Wie sich Leistungsbewertungsmodelle im Recruiting zur Selektion motivierter Mitarbeiter:innen einsetzen lassen
Bart Dierynck / Victor van Pelt - 11. Oktober 2021
Selbst wenn das Profil eines Bewerbers auf eine offene Stelle passt, fragen sich Personalverantwortliche und Einstellungsgremien regelmäßig, ob die Persönlichkeit des Bewerbers wirklich zur Unternehmenskultur passt und ob seine oder ihre Ziele mit jenen des Unternehmens in Einklang stehen. Da die Auswahlverfahren meist unter Zeitdruck stattfinden, ist es nicht einfach, die wahre Persönlichkeit der Bewerber:innen zu erkennen und diese Fragen zu beantworten. Die wissenschaftliche Studie "The Sorting Benefits of Discretionary Adjustment to Performance-based Pay" (Vorteile der Nutzung von Ermessenspielräumen zur Anpassung leistungsabhängiger Vergütung bei der Auswahl von Bewerbern) zeigt einen einfachen und eleganten Weg auf, um die richtige Person für die zu besetzende Stelle zu gewinnen. So lassen sich Kandidaten herausfiltern, die sich stark mit den Zielen des Unternehmens identifizieren und bereit sind, diese auch mit besonderem Engagement zu verfolgen.
Die Studie zeigt, dass potenzielle Mitarbeiter sich eher für ein Unternehmen entscheiden, mit dessen Zielen sie sich identifizieren, wenn sie wissen, dass sie vom Management teilweise nach eigenem Ermessen bewertet werden. Mit anderen Worten: Wenn Mitarbeiter wissen, dass ihre Vorgesetzten ihre Leistung bis zu einem gewissen Grad nach eigenem Ermessen beurteilen und damit auch ihr Gehalt beeinflussen können, werden sie sich eingehend überlegen, wie die Vorgesetzten in Zukunft von diesem Ermessensspielraum Gebrauch machen werden.
Manager nutzen Ermessensspielräume als Ergänzung zu objektiven Methoden der Leistungsmessung. Auf diese Weise können sie die Erkenntnisse, die objektive Leistungsindikatoren liefern, durch schwer messbare Faktoren ergänzen und korrigieren. Zu diesen im täglichen Verhalten von Mitarbeitern beobachtbaren Faktoren zählen beispielsweise die Bereitschaft, Wissen mit Kollegen zu teilen und unaufgefordert Vorschläge zur Verbesserung der Unternehmensleistung einzubringen.
Ausgangspunkt der Studie war die Annahme, dass sich Mitarbeiter, die auch durch Ermessen beurteilt werden, eher für Unternehmen entscheiden, deren Ziele sie teilen. Diese Hypothese konnte anhand eines aufwändigen dreistufigen Experiments bestätigt werden. Im ersten Schritt erhielten die Teilnehmer eine Aufgabe, um herauszufinden, wie stark sie sich mit dem Unternehmensziel identifizieren. In diesem Fall galt es, die Kohlendioxidemissionen zu verringern. Im zweiten Schritt sollten die Teilnehmer die Rolle eines Mitarbeiters einnehmen und zwischen einem Vertrag mit fester Vergütung und einem Vertrag mit leistungsbezogenen Gehaltskomponenten wählen, mit oder ohne der Möglichkeit von Gehaltsanpassungen nach Ermessen des Managers. Im dritten Schritt wurden die Mitarbeiter gebeten, auf einer Skala von 1 bis 10 zu verorten, wie viel zusätzlichen Aufwand sie zur Erreichung des Unternehmensziels – also für die Suche nach Möglichkeiten zur Verringerung der Kohlendioxidemissionen – über ihre reguläre Arbeit hinaus bereit waren zu leisten. Dieser Aufwand wurde im Rahmen des leistungsorientierten Modells direkt in die Lohnberechnung einbezogen. Zudem erhielten alle Teilnehmer des Projekts Einsicht in die Berechnungen.
Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass diejenigen Mitarbeiter, die sich stark mit dem Unternehmensziel identifizierten, tatsächlich zu größeren Anstrengungen bereit waren, um Wege zur Reduzierung der Kohlendioxidemissionen zu finden. Wie erwartet, entschieden sich diese Mitarbeiter eher für eine leistungsbezogene Vergütung, wenn die Führungskräfte diese nach eigenem Ermessen anpassen konnten. Umgekehrt gaben diejenigen Mitarbeiter, die sich kaum mit dem Unternehmensziel identifizieren konnten, einer Festvergütung den Vorzug vor einer leistungsabhängigen Vergütung mit Ermessensspielraum des Vorgesetzten.
