Sie sind ein erfahrener Gründer. Gibt es Entscheidungen, die Sie bei Ihrer ersten Gründung getroffen haben, über die Sie rückblickend den Kopf schütteln?
Es heißt ja so schön, dass man hinterher immer schlauer ist - und das gilt beim Gründen und beim Aufbau von Unternehmen wohl in besonderem Maße.
Insofern gibt es ganz sicher Dinge, die ich - hätte ich sie in derselben Situation mit der heutigen Erfahrung nochmals zu entscheiden - anders machen würde. Insbesondere würde ich viel früher und konsequenter darüber nachdenken, wo die wirklichen Kundenprobleme liegen und wo große Märkte sind.
Zugleich ist es aber auch die Erfahrung im positiven Sinn, die mir heute - das hoffe ich zumindest - die Möglichkeit gibt, schneller und ohne unnötige Umwege die richtigen Entscheidungen zu treffen, die richtigen Talente ins Team zu holen, Investoren richtig auszusuchen und die richtigen Dinge im Unternehmen zu priorisieren.
Wie hat sich die Start-up-Szene in den letzten Jahren verändert? Gibt es überhaupt noch Nischen für neue Ideen?
Ich denke es gibt immer Möglichkeiten, durch unternehmerisches Schaffen Verbesserungen zu erreichen. Chancen dazu gibt es laufend und in allen Bereichen unseres Lebens und unserer Gesellschaft.
Viele dieser Chancen entstehen heute aufgrund des technischen Fortschritts, der deswegen für Unternehmer so interessant ist, weil er schlagartig die Grenzen des Möglichen verschiebt. Das heißt in der Sprache der Startup-Welt dann so schön “Disruption”.
Lange Zeit war das Internet per se eine solche Technologie, die sehr erfolgreiche Startups hervorgebracht hat, etwa die großen E-Commerce Player. Später dann das Smartphone. Heute sind es ähnlich transformative Technologien, z. B. die sog. Künstliche Intelligenz, durch die Autos allein fahren und komplexe Entscheidungen von Computern getroffen werden können. Auch die fallenden Kosten für Sensoren aller Art eröffnen völlig neue Geschäftsbereiche.
Das Interessante daran ist, dass es dabei gar nicht um Nischen geht, sondern eher Chancen entstehen, etablierte Dinge komplett anders zu machen und damit neue Geschäftsmodelle zu finden.
Ich würde also glatt sagen, dass es noch nie attraktiver war, eine Unternehmensgründung anzugehen, als es das heute ist. Der beste Moment für einen Start ist wohl immer jetzt.
Sie haben sich mit Ihrem Startup Ciara in München angesiedelt. Ist Berlin nicht mehr der Place to be?
Der Grund, dass wir mit Ciara in München sitzen hat zunächst einmal damit zu tun, dass mein Mitgründer und ich hier beide zuhause sind. Das ist also eine viel weniger strategische Entscheidung gewesen, als man das vielleicht erwarten würde (lacht).
Ich habe die Münchner Startup Szene jedoch über inzwischen 15 Jahre hinweg sehr gut kennen gelernt und denke, dass der Standort München sehr starke Technologienetzwerke hat, viele für Tech-Firmen relevante Talente hervorbringt und diese in der Region hält sowie eine Menge unternehmerisch gelenktes Risikokapital in der Stadt ist. Das sind alles Zutaten für einen attraktiven Standort und letztlich entstehen Firmen dann da, wo die Voraussetzungen gut sind - und das sind sie in München ganz bestimmt.
Ich würde deshalb aber nicht das Ende von Berlin als Startup-Hotspot zugunsten von München ausrufen. Das würde die Tatsache verkennen, dass jährlich noch immer mehr als doppelt so viele Startups in Berlin finanziert werden wie in München und dass auch die kumulierten Investitionssummen in Berlin weit über denen von München liegen. Empfehlen kann ich München als Startup- Standort jedoch ohne jede Einschränkung.
Sind Sie vor Finanzierungsrunden noch aufgeregt?
Ich bin im Laufe von Finanzierungsrunden immer wieder mal aufgeregt. Das Fundraising ist eine Phase, die einem sehr viel Energie abverlangt und wo es darum geht, Investoren in kurzer Zeit davon zu überzeugen, mit dem Gründerteam auf eine lange Reise zu gehen. Das allein macht die Sache schon emotional - und zwar auf beiden Seiten.
Ich habe gelernt, dass das zuvor geplante und das am Ende erreichte Ergebnis bei Finanzierungsrunden weit auseinander liegen können. Obwohl es statistisch schon so ist, dass die große Mehrzahl der Gespräche im Fundraising zu keinem messbaren Ergebnis führt, so macht der Prozess aber auch Spaß. Schließlich bietet er die Chance, von vielen klugen Menschen in kurzer Zeit viel zu lernen.
Wenn Sie nur einen Tipp an junge Gründer weitergeben könnten, welcher wäre das?
Zu allererst glaube ich - aller fehlender Erfahrung zum Trotz - dass es keine bessere Zeit gibt ein Unternehmen zu gründen, als direkt nach der Ausbildung oder nach dem Studium. Nach dem Motto “If you have nothing, no have nothing to lose.” wird der Schritt nie wieder leichter. Deshalb würde ich jede und jeden, der über eine Unternehmensgründung nachdenkt, ermutigen, den Schritt in die Selbständigkeit so früh wie möglich zu wagen.
An diejenigen, die tatsächlich unter die Gründer gegangen sind, lautet mein Rat: “Sucht euch starke Mentoren, hört zu, seid offen für die Erfahrungen anderer aber habt trotzdem immer den Mut, eure eigene Entscheidung zu treffen, auch wenn sie nicht dem Konsens entspricht oder wenn sie sehr hohes Risiko bedeutet.”
