Doch langweilig, so schmunzelt der Professor, werde ihm ganz sicher nicht. Das liege nicht in seinen Genen. Ein bisschen wehmütig ist er schon, wenn er auf die letzten 33 Jahre zurückschaut. Mehr als drei Jahrzehnte lang hat er das wissenschaftliche Feld des Controllings maßgeblich geprägt. Den Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Rechnungswesen und Controlling, so der nicht so ganz luftige Titel, hatte Weber im Alter von 33 Jahren nach seiner Habilitation an der Universität Nürnberg-Erlangen übernommen. Die private Business School WHU steckte damals noch in den Kinderschuhen. Private Bildung hatte in Deutschland zu dieser Zeit noch ein Geschmäckle, die Hochschule selbst war zunächst recht bescheiden in einer ehemaligen Grundschule untergebracht. Jürgen Weber glaubte an das Vorhaben - so sehr, dass er neben vielen anderen Ämtern sogar für einige Zeit selbst das Rektorat übernahm.
Rufe an andere Universitäten bekam er einige. "Ab und an ist es ganz nett, den eigenen Marktwert zu testen", sagt er schmunzelnd. Weg ging er nie. Auch dass er sich nach dem Abitur für BWL und nicht Chemie entschied, hat er nie bereut. Ihm gefallen die Möglichkeiten, sich in Details zu vergraben und doch gleichzeitig unendlich viele Anwendungsbezüge zu identifizieren. Wie jede neue Generation wollte er den Muff der angestaubten Lehrer vor ihm abklopfen, setzte schon früh auf Fallbeispiele und Praxisbezug. Wissenschaft im Elfenbeinturm, damit konnte und kann er nichts anfangen. Heute vermisst er das ganzheitliche Lernen an der Hochschule. "Früher musste man mehr selbst durchdenken, kritisch hinterfragen und konnte am Ende des Semesters die Puzzleteile zusammensetzen," sagt Weber. "Das ist jetzt durch die kurzen Lernblöcke und das eher verschulte System nach Bologna so gar nicht mehr möglich. Die jungen Leute sind nicht weniger intelligent als früher, sie sind nur leider weniger in der Lage die großen Zusammenhänge wahrzunehmen. Das ist einfach konzeptionell nicht mehr angelegt." Das führe dazu, dass wichtige Kompetenzen später fehlten: "Im Job muss ich in der Lage sein, über den Tellerrand hinauszublicken. Neue Probleme eigenständig zu lösen. Altes Wissen neu zu verknüpfen. Das Big Picture zu erkennen." Dazu müsse man jedoch die Möglichkeit haben, im Unterrichtsbetrieb auch mal vom eigentlichen Thema abzuschweifen, Exkurse zu wagen, an die Grenzen des eigenen Wissens und des Denkbaren zu gehen. Das System jedoch sei dafür mittlerweile viel zu eng.
Eigenständiges und kritisches Denken anzuregen, das erworbene Wissen in einen gesamtgesellschaftlichen, in einen größeren Kosmos einzuordnen anstatt den Inhalt von Folien für kurze Zeit abrufen zu können, das war Jürgen Weber stets das übergeordnete Ziel in all seinen Lehrveranstaltungen. Nun ist seine vorerst letzte Vorlesung gehalten. Zur Ruhe setzt er sich mit seinen 67 Jahren jedoch nicht. Ehrgeiz und Wissensdurst sind so groß wie je zuvor. Das Institut für Management und Controlling (IMC), das er im Jahr 2008 mit Utz Schäffer gründete, und das er mittlerweile mit diesem und Marko Reimer gemeinsam leitet, wird er weiterhin mit seiner Erfahrung vorantreiben. Dass er den Lehrbetrieb hinter sich lässt, bedeutet nicht, dass er nun einen Schritt zurücktritt, sondern dass er in der Forschung mehr Gas gibt: "Da sind einige Projekte, an denen ich gerade arbeite - aber vor allem auch einige, die in Zukunft noch anstehen".
Für junge Kollegen, die gerade in den Lehrbetrieb eintreten, hat er einen prägnanten Rat: "Erzähle das, was dir wichtig ist." Erklären und vermitteln könne ein Professor nur erfolgreich, wenn er hinter dem steht, was er erzählt. "Sie müssen für irgendwas brennen", ist Weber überzeugt. "Wer das nicht kann, wird nie ein guter Hochschullehrer sein."