Lutz Kaufmann, Professor für Internationales Management und Beschaffung, ist der WHU seit 2001 treu und wurde von 2015 bis 2019 jedes Jahr als „Beste Lehrkraft“ ausgezeichnet. Wir möchten von Professor Kaufmann mehr über seinen Forschungsschwerpunkt, seinen Ansatz bei der Lehrtätigkeit im MBA-Programm und die Fähigkeiten erfahren, die zukünftige Führungskräfte benötigen.
Wieso halten Sie es für wichtig, dass Lehrkräfte selbst aktiv forschen?
Ohne Forschung (und praxiserprobte Fakten) ist man nur ein Mensch mit einer bestimmten Meinung. Wenn man ohne eigene Forschungsarbeit in einem MBA-Programm unterrichtet, setzt man seinen Gästen quasi kalten Kaffee vor, der in der Mikrowelle aufgewärmt wurde. Das mag zwar nicht für alle Fachbereiche gelten, aber für mein Tätigkeitsfeld ganz sicher.
Deshalb bemühe ich mich stets darum, dass die Ergebnisse meiner Forschung das Kernstück meiner Lehre bilden, und verwende im Unterricht ausschließlich eigene Fallbeispiele.
Wie fördern Ihre Lehrveranstaltungen im MBA-Programm die Entwicklung Ihrer Studierenden und wieso sind diese Themen für effektive Führungskräfte wichtig?
In meinem Kurs zur Verhandlungsführung geht es um soziale Entscheidungsfindung. So treffen wir tagtäglich Entscheidungen - in der Praxis wird in der Geschäftsführung und in Unternehmen den ganzen Tag über verhandelt. Diese Schlüsselkompetenz aller Führungskräfte beschränkt sich längst nicht nur darauf, am Tisch zu sitzen und die Gegenseite durch geschickte Manöver zu einem Kompromiss zu bewegen, sondern ist weitaus facettenreicher.
Mit strategischer Beschaffung wiederum ist der Einkauf im B2B-Kontext gemeint. Auch ich selbst konnte mich nicht für das Thema Einkauf begeistern, als ich vor 30 Jahren ein MBA-Studium absolvierte. Allerdings entfallen in einem durchschnittlichen Unternehmen über 50 Prozent der Kosten auf die Beschaffung, und in manchen Fällen ist der Prozentsatz noch deutlich höher. Viele Unternehmen, auch Start-ups, gestalten ihr Lieferantensystem weitestgehend selbst. Bevorzugter Zugang zu derartigen Ressourcen ist ein Wettbewerbsvorteil, der sich nur schwer nachbilden lässt.
Mit welchen Forschungsthemen/-projekten sind Sie aktuell beschäftigt?
Zunächst untersuche ich gerade, welche Rolle gezielte Täuschung in geschäftlichen Verhandlungen spielt. Wir haben herausgefunden, dass nicht alle Täuschungsarten gleich sind; in geschäftlichen Verhandlungen hat ein Bluff ganz andere Folgen als Lügen. Stellen Sie sich nur einmal vor, wie Sie sich fühlen, wenn Sie auf einen Bluff oder eine Lüge hereingefallen sind – wem würden Sie die Schuld geben? Würden Sie noch einmal mit der anderen Seite verhandeln wollen? Ist Bluffen für Sie eine Kompetenz oder sehen Sie das als Lügen? In meinem Kurs bieten wir Rollenspiele zu diesen Themen und erörtern die Konsequenzen gemeinsam sehr ausführlich.
Zweitens forsche ich zum effektiven Einsatz von Geschichten in geschäftlichen Verhandlungen. Welche Wirkung sie in anderem Kontext haben, wie die Pitches in „Die Höhle des Löwen“ und dergleichen, ist allen präsent, wird aber nur selten erforscht.
