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07.08.2025

KI: Auf dem Weg vom Werkzeug zum Partner

Wie Generative KI Innovationen in der Unternehmenslandschaft neu definiert

Dries Faems - 31. Juli 2025

Generative KI (GenAI) ist derzeit Gegenstand hitziger Diskussionen: Wird sie die Arbeitswelt, wie wir sie kennen, unwiederbringlich verändern? Wird sie zahlreiche Angestellte ihren Job kosten? Und wie können sich die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer an die Arbeitswelt von morgen anpassen? 

Zum jetzigen Zeitpunkt ist nur eines klar: GenAI ist keine Spielerei oder ein einfaches Hilfsmittel. Es handelt sich um eine leistungsstarke Technologie, die die grundlegende Logik von Innovationen verändert – und die Art und Weise, wie sich Innovationen in Unternehmen vollziehen. Durch die Automatisierung, Ergänzung und sogar eigenständige Ausführung innovationsbezogener Aufgaben, wie etwa der Erstellung von Produktkonzepten, Marketingmaterialien oder Marktanalysen oder der Programmierung, ermöglicht GenAI es Unternehmen, in völlig neuem Umfang und mit einem hohen Maß an Kreativität zu arbeiten – und das in einer noch nie dagewesenen Geschwindigkeit.

Diese Veränderungen lassen sich in drei Etappen einteilen, die jeweils eine tiefere Ebene der Transformation kennzeichnen: Effizienz, Effektivität und autonome Systeme. Dies verdeutlicht der von Accenture in Zusammenarbeit mit der WHU – Otto Beisheim School of Management veröffentlichte „The Innovators Guide to AI“. 

Welle 1: Effizienz – mehr Dinge schneller erledigen

Die erste und unmittelbarste Auswirkung von GenAI ist die Steigerung der Produktivität. GenAI beschleunigt die Automatisierung von zeitaufwändigen Routineaufgaben wie Ideenfindung, Marktforschung, Prototyping und Programmierung. Zeitintensive Desktop-Recherchen werden überflüssig. Was früher Wochen gedauert hat, dauert jetzt nur noch Minuten. Das verkürzt die Zeit bis zur Markteinführung eines Produkts, so dass sich die Menschen auf höherwertige Aufgaben konzentrieren können – zum Beispiel auf Strategie und Entscheidungen. Nach der Produkteinführung lässt sich Nutzerfeedback in Echtzeit analysieren und ermöglicht so die Beschleunigung iterativer Verbesserungen. 

Zusätzlich demokratisiert GenAI den Innovationsprozess, weil es Nicht-Fachleuten wie Marketing-Angestellten und Kundendienstmitarbeitenden ein Werkzeug an die Hand gibt, mit dem sie sich aktiv am Innovationsprozess beteiligen können. Die Barrieren zwischen kreativen und analytischen Rollen werden abgebaut.

Welle 2: Effektivität – Dinge besser machen

Bei der zweiten Welle geht es um Qualität und Wirkung. GenAI unterstützt Denkprozesse und ermöglicht durch datengestützte Erkenntnisse ohne kognitive Verzerrungen eine bessere Entscheidungsfindung. So ist eine stärkere Personalisierung durch umfangreiche Datenanalysen möglich sowie eine intelligentere Forschung und Entwicklung durch Datenanalyse von Markttrends. Zusätzlich lassen sich weitere Ideen mithilfe von GenAI entwickeln, die über die Möglichkeiten des individuellen oder teambasierten Denkens hinausgehen.

Eine der Hauptstärken von GenAI in dieser Phase ist die Fähigkeit, die häufig vorhandene Voreingenommenheit von Menschen zu reduzieren. Oft sind menschliche Entscheidungen von Intuition und Gewohnheit geprägt – die KI kann hingegen ohne emotionale Faktoren große Datenmengen analysieren und dabei verborgene Muster und nicht offensichtliche Lösungen offenlegen. So können Unternehmensteams neue Marktsegmente oder Produktmerkmale entdecken, die bei einer von Menschen durchgeführten Analyse möglicherweise übersehen werden.

Vor allem aber erleichtert GenAI die strategische Orchestrierung. All denen, die Innovationen voranbringen wollen, erhalten ein Tool, das ihnen hilft, die richtige Fragestellung zu formulieren, ethische Grenzen zu setzen und die Ausrichtung auf die langfristigen Ziele des Unternehmens sicherzustellen.

Welle 3: Autonome Systeme – Innovation in der Geschwindigkeit der KI

Die fortschrittlichste Welle der GenAI beschreibt den Einsatz agentenbasierter KI, also vernetzter, selbstoptimierender Systeme, die den gesamten Innovationszyklus eigenständig abarbeiten können – von der Marktanalyse über die Ideenfindung, die Prototypenerstellung und das Testen bis hin zur Markteinführung. Diese Systeme lernen kontinuierlich durch Feedback-Schleifen, arbeiten mit anderen spezialisierten KI-Agenten („synthetischen Experten“) in einer modularen, skalierbaren Architektur zusammen und führen mehrere Innovationsströme parallel und ohne künstliche  Engpässe aus. Dies ermöglicht sich selbst verbessernde Innovationsmaschinen, die sich in Echtzeit an veränderte Marktbedingungen anpassen. Im E-Commerce beispielsweise kann GenAI das Produktangebot auf der Grundlage des sich verändernden Verbraucherverhaltens selbstständig anpassen. In der Fertigung lassen sich Lieferketten oder Produktionslinien neu kalibrieren, um Verschwendung zu reduzieren und den Durchsatz zu optimieren.

