WHU - Startseite | Logo
03.07.2024

Hopp oder top? Start-up-Kultur in Corporate-Venturing-Einheiten

Wie kulturelles Design in Corporate-Venturing-Einheiten zu mehr Akzeptanz aber auch Skepsis bei Stakeholdern führt

Dries Faems / Anna Brattström - 2. Juli 2024

Tipps für Praktiker 

In der Küche läuft die Popcornmaschine, Kickertisch und flauschige Lounge-Sofas dominieren das Großraumbüro. Die Entwicklungsmanagerin heißt hier „Head of Future“, ins Büro kommt sie in Jogginghose und Hoodie. Ob Einrichtung, Sprachstil oder Dresscode der Mitarbeitenden: Corporate-Venturing-Einheiten von Unternehmen, also Tochterunternehmen, die in junge innovative Unternehmen investieren, erinnern in ihrem kulturellen Design häufig an Start-ups. Als Innovationseinheiten sollen sie für neue Geschäftsideen sorgen – und garantieren, dass ihr Mutterunternehmen agil auf aktuelle Herausforderungen reagieren kann. 

Weshalb aber braucht es für diese Aufgabe Lego-Bauecken für Mitarbeitende oder einen speziellen Dresscode? Diese Fragen haben sich Forschende unter anderem an der WHU – Otto Beisheim School of Management gestellt und die Mechanismen kulturellen Designs in diesen Einheiten untersucht. Sie haben sich gefragt: Welchen Effekt hat das theatralisch-kulturelle Design, auch Innovationstheater genannt, auf die Resilienz und den Erfolg der Einheiten?

„Wir sind dabei zu dem Schluss gekommen, dass sich ein derartiges Innovationstheater sowohl produktiv als auch zerstörerisch auf solche Corporate-Venturing-Einheiten auswirken kann – je nachdem, wie es eingesetzt wird“, sagt Prof. Dr. Dries Faems, Inhaber des Lehrstuhls für Entrepreneurship, Innovation und Technologische Transformation an der WHU – Otto Beisheim School of Management und Mitautor der Studie. Laut ihm erfüllt das kulturelle Design dabei drei verschiedene Funktionen. 

Investoren überzeugen: Aufmerksamkeitslenkende Funktion

An erster Stelle steht die aufmerksamkeitslenkende Funktion, die in Corporate-Venturing-Einheiten eine besondere Bedeutung hat. Da die Einheiten meist neu entstanden sind, fehlt es ihnen oft an Geschäftserfahrung und Reputation im jeweiligen Bereich. Sie haben demnach keinerlei Argumente, um Stakeholder von sich und ihren Geschäftsideen zu überzeugen. „Insbesondere in der Anfangsphase kann aber ein spezifisches theatralisch-kulturelles Design dazu beitragen, die Aufmerksamkeit der Stakeholder von den bisher fehlenden Ergebnissen auf beispielsweise ein starkes Engagement des Top-Managements und die zukünftigen wertschöpfenden Möglichkeiten einer Corporate-Venturing-Einheit umzulenken“, erklärt Prof. Dr. Faems. So nutzen Mitarbeitende meist eine Sprache, die ihren Fokus auf die Zukunft setzt und eine Fehlertoleranz über Misserfolge stellt, indem sie beispielsweise Begriffe wie „Acceleration“ oder „Fail-Fast“ verwenden. Dies führt dazu, dass Stakeholder sich ebenfalls auf den zukünftigen Erfolg und die Potentiale der Einheiten fokussieren.

Funktion der sozialen Kategorisierung

Eine weitere Funktion, die das kulturelle Design erfüllt, ist die der „sozialen Kategorisierung“. Indem Corporate-Venturing-Einheiten bestimmte Normen und Werte, wie zum Beispiel einen spezifischen Dresscode oder besondere Verhaltensweisen der Mitarbeitenden, betonen, bauen sie sich über diese Merkmale eine spezielle Identität auf, die sie explizit von anderen Unternehmen unterscheidet. Ihre strategische Besonderheit zeigt potentiellen Investoren einen alternativen Weg zu wirtschaftlichem Erfolg auf. Die Einheiten verschaffen sich auf diese Weise Legitimität.

Allerdings besteht auch das Risiko, dass sich die positiven Effekte in negative verkehren: Sie führen dazu, dass sich die Mitglieder einer Corporate-Venturing-Einheit nicht mehr als Kollegen, sondern als Konkurrenten ansehen.

