gut eingespielt. Kundinnen und Kunden durchlaufen die typische Customer Journey und kommen über den behandelnden Arzt zum Partner-Sanitätshaus. Das, was erst mal funktioniert, muss für jemanden, der Teil dieses etablierten Systems ist, nicht zwingend geändert werden. Dazu kommt, dass der Zugang für Branchenfremde aufgrund der geringen Produktattraktivität nicht sonderlich groß ist. Die Hemmschwelle, an so festen Regularien zu rütteln, ist dementsprechend hoch.

SM: Neben solchen Eintrittsbarrieren spielt auch die vorhandene Intransparenz eine große Rolle. Es gibt beispielsweise kaum Vergleichsportale auf denen Kund:innen Feedback geben können. In der Regel ist es für sie nicht ersichtlich, wie die Preisgestaltung im Freiverkauf eines Sanitätshauses zustande kommt. Das ein System so “hinter geschlossenen Türen” agiert, ist tödlich für Innovationen und auch ein Grund für das Stagnieren der Branche, weil man sich nicht mehr mit Kund:innen und ihren Bedürfnissen beschäftigt. Man könnte sagen, dass bestehende Sanitätshäuser nicht wissen, dass Änderungen notwendig sind, weil sie es gar nicht erst hören wollen.

Arlett Chlupka: Wir stellen Kund:innen in den Mittelpunkt und wollen wieder mehr zuhören, als das bisher in der Branche üblich ist. Wir setzen uns keine Grenzen in der Denkweise wie “Was sind die Grenzen und was kann man machen?”, sondern wir fragen uns: "Was wäre das Geilste für die Kundinnen und Kunden?" Wir denken die Customer Journey neu und versuchen alle Hebel in Bewegung zu setzen, diese nachhaltig im Gesundheitswesen zu etablieren.

SM: Die Digitalisierung hilft uns dabei als “Mittel zum Zweck”, innerhalb bestehender Maßstäbe verschiedene Themen im Sinne des Kunden langfristig zu verbessern.

3. Können Hilfsmittel wie Einlagen oder Stützstrümpfe wirklich jemals hip werden, oder kann man „Hilfsmittel“ auch viel moderner interpretieren?

FB: Natürlich. Einlagen sind schon hip. Wir haben bereits eine Einlage auf den Markt gebracht, die modern ist – weg von dicken, unbeweglichen Kork-Leder-Einlagen hin zu flexiblen, dynamischen Carbon-Einlagen. Wir bieten unseren Kundinnen und Kunden außerdem die Möglichkeit, ihre Einlagen individuell durch verschiedene Bezüge, wie Hygiene-Silberbezüge, anzupassen.

SM: Die Frage ist vielmehr, ob nicht bereits die Wirkung der Einlagen hip genug ist. Schließlich tut man etwas für seine Gesundheit. Dass Gesundheitsprodukte selbst auch moderner interpretiert werden können, zeigen wir bereits mit craftsoles, und man sieht das auch an zahlreichen anderen Produkten, wie beispielsweise Kompressions-Laufsocken.

AC: Einer der größten Trends der aktuellen Zeit ist “Healthstyle”. Viel mehr Menschen beschäftigen sich auch in jungen Jahren bereits mit ihrer eigenen Gesundheit und richten ihr Leben danach aus. Die Kombination eines attraktiven Lifestyle-Produktes und seiner gesundheitlichen Relevanz ist für uns der Schlüssel zum Erfolg.

4. Ihr habt nun auch mit craftsoles ein neuartiges Produkt auf den Markt gebracht. Was leistet es, und wie konntet ihr nun die erste Krankenkasse davon überzeugen, dass dieser Weg die Zukunft weist?

AC: Craftsoles steht für Gesundheit, Lifestyle und Prävention und das alles einfach zugänglich, schnell und bequem. Die Prozessverbesserung ist überwältigend, da wir bei craftsoles den Zeitaufwand von bis zu drei bis vier Wochen auf eine Woche reduzieren. Der Kunde wird erstmals direkt in den Versorgungsprozess mit einbezogen, was das Produkt für ihn sehr viel attraktiver macht. Wir haben es also mit craftsoles geschafft, eine Versorgung für Kundinnen und Kunden zu sichern, die qualitativ gleich, wenn nicht sogar besser als die bisherige stationäre Versorgung ist.

FB: Wir konnten der BARMER einen neuen, kundenorientierten Prozess vorstellen, der hohe Attraktivität im Zugang zu jungen Versicherten bietet und es somit für Krankenkassen nahezu unumgänglich macht, diesen Zugang für ihre Versicherten zu schaffen. Nichtsdestotrotz waren langwierige Verhandlungen, Erprobungen und Prozessoptimierungen notwendig für diesen Erfolg.

5. Was sind eure Ziele für meevo Healthcare und euer Produkt craftsoles in den kommenden Jahren, und welches Bewusstsein für Prävention würdet ihr euch in Zukunft in Deutschland wünschen?

AC: Wir wollen die Branche zeitgemäß nach vorne entwickeln sowie eine Bewusstseinsveränderung unterstützen. Einlagen sind nicht nur akut ein medizinisch hilfreicher Ansatz, sondern auch weit vor dem Auftreten erster Symptome nützlich. Wenn wir es mit unserer Arbeit schaffen, den Zugang zu orthopädischen Einlagen zu verbessern, können wir auch nachhaltig zeigen, dass Prävention nicht mit langwierigen, aufwendigen Prozessen verbunden sein muss. Diesen Ansatz wünschen wir uns auch in der gesamten Healthcare-Branche.

SM: Der Hilfsmittelmarkt ist bei Weitem noch nicht ausgeschöpft und bisher leider noch sehr unterschätzt, obwohl das Potential da ist. Das Bewusstsein muss definitiv noch entwickelt werden, und genau da sehen wir auch unseren „Lehr-Auftrag“: über präventive Wirkungen aufzuklären. Medizinische Hilfsmittel müssen nicht nur in dem Sinne funktionieren, dass sie den Nutzerinnen und Nutzern eine hundertprozentige Wiederherstellung der körperlichen Fähigkeiten sichern, sondern darüber hinaus funktionieren und 110 Prozent des verfügbaren Potentials ausschöpfen können. Ein greifbares Beispiel sind Exoskelette – so denken wir Hilfsmittel. Deshalb wollen wir mit meevo der größte Hilfsmittelversorger Deutschlands werden.

FB: Um in Zahlen zu sprechen, wollen wir, nachdem wir den regulierten Markt aufgebrochen haben, in den nächsten drei Jahren 100 Millionen Euro Umsatz pro Jahr generieren.