Drittens haben wir einen Rahmen geschaffen, der die unabsichtlichen Konsequenzen von Nachhaltigkeitsinitiativen deutlich machen soll. So konzentrieren sich in letzter Zeit viele Firmen darauf, Plastik in ihren Lieferketten zu reduzieren, da Interessensgruppen auf verschiedensten Ebenen Druck ausüben. Dieser Druck gründet sich in erster Linie darauf, dass die Geschäftsführung negativ auf Bilder von ‚Plastikinseln‘ im Meer und von Plastik geschädigte Meeresbewohner reagiert. Eine gezielte Initiative zur Reduzierung von Plastik in der Lieferkette hätte damit eine relativ kurzfristig ausgerichtete Konsequenz, ist relativ gut messbar und für die wichtigsten Interessensgruppen deutlich sichtbar.
Eine unabsichtliche Konsequenz einer derartigen Initiative könnten höhere Kohlendioxidemissionen sein (da Kunststoffmaterial durch schwerere Verpackungsalternativen ersetzt wird), die sich in einem längerfristigen Zeitrahmen zeigen, schwieriger zu bemessen sind und vielen Interessensgruppen weniger deutlich auffallen. Diese Interessensgruppen können sich eine Tonne Kohlendioxid weniger gut vorstellen als einen in Plastik verfangenen Meeresbewohner.
Was war bislang ein besonderes Highlight Ihrer Karriere an der WHU?
In den letzten zehn Jahren haben meine Promotionsstudierenden zahlreiche nationale und internationale Forschungspreise gewonnen. Seit 2008 wurden vier von ihnen mit dem renommierten Emerald/EFMD Outstanding Doctoral Research Award ausgezeichnet, zwei allein im Jahr 2009, sodass die WHU die einzige Lehreinrichtung ist, die diese Auszeichnung im gleichen Jahr in zwei Kategorien gewinnen konnte. 2016 und 2019 sicherten sich zwei meiner Promotionsstudierenden weltweit sämtliche der prestigeträchtigsten Auszeichnungen für Dissertationen in SCM. Das war das erste (und zweite) Mal, dass alle vier Auszeichnungen an Forschende von der gleichen Einrichtung gingen, die dem gleichen Forschungsteam angehörten.
Zudem war ich akademischer Leiter eines gemeinsamen Executive-Programms von WHU und Oxford für ein deutsches DAX-Unternehmen, das 2010 mit dem EFMD Excellence in Practice Award für das beste individuell zugeschnittene Executive-Programm in Europa ausgezeichnet wurde. Das war die erste Auszeichnung dieser Art für eine deutsche Hochschule, und infolgedessen war ich von 2010 bis 2014 neben meiner Tätigkeit an der WHU auch Associate Fellow der Saïd Business School an der Universität Oxford im Vereinigten Königreich.
Was würden Sie potentiellen Studierenden gerne über das MBA-Programm sagen?
Ein MBA-Studium ist mit der Leitung eines Unternehmens zu vergleichen. Erfolg hat man nur als Team, nicht als Einzelkämpfer. Ein solches Programm ist eine einzigartige Gelegenheit, neue Karrierewege zu entdecken, deshalb sollte man unbedingt stets aufgeschlossen bleiben. Wenn Sie sich zum Beispiel ganz sicher sind, dass für Sie nur für Finanzen und nichts sonst in Frage kommen, würde ich von einem so breit gefächerten Abschluss abraten. Ein MBA an der WHU vermittelt kein spezialisiertes Fachwissen, sondern umfassenden Einblick in unterschiedliche Rollen, die eine kompetente Führungskraft benötigt.
Welche Kompetenzen sind Ihrer Ansicht nach für künftige MBA-Studierende besonders wichtig?
Die Fähigkeit, Ungewissheit zu ertragen. Interessanterweise war das bereits wichtig, als ich vor 30 Jahren mein MBA-Studium in den USA absolvierte - das beweist, dass diese Kompetenz nichts von ihrer Relevanz verloren hat.