WHU
06.11.2023

Die Handbremse bei der Energiewende lösen

Mit einem verbesserten Transfer von Energietechnologien könnten die EU-Mitgliedsstaaten ihre Klimaziele schneller erreichen

Prof. Dr. Mei Wang / Yang Liu - 6. November 2023

Tipps für Praktiker

 

Geht es um Klimaschutz, nehmen die EU und ihre Mitgliedstaaten international eine führende Rolle ein. Sie wirken nicht nur als treibende Kraft bei der Einhaltung der Ziele des Pariser Klimaabkommens, sondern haben auch ihre eigenen ambitionierten Klimaziele nachgeschärft. 55 Prozent weniger Treibhausgasemissionen bis 2030 wollen sie im Vergleich zu 1990 produzieren und bis 2050 Klimaneutralität erreichen. Allerdings ist es bis dahin noch ein weiter Weg. Eine neue Studie zeigt nun: Die EU könnte ihre gesteckten Klimaziele wesentlich schneller erreichen, wenn die Mitgliedstaaten sich unter anderem in punkto Energietechnologien besser austauschen würden.

Obwohl die 27 EU-Mitgliedsstaaten dieselben Klimaschutzziele verfolgen, zeigen sich im Status quo große energiepolitische Unterschiede zwischen den Ländern: Während Schweden, Finnland und Lettland beispielsweise schon den Großteil ihres Energiebedarfs durch erneuerbare Energien decken, nutzen die osteuropäischen Länder weiterhin hauptsächlich fossile Brennstoffe. Die Ursachen für diesen unterschiedlichen Energiemix liegen in der geographischen Lage, den natürlichen Ressourcen, der Geschichte und in den politischen Traditionen der jeweiligen Länder begründet. Je nach bevorzugten Energieträgern weisen sie große Unterschiede in ihren CO2-Bilanzen auf. Unter den fossilen Brennstoffen erhöhen beispielsweise Kohle und Öl die CO2-Emissionen, während Erdgas nur geringe Auswirkungen auf die CO2-Emissionen hat. Die Bilanzen der einzelnen Länder wirken sich auf die Gesamtbilanz der EU aus und damit auch auf ihre Vorbildfunktion auf internationaler Bühne.

Allerdings kommt es – so das Ergebnis der neuen Studie – in benachbarten Regionen innerhalb der EU zu starken sogenannten „Spillover-Effekten“: Das heißt, Methoden der Energiegewinnung eines bestimmten Landes übertragen sich auch grenzüberschreitend auf angrenzende Regionen. So wird in einzelnen Ländern, in denen bislang vorwiegend fossile Brennstoffe die bevorzugten Energieträger waren, beispielsweise der Ausbau regenerativer Energien gefördert, wenn das in benachbarten Regionen bereits funktioniert. Bei den erneuerbaren Energien liegen laut Studie die größten bisher noch ungenutzten Kapazitäten im Ausbau von Biomasse als Energieträger, während die Potenziale von Sonnen- und Windenergie geringer ausfallen.

Prof. Dr. Mei Wang, Inhaberin des Lehrstuhls für Behavioral Finance an der WHU – Otto Beisheim School of Management und Co-Autorin der Studie, sieht in einem besseren, intensiveren Austausch zwischen den EU-Mitgliedstaaten großes Potenzial für einen schnelleren Weg zu effektivem Klimaschutz. „Da es im Binnenmarkt keine Handelsgrenzen zwischen den Mitgliedsstaaten gibt, kann der Transfer von Energietechnologien, technischem Personal und finanziellen Ressourcen effizient beschleunigt werden“, sagt die Professorin. Hersteller effizienter Anlagen zur Gewinnung regenerativer Energien könnten ihre Anlagen also leichter Nachbarländern zugänglich machen, in denen sich ähnliche geographische Bedingungen finden. Zudem könnte technisches Personal im Ausland geschult werden, oder Fachkräfte helfen in benachbarten Regionen innerhalb der EU dabei, moderne und klimafreundliche Anlagen aufzubauen. Auf diese Weise könnten erneuerbare Energien in vielen Regionen fossile Brennstoffe als Energieträger ablösen – und dies wesentlich zügiger als bislang angenommen.

Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die Politik ihre Aufgabe erfüllt und die Voraussetzungen für eine bessere grenzüberschreitende Zusammenarbeit in diesem Bereich schafft. „Als supranationale politische und wirtschaftliche Union kann die EU alle dafür nötigen politischen Maßnahmen und Rechtsvorschriften einführen. Eine Möglichkeit dazu wäre zum Beispiel ein vereinfachter Zugang zu Fördermitteln für grenzüberschreitende Projekte“, so Mei Wang. Zudem müsse die politische Debatte über CO2-Emissionen und Energiequellen stärker als bisher von Fakten statt von Ideologien geprägt werden. „Es müssen systematisch empirische Daten für Kosten-Nutzen-Analysen einzelner Energieträger gesammelt werden, bevor eine politische Entscheidung gefällt wird“, fordert die Professorin.

Tipps für Praktiker

  • Stützen Sie sich als politischer Entscheidungsträger stärker auf empirische Daten als auf energiepolitische Ideologien.
  • Nutzen Sie Spillover-Effekte innerhalb der EU, um fossile Energieträger schneller zu ersetzen.
  • Teilen Sie innerhalb der EU technologisches Know-how und tauschen Sie grenzüberschreitend Fachpersonal aus. So können erneuerbare Energieträger schneller und effizienter genutzt werden.

Literaturverweis und Methodik

Für die Studie „Energy structure and carbon emission: Analysis against the background of the current energy crisis in the EU‟ wurden die Energiequellen untersucht und wie sich der Energiemix in den EU-Mitgliedstaaten zwischen 1995 und 2020 entwickelt hat. Die Wissenschaftler bedienten sich zudem der räumlichen Abhängigkeitsanalyse, um regionale Spillover-Effekte innerhalb der EU zu analysieren. Detaillierte Ergebnisse und Angaben zur Methodik finden Sie in:

  • Liu, Y./Xie, X./Wang, M. (2023): Energy structure and carbon emission: Analysis against the background of the current energy crisis in the EU, in: Energy, Vol. 280, 2023. DOI: https://doi.org/10.1016/j.energy.2023.128129

Co-Autoren der Studie

Prof. Dr. Mei Wang

Professor Mei Wang ist Expertin für Verhalten und Kultur im Finanzwesen. Sie ist Inhaberin des Lehrstuhls für Behavioral Finance an der WHU – Otto Beisheim School of Management. Ihre Forschung konzentriert sich auf die Auswirkungen von Kultur auf individuelle Präferenzen, Entscheidungen und Märkte.

Yang Liu

Yang Liu ist Postdoc-Forscher am Lehrstuhl für Innovation und Nachhaltiges Management an der Universität Augsburg und Produktmanager bei der Landesbank Baden-Württemberg. Sein Forschungsinteresse gilt der Energiewirtschaft und -finanzierung, dem Klimawandel und nachhaltiger Entwicklung.

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