Sie haben den Inkubator XPRENEURS ins Leben gerufen. Was sind die häufigsten Fehler, die Gründer begehen?
XPRENEURS ist ein Programm der UnternehmerTUM, dem an der Technischen Universität München angesiedelten Entrepreneurship Center, welches als das größte seiner Art in Europa gilt.
Als ich 2016 mit dem CEO der UnternehmerTUM, Herrn Dr. Schönenberger, über die Idee eines Inkubationsprogramms sprach, das jenseits der üblichen deutschen Hochschulstrukturen positioniert sein sollte, war es mir eine Herzensangelegenheit, den Aufbau zu übernehmen. Dabei war es mir wichtig, die Gründer wie Kunden zu behandeln und deren Bedürfnisse zu erfüllen.
Ein wichtiger Aspekt von XPRENEURS ist deshalb eine Community aus erfahrenen Unternehmern, die dabei helfen können, Fehler zu vermeiden. Es gibt aber finde ich nicht den oder die häufigsten Fehler. Der eine mag schon im Teamaufbau Fehler machen, der andere bei der Wahl seiner Investoren, wieder ein anderer in der Detailgestaltung von Lizenzverträgen. Die Liste ist beliebig lang und im Rahmen der unternehmerischen Reise werden auch laufend Fehler gemacht. Das gehört ganz einfach dazu.
Aber es sind Impulse und Empfehlungen von außen, die jedem Gründer helfen können, möglichst im Korridor des Erfolgs zu bleiben. Ein Gründer mit offenem Ohr wird sich Ratschläge suchen und daraus seine Schlüsse ziehen, weil er selbst ein großes Interesse daran hat, allzu große Fehler zu vermeiden.
Inwieweit beeinflusst das Studium an der WHU heutzutage Ihre Arbeit?
Ich hatte zwar schon vor dem WHU-Studium Interesse daran, ein Unternehmen zu gründen, jedoch war es tatsächlich an der WHU, wo ich den Schritt in die Selbständigkeit erstmals ging: Mein erstes Unternehmen, IntraWorlds, hat seine Wurzeln im myWHU-Projekt. Als wir - ich damals zusammen mit meinen Kommilitonen Jens Bender, Benjamin Elixmann und Stephan Herrlich - Professor Brockhoff den Vorschlag machten, unser qua Studienordnung vorgesehenes Praktikum in einer Art 24/7 Programmier-WG im Hauptgebäude der WHU verbringen zu wollen, wollte er natürlich genau verstehen, was wir da vorhatten. Er hat dem damals sicher ungewöhnlichen Vorschlag aber zugestimmt, weil er unsere unternehmerische Begeisterung spüren konnte und diese unterstützen wollte. Das hätte es wohl an keiner anderen Hochschule so gegeben und ich bin ihm bis heute sehr dankbar dafür.
Natürlich sind die WHU-Ausbildung und das WHU-Netzwerk ewige Werte, die mir auch in der aktuellen Phase der Neugründung wieder sehr helfen.
Zuletzt haben wir kürzlich die ersten Positionen bei Ciara besetzt - natürlich einige davon mit WHU-Studierenden und -Absolventen.
Über Ciara
Ciara (www.getciara.com) ist ein digitaler Assistent für Vertriebsmitarbeiter. Sales Agents können individuelle und interaktive Vertriebsleitfäden erstellen, Playbooks verwalten und so ihre Verkaufstelefonate strukturieren. Die Funktion der Einwandbehandlung unterstützt Vertriebsmitarbeiter bei der Beantwortung schwieriger Kundenfragen, wie etwa zum Wettbewerb, zur Preisgestaltung und zu Produktneuheiten. Die Verbindung zu gängigen CRM-Systemen ermöglicht es, im Telefonat gewonnene Kundeninformationen einfach und zentral zu speichern.
Ciara unterstützt bereits 200 Unternehmen weltweit dabei, einen einheitlichen und effizienten Telefonvertrieb aufzubauen und neue Mitarbeiter schnell einzuarbeiten. Im Rahmen der noch laufenden Early Access Phase können sich Interessenten unter www.getciara.com kostenlos anmelden und binnen zwei Minuten ihren eigenen Vertriebsassistenten starten.
Über Martin Heibel
Dr. Martin Heibel schloss die WHU im Jahr 2004 als Diplomkaufmann ab. Es folgten Lehr- und Forschungstätigkeiten an der LMU München und der Harvard Business School. 2008 promovierte er im Bereich Innovationsforschung & Entrepreneurship an der LMU München.Während seines Studiums startete er mit Kommilitonen das Projekt myWHU - bis heute das Intranet unserer Hochschule - aus dem später die IntraWorlds GmbH hervorging. IntraWorlds sitzt in München und Tampa (FL), beschäftigt 50 Mitarbeiter und ist auf den Aufbau und den Betrieb von Alumni- und Talent-Netzwerken für große internationale Unternehmen spezialisiert.
Im Rahmen seiner Tätigkeit als Leiter des Münchner Tech-Startup-Programms XPRENEURS beriet Martin Heibel weit über 100 Startup-Teams zu allen Aspekten der Gründung und des Unternehmensaufbaus. Mit seinem Startup Ciara bietet Martin Heibel einen digitalen Assistenten für den telefonischen Vertrieb. Eine erste Finanzierungsrunde erfolgte Anfang 2019. Derzeit arbeitet Ciara am internationalen Wachstum und der schrittweisen Weiterentwicklung seines Produkts.
Während seiner Zeit an der WHU war Martin Heibel Stipendiat der Studienstiftung des Deutschen Volkes und des DAAD. Er lebt mit seiner Familie südlich von München.