Warum Firmen weniger investieren, wenn die Einkommensteuer steigt
Martin Jacob / Robert Vossebürger - 11. Mai 2021
Die Gehaltsabrechnungen aller Erwerbstätigen, die über dem Grundfreibetrag liegen, weisen sie aus: die Einkommensteuer. Sie wird als Gemeinschaftssteuer auf das Einkommen jeder Person erhoben und schmälert somit den Nettoverdienst. Dass davon aber nicht nur Individuen und deren Kaufkraft betroffen sind, zeigt die Studie „The Role of Personal Taxes in Corporate Investment Decisions“. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass Firmeninvestitionen um zwei Prozent sinken, wenn die durchschnittliche Einkommensteuerbelastung um zehn Prozent steigt, und dass dieser Effekt bei höheren Einkommen abnimmt.
Der Zusammenhang zwischen Kapitalinvestitionen und Lohnkosten
Um zu produzieren, setzten Firmen klassischerweise Arbeit und Kapitalinvestitionen in einem für jede Firma individuell optimalen Verhältnis zueinander ein. Eine Bäckerei kann beispielsweise Angestellte beschäftigen, die jeden Morgen den Teig von Hand produzieren und backen, oder in eine automatische Brotbackmaschine investieren. In beiden Fällen wird eine vergleichbare Menge produziert.
Die Entscheidung, ob die Firma in eine Maschine oder in Arbeitskräfte investiert, ist unter anderem von der Höhe der Lohnkosten im Vergleich zu den Kosten für eine Maschine abhängig. Steigen die Lohnkosten, weil beispielsweise eine höhere Einkommensteuer diese verteuert, könnte dies zwei unterschiedliche Effekte auslösen: Entweder investiert die Firma mehr in Maschinen und stellt weniger Mitarbeiter ein, damit die Handarbeit im Produktionsprozess von Maschinen übernommen wird, oder sie investiert weniger in Maschinen, weil sie aufgrund der hohen Lohnkosten die Fachkräfte zur Bedienung der Maschinen nicht bezahlen kann. Im zweiten Szenario wächst die Firma weniger stark, und ihre Wirtschaftsleistung sinkt im Vergleich zu Unternehmen, die nicht von einer solchen Steuererhöhung betroffen sind.
Ein weiterer Aspekt spricht dafür, dass Investitionen sinken, wenn Steuern für Erwerbstätige steigen. Da höhere Steuern auch das verfügbare Einkommen der Erwerbstätigen verringern und diese auch Kunden von Firmen sind, sinkt der Konsum. In der Folge produzieren die Unternehmen weniger und haben dadurch weniger finanziellen Spielraum, um in Maschinen zu investieren – ein Teufelskreis.
Die gesamtwirtschaftliche Last der Einkommensteuer
Doch warum verteuert die Einkommensteuer, die von den Erwerbstätigen als Prozentsatz ihres Bruttolohns gezahlt wird, die Lohnkosten der Firmen? Auf den ersten Blick erscheint dies verwunderlich. Auf den zweiten Blick wird jedoch klar, dass Erwerbstätige die Steuer zumindest teilweise auf ihre Arbeitgeber abwälzen. Denn sinkt ihr Nettoeinkommen, das die entscheidende Basis für ihren Lebensstandard ist, fordern sie bzw. die Arbeitnehmerverbände in vielen Fällen höhere Löhne. Unter anderem deshalb kommt es regelmäßig zu Tarifverhandlungen. Zwar ist die Höhe der Umwälzung der Einkommensteuer auf Firmen nicht genau ermittelbar, fest steht jedoch, dass ein Teil der Einkommensteuererhöhungen durch höhere Löhne getragen wird, die die Unternehmen zahlen müssen.
Darüber hinaus sinkt das Arbeitsangebot, wenn die Steuerlast größer wird. Denn die Einkommensteuer verringert die Attraktivität der Arbeit, wenn weniger Netto vom Brutto übrigbleibt. Wenn für die Arbeitnehmer aber Freizeit attraktiver als Arbeit ist, sinkt das Arbeitsangebot in der Volkswirtschaft und verteuert sich. Nicht umsonst lassen sich viele Arbeitnehmer ihre Überstunden lieber mit Freizeit kompensieren und nicht ausbezahlen.
Wie genau beeinflusst die Einkommensteuer Kapitalinvestitionen?
Für die breit angelegte Studie wurde die durchschnittliche Einkommensteuerbelastung mit ca. 1,8 Millionen Bilanzdaten von nicht-börsennotierten kleinen und mittelständischen Firmen kombiniert. So konnten die Auswirkungen einer Einkommensteueränderung auf Investitionsentscheidungen quantifiziert werden. Die Ergebnisse zeigen, dass eine durchschnittliche Steuererhöhung von einem Prozent Kapitalinvestitionen um 0,2 Prozent senkt.