Dennoch bleibt der menschliche Innovator bei der Festlegung von Richtung, Ethik und Werten unverzichtbar. Die agentenbasierte KI braucht ein Ziel und einen Zweck, der auf menschlichem Urteilsvermögen beruht, um sicherzustellen, dass die Innovationen sowohl mit den Unternehmenszielen als auch mit den Bedürfnissen der Gesellschaft in Einklang stehen.

Studie zum Grad der Akzeptanz von GenAI unter WHU-Studierenden

Eine an der WHU durchgeführte Längsschnittstudie, an der zwischen August und November 2024 insgesamt 220 Studierende teilnahmen, zeigt, dass die nächste Generation von Innovatoren bereits die Nutzung vieler GenAI-Tools verinnerlicht hat. Mehr als ein Drittel der Umfrageteilnehmer:innen nutzt GenAI täglich. Ihr Verhältnis zu KI ist pragmatisch: Sie fürchten sich nicht davor, von der Technologie ersetzt zu werden, sondern sehen sie als kognitiven Katalysator, der ihre Fähigkeit, neue, kreative Ideen und Lösungen zu entwickeln, fördert. Zwar herrschen unterschiedliche Einschätzungen vor zu der Frage, ob bestimmte Fähigkeiten ersetzt werden könnten, aber letztlich fürchtet die Mehrheit der Umfrageteilnehmer:innen nicht, dass GenAI ihre Aufgaben in der Zukunft vollständig übernehmen könnte. 

58 Prozent der Teilnehmenden waren der Meinung, dass sie nach dem strukturierten Umgang mit GenAI ein größeres Vertrauen in ihre kreativen Fähigkeiten bei der Entwicklung von Geschäftsmodellen haben; fast die Hälfte gab an, dass GenAI zu innovativeren Ergebnissen führt. Vor allem aber nutzten die Studierenden GenAI nicht, um ihre eigene Kreativität zu ersetzen, sondern um schneller Ideen zu finden, Probleme zu identifizieren und potenziellen Kunden einen echten Mehrwert zu bieten – alles Prozesse, die traditionell bei Innovationen die meiste Zeit in Anspruch nehmen. 

Dabei sollte nicht vergessen werden, dass der Einsatz von GenAI keinesfalls das Lernen von Grundlagen ersetzen kann. Die Studierenden müssen zunächst die grundlegenden Prinzipien, die Struktur und die Logik des Innovationsprozesses verstehen, bevor sie KI-Werkzeuge zu dessen Beschleunigung einsetzen können. Ohne diese Grundkenntnisse besteht die Gefahr, dass wesentliche Teile der Problemstellung, des Kundenverständnisses und der Wertschöpfung übergangen werden. Mit anderen Worten: Die Leistungsfähigkeit von GenAI kann nur dann voll ausgeschöpft werden, wenn sie auf einem umfassenden Verständnis der Grundlagen beruht. Seit Anfang des Jahres arbeitet die WHU als erste deutsche Wirtschaftshochschule eng mit OpenAI zusammen, um die Studierenden zu ermutigen, das Potenzial von GenAI zu erfassen. Dabei wird großer Wert daraufgelegt, die Technologie als Ganzes – mit Chancen und Risiken – zu begreifen und sie nicht gedankenlos einzusetzen.

Vom Werkzeug zum Partner

Zusammengenommen stehen diese drei Wellen für einen Wandel im Innovationsprozess selbst. GenAI ist nicht nur ein Hilfsmittel, sondern entwickelt sich rasch zu einem Mitgestalter und Partner. Das erfordert neue Rollen, Denkweisen und Strukturen. Der Erfolg hängt dabei nicht allein vom Einsatz der Technologie ab, sondern von der Bereitschaft der Menschen, sich auf die KI einzulassen, sie als Partner zu betrachten und dabei strategisches Denken, kreative Intuition und moralische Konzepte in den Prozess einzubringen.

Autor des Artikels

Prof. Dr. Dries Faems

Dries Faems ist Inhaber des Lehrstuhls für Entrepreneurship, Innovation and Technological Transformation an der WHU – Otto Beisheim School of Management. Er ist Experte für Zusammenarbeit bei Innovationen. In seiner Forschung und Lehre befasst sich Prof. Faems mit Inhalten wie Allianzen für Forschung und Entwicklung, Zusammenarbeit bei der digitalen Transformation und Innovations-Ökosystemen. Er koordiniert außerdem den WHU Innovation Ecosystem Hub, der darauf abzielt, Wissenschaft und Praxis bei der Zusammenarbeit für gemeinsame Innovationen zu vernetzen. 

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