Eskapistische Funktion

Zudem erfüllt kulturelles Design in Corporate-Venturing-Einheiten eine sogenannte „eskapistische Funktion“. Wie Menschen in ihrer Freizeit beispielsweise im Theater, Kino oder bei einem Fußballspiel ihre alltäglichen Sorgen vergessen und neue Kraft und Ideen für ihren Alltag und ihre Arbeit schöpfen, so kann auch die kulturelle Gestaltung in Corporate-Venturing-Einheiten für Mitarbeitende zur Inspirationsquelle werden; denn sie bieten ihnen die Möglichkeit, Erfahrungen zu machen, die nichts mit ihrem Arbeitsalltag im Unternehmen zu tun haben, beispielsweise durch eine bestimmte theatralische Ästhetik oder eine Sitzecke mit inspirierenden Zitaten oder Kunstwerken. Zugleich erfüllt das kulturelle Design eine symbolische Funktion: Wie beispielsweise im Theater weckt eine spezielle Einrichtung bei den Mitarbeitenden das Gefühl, eine neue Welt zu betreten, in der sie neue, unbekannte Erfahrungen sammeln können. Auch entsprechen physische Bühnen beispielweise den gelebten Routinen in Corporate-Venturing-Einheiten: Mitarbeitende stellen ihre Ideen oft auf solchen Podien einem Publikum vor und erschienen generell eher extrovertiert in ihrem Verhalten. 

„Theatralisches kulturelles Design kann letztlich dazu führen, dass Corporate-Venturing-Einheiten als Möglichkeit gesehen werden, aus dem normalen Arbeitsalltag zu entfliehen“, sagt Prof. Dr. Faems. Dabei bestehe allerdings auch die Gefahr, dass diese Einheiten als oberflächlich und nicht authentisch wahrgenommen würden. In solch einem Fall bleibt die kulturelle Akzeptanz der Stakeholder aus, und die Legitimität der Einheiten ist gefährdet. 

Die zweifache Natur kulturellen Designs

Die Ergebnisse der Studie zeigen: Kulturelles Design in Corporate-Venturing-Einheiten erfüllt ambivalente, nämlich sowohl legitimierende als auch delegitimierende Funktionen. „Die Ergebnisse zeigen uns aber auch, welch großes Potential darin steckt – sofern das kulturelle Design richtig und in richtigem Maße eingesetzt wird“, resümiert Prof. Dr. Dries Faems.

Fachleute sollten daher die kulturelle Gestaltung ihrer Corporate-Venturing-Einheiten kritisch prüfen, bevor sie sie umsetzen. Nur so lässt sich sicherstellen, dass ein spezielles kulturelles Design dem Erfolg der Einheiten auch wirklich dient und diesen nicht schwächt. Das ist beispielsweise dann der Fall, wenn es aufgesetzt oder unglaubwürdig wirkt. 

Tipps für Praktiker

  • Stellen Sie sicher, dass Sie nicht nur ein Bild von Kreativität vermitteln, sondern dass Ihr Design authentisch ist. 
  • Setzen Sie sich realistische Ziele und überprüfen Sie, welche Ergebnisse tatsächlich Resultate des kulturellen Designs sind. 
  • Berücksichtigen Sie immer die Risiken, die eine übermäßige Theatralisierung mit sich bringt und konzentrieren Sie sich auf substantielle, ergebnisorientierte Innovationsaktivitäten. 

Literaturverweis

- Brattström, A./Faems, D. (2024) Innovation theater in corporate venturing units: Cultural design as a (de)legitimizing mechanism. Journal of Product Innovation Management https://doi-org.proxy-ub.rug.nl/10.1111/jpim.12736.

Co-Autoren der Studie

Prof. Dr. Dries Faems

Prof. Dr. Dries Faems ist Inhaber des Lehrstuhls für Entrepreneurship, Innovation and Technological Transformation an der WHU – Otto Beisheim School of Management. Er ist Experte für Zusammenarbeit bei Innovationen. In seiner Forschung und Lehre befasst sich Prof. Faems mit Inhalten wie Allianzen für Forschung und Entwicklung, Zusammenarbeit bei der digitalen Transformation und Innovations-Ökosysteme. Er koordiniert außerdem den WHU Innovation Ecosystem Hub, der darauf abzielt, Wissenschaft und Praxis bei der Zusammenarbeit für gemeinsame Innovationen zu vernetzen. 

Prof. Dr. Anna Brattström 

Prof. Dr. Anna Brattström ist spezialisiert auf die menschliche Komponente bei Innovationen und Unternehmertum: Dabei geht es beispielsweise darum, wie Menschen zusammenarbeiten, um neue Technologien und Unternehmen zu entwickeln. Ihre meisten Arbeiten basieren auf Längsschnittuntersuchungen, deren Daten bei neu zusammengestellten Projekt-Teams oder bei Forschungs- und Entwicklungsvorhaben zwischen Unternehmen erhoben wurden. Sie werden regelmäßig in wissenschaftlichen Fachzeitschriften wie dem Academy of Management Journal, Organization Studies, Research Policy, Entrepreneurship Theory and Practice und dem Journal of Product Innovation Management veröffentlicht.

WHU - Startseite | Logo