Unter dem Strich eignen sich Gehaltsanpassungen nach Ermessen der Führungskraft als Belohnung für Mitarbeiter, die sich über ihre eigentlichen Aufgaben hinaus besonderes engagieren und damit ihrer Organisation helfen, die Unternehmensziele zu erreichen. Für Mitarbeiter, die sich weniger für diese Ziele interessieren, ist das Modell der Festvergütung die bessere Option.
Für eine Organisation zu arbeiten, mit deren Zielen man sich identifiziert, bringt nicht nur für die Organisation, sondern auch für die eigene Gesundheit und auch für die Gesellschaft insgesamt Vorteile. Die in der Studie gezeigte mögliche Nutzung des Ermessensspielraums durch das Management bietet demnach eine clevere und einfache Lösung, um die "richtige" Person für die eigene Organisation zu gewinnen und Kandidaten abzuhalten, die auf Dauer die Ziele des Unternehmens nicht mittragen würden.
Tipps für Praktiker
- Nutzen Sie als Manager ihren Ermessensspielraum, um die Leistungsbeurteilung von Mitarbeitern anzupassen, wenn Sie Erkenntnisse über ihre Arbeit haben, die schwer zu quantifizieren sind. Achten Sie aber darauf, dies möglichst unvoreingenommen zu tun und Bevorzugungen zu vermeiden!
- Der Ermessensspielraum ist nicht nur ein hilfreiches Instrument für eine Beurteilung, sondern auch für die Rekrutierung zukünftiger Mitarbeiter. Zeigen Sie potenziellen Mitarbeiter:innen, dass es die Möglichkeit gibt, dass die sie beurteilende Führungskraft einen Ermessensspielraum bei ihrer Leistungsbewertung haben kann. Dadurch ziehen sie Bewerber:innen an, die sich mit den Zielen des Unternehmens identifizieren, und hält diejenigen ab, die dies nicht tun.
- Kommunizieren Sie die Einzelheiten der Leistungsbewertung und der Vergütung während des Einstellungsverfahrens klar und deutlich! Wenn potenzielle Bewerber von der Möglichkeit des Ermessensspielraums des Vorgesetzten erfahren, werden sie sich genau überlegen, inwieweit ihre Ziele mit denen des künftigen Unternehmens übereinstimmen.
Literaturverweise und Methodik
Die wissenschaftliche Studie “The Sorting Benefits of Discretionary Adjustment to Performance-based Pay”, die diesem Artikel zugrunde liegt, wurde von Prof. Dr. Bart Dierynck and Dr. Victor van Pelt durchgeführt. Sie untersucht die Entscheidungen von 179 Studierenden der Betriebswirtschaftslehre beim Abschluss eines Arbeitsvertrags. Die getroffenen Vorhersagen wurden unter streng kontrollierten Bedingungen überprüft. Weiteres Forschungspotenzial ergibt sich für die Untersuchung der Ermessensspielräume von Managern unter verschiedenen Arbeitsbedingungen.
- Dierynck, B./van Pelt, V. (2021): The Sorting Benefits of Discretionary Adjustment to Performance-based Pay, in: Management Accounting Research,52: 100755. Verfügbar unter: https://doi.org/10.1016/j.mar.2021.100755
Co-Autoren
Prof. Dr. Bart Dierynck
Bart Dierynck ist Professor für Rechnungswesen an der Universität Tilburg. Er beschäftigt sich vor allem mit der Entwicklung eines besseren Verständnisses von Geschäftsproblemen an der Schnittstelle zwischen Management Accounting einerseits und Organisationsverhalten, Operations Management und Unternehmensverantwortung andererseits. Prof. Diernyck hat in Top-Journals in den Bereichen Accounting, Operations Management und Organizational Behavior veröffentlicht. Er wurde durch mehrere Preise für seine Lehrtätigkeit im Bereich Management Accounting und Corporate Responsibility ausgezeichnet.
Jun.-Prof. Dr. Victor van Pelt
Victor van Pelt ist Juniorprofessor an der WHU – Otto Beisheim School of Management und wendet experimentelle Forschungsmethoden auf Buchhaltungsthemen an. Seine Forschung konzentriert sich vor allem darauf, zu verstehen, wie Menschen Offenlegung, Rechnungslegungsinformationen, Leistungsmessungen und Kontrollen produzieren, nutzen und darauf reagieren.