Auf den ersten Blick mag dieser Effekt marginal und vernachlässigbar wirken. Dass dem jedoch keinesfalls so ist, zeigt eine Berechnung in absoluten Zahlen: Im Jahr 2020 lagen laut der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung des statistischen Bundesamtes die Bruttoinvestitionen in Deutschland bei ca. 678 Milliarden Euro. Eine Erhöhung der Einkommensteuer um ein Prozent reduziert daher Kapitalinvestitionen für Firmen um 1,36 Milliarden Euro. Insbesondere unternehmerische Kapitalinvestitionen sind volkswirtschaftlich brisant, da diese zukünftige Unternehmensgewinne sichern – und damit Arbeitsplätze und Unternehmenssteueraufkommen.
Einkommenssteuereffekte sind nicht bei allen Steuerklassen gleich
Die Studie offenbart jedoch noch ein weiteres wichtiges Merkmal von Einkommenssteuererhöhungen: Die negativen Effekte der Einkommensteuer auf Kapitalinvestitionen nehmen mit zunehmendem Einkommen ab. Ab einem Einkommen von ca. 300.000 Euro pro Jahr ist keine Verringerung von Kapitalinvestitionen durch eine Steuererhöhung mehr messbar. Die stärksten negativen Investitionseffekte ergeben sich, wenn sich die Steuern für Mittel- und Geringverdiener erhöhen. Eine Erklärung dafür ist die hohe Anzahl an Erwerbstätigen in diesen Einkommensbereichen, die oftmals auch mit Maschinen oder anderen Investitionsgütern arbeiten.
Steuerpolitisch interessant ist, dass Steuererhöhungen in oberen Einkommensklassen weniger negative Effekte auf Kapitalinvestitionen mit sich bringen. Gleichzeitig kann man durch die Reduktion der Einkommenssteuer für geringe und mittlere Einkommen Anreize für Investitionen setzen. Dies könnte bei einer Neugestaltung des Einkommensteuersystems berücksichtigt werden.
Tipps für Praktiker
- Haben Sie ein Auge auf die Einkommensteuerpläne der Politik: Steuererhöhungen gehen oftmals auch zulasten der Firmeninvestitionen, vor allem, wenn sie mittlere und geringe Einkommen betreffen.
- Berücksichtigen Sie als Unternehmerin oder Unternehmer die Veränderung des Arbeitsangebotes, wenn sich die Einkommensteuer ändert. Planen sie Gehaltssteigerungen ein, um die Arbeitsleistung der Belegschaft konstant zu halten.
- Bei sehr hohen Einkommen nimmt der negative Effekt von Einkommensteuererhöhungen auf Kapitalinvestitionen ab.
- Aufgrund der aktuellen, pandemiebedingten Ausgabensituation werden künftig mehr Steuermehreinnahmen benötigt. Diese können durch Einkommensteuererhöhungen, vor allem bei höheren Einkommen, finanziert werden.
Literaturverweis und Methodik
Den Effekt, dass Einkommensteuererhöhungen Kapitalinvestitionen verringern, zeigen Prof. Dr. Martin Jacob und Robert Vossebürger, Lehrstuhlinhaber bzw. Doktorand am adidas Chair of Finance, Accounting, and Taxation der WHU – Otto Beisheim School of Management. Die Forscher untersuchen in ihrer Studie „The Role of Personal Income Taxes in Corporate Investment Decisions“ („Der Einfluss der Einkommensteuer auf unternehmerischen Investitionsentscheidungen“) ca. 1.8 Millionen Unternehmens- und Steuerdaten aus 30 europäischen Ländern von 2006 bis 2018 und deren Einfluss auf Kapitalinvestitionen von Unternehmen.
- Jacob, M./Vossebürger, R. (2020): The role of personal taxes in corporate investment decisions, SSRN Working Paper.
Autoren der Studie
Prof. Dr. Martin Jacob
Martin Jacob ist Experte für die Auswirkungen der Besteuerung von Privatpersonen und Unternehmen an der WHU – Otto Beisheim School of Management. Sein besonderes Forschungsinteresse gilt dem Einfluss von Steuerpolitik auf Unternehmen und deren Investitionen. Seit 2019 ist er Inhaber des adidas Lehrstuhls für Finanzen, Rechnungslegung und Steuerlehre der WHU.
Robert Vossebürger
Robert Vossebürger ist Doktorand am adidas Lehrstuhl für Finanzen, Rechnungswesen und Steuerlehre der WHU – Otto Beisheim School of Management. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich Steuerinzidenz und empirischer Steuerforschung, die sich mit den Auswirkungen von Steuern auf Investitionsentscheidungen von Unternehmen beschäftigt.