Wie eine verbesserte Kapazitätsplanung und Gebühren für das Flugverkehrsmanagement Luftfahrtemissionen erheblich reduzieren können
Jan-Rasmus Künnen / Arne K. Strauss - 01. Juni 2022
Die Luftfahrt ist für etwa 4 Prozent aller anthropogenen (oder menschengemachten) Treibhausgasemissionen in Europa verantwortlich. Um die Luftfahrtemissionen bis 2050 um 90 Prozent zu senken, hat die EU-Kommission ein Bündel von Maßnahmen vorgeschlagen – von einer Flotte effizienterer Flugzeuge über die Entwicklung nachhaltiger Flugkraftstoffe bis hin zu einem verbesserten Flugverkehrsmanagement (Air Traffic Management oder ATM). Das ATM trägt Sorge dafür, dass allen Flugzeugen beim Durchfliegen eines bestimmten Luftraums eine sichere Route zugewiesen wird, was erfordert, dass die Fluglotsen die Flüge genau überwachen und präzise leiten. In einer idealen Welt würde jedem Flug der kürzeste Weg (gemessen an der Entfernung) zwischen seinem Start- und Zielort zur Verfügung stehen. Insbesondere in Europa gibt es jedoch mindestens zwei Gründe, warum dies nicht immer der Fall ist:
- Viele Flüge werden von der kürzesten Route umgeleitet, weil es nicht genügend Kapazitäten bei der Luftraumüberwachung gibt (weil etwa zu wenige Fluglotsen zur Verfügung stehen).
- Fluggesellschaften planen in einigen Fällen absichtlich längere Routen, um so Länder zu umfliegen, die hohe Überfluggebühren erheben (also die Kosten, die Fluggesellschaften entstehen, wenn sie das jeweilige ATM in Anspruch nehmen).
Wie kleine Anpassungen beim ATM große Effekte auf die Umwelt haben können
Forscher der WHU kommen in einer neuen Studie zu der Erkenntnis, wie die beiden zuvor genannten Probleme angegangen werden können: einerseits mit einem netzwerkorientierten Ansatz bei der Kapazitätsplanung, der die Verfügbarkeit von Kapazitäten über alle Lufträume hinweg optimiert. Andererseits mit einer länderunabhängigen einheitlichen Überfluggebühr, die es für Airlines überflüssig macht, längere Routen zu planen.
Das Forschungsteam nutzte im Anschluss reale Daten von bis zu 4.000 Flügen im europäischen Luftraum, um die Auswirkungen der Lösungsansätze auf die Flugeffizienz und die Emissionen zu analysieren. Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass ein netzwerkorientierter Ansatz die Kapazitätskosten um 2,7 Prozent erhöhen, die Gesamtkosten (einschließlich der Kosten für die Bereitstellung von Fluglotsen sowie der Kosten, die durch mögliche Verspätungen und Umleitungen entstehen) jedoch um über 25 Prozent reduzieren würde. Noch wichtiger ist, dass die durch die Umleitung von Flügen verursachten Emissionen mit dieser Methode um etwa 45 Prozent verringert werden könnten. Darüber hinaus könnte eine länderunabhängige Überfluggebühr die Kosten im gesamten Netzwerk um 11 Prozent senken und im europäischen Luftraum zu Einsparungen von rund 320.000 Tonnen CO2 pro Jahr führen. Dabei muss jedoch beachtet werden, dass die derzeitigen ATM-Kapazitäten auf die bestehenden Streckenpräferenzen der Airlines abgestimmt sind. Daher können die potenziellen Vorteile einer länderunabhängigen Überfluggebühr nur dann zum Tragen kommen, wenn die verfügbaren Kapazitäten an die neu geplanten Strecken angepasst werden.
Wichtig ist zu erwähnen, dass im Gegensatz zu nachhaltigen Flugkraftstoffen oder wasserstoffbetriebenen Flugzeugen das verbesserte ATM keine technologischen Durchbrüche erfordert. Die Maßnahmen könnten, sofern Einigkeit auf politischer Ebene besteht, kurz- bis mittelfristig umgesetzt werden.
Tipps für Praktiker
- Achten Sie darauf, dass Sie Emissionen aktiv in Ihre betrieblichen Entscheidungsprozesse einbeziehen. Dies ist der erste Schritt zur Erreichung ehrgeiziger Emissionsziele.
- Treffen Sie Entscheidungen zur Kapazitätsplanung für Lufträume nicht isoliert für eine Einheit, sondern beziehen Sie immer auch Netzwerkeffekte in die Betrachtung mit ein.
- Denken Sie daran, dass die Preisgestaltung ein wirksames Instrument ist, um die Nachfrage (d. h. die Kundenpräferenzen) mit der Umwelt in Einklang zu bringen. Wenn Kunden von Natur aus ein emissionsstärkeres Produkt bevorzugen, kann eine differenzierte Preisgestaltung dazu beitragen, diese Präferenzen anzupassen.
Literaturverweis und Methodik
Die Studie ist Bestandteil des übergeordneten Forschungsprojekts CADENZA, welches von der Europäischen Kommission finanziert wird (Horizon 2020). An dem Projekt wirken zahlreiche Partneruniversitäten, Eurocontrol und Berater aus der Wirtschaft mit.
- Künnen, J.-R./Strauss, A./Starita, S./Fichert, F./Ivanov, N./Jovanovic, J. (2022): Leveraging demand-capacity balancing to reduce air traffic emissions and improve overall network performance, WHU Arbeitspapier.
Co-Autoren der Studie
Jan-Rasmus Künnen
Jan-Rasmus Künnen ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Demand Management & Sustainable Transport an der WHU. Sein Forschungsinteresse gilt der Anwendung quantitativer Methoden (Optimierung, Spieltheorie, Modellierung) auf Transport- und Logistikprobleme. In seiner Doktorarbeit beschäftigt er sich mit der Entwicklung mathematischer Modelle zum Ausgleich von Nachfrage und Kapazität im europäischen Luftverkehrsmanagement. Zuvor arbeitete er als Berater bei McKinsey & Company, wo er sich auf die Umgestaltung von Lieferketten und Betriebsabläufen spezialisierte.
Prof. Dr. Arne K. Strauss
Prof. Dr. Arne K. Strauss ist Inhaber des Lehrstuhls für Demand Management & Sustainable Transport an der WHU – Otto Beisheim School of Management. Er ist spezialisiert auf die Anwendung mathematischer Modelle auf betriebswirtschaftliche Fragestellungen, insbesondere für die Bereiche Nachfragemanagement und Verkehr. Zuvor war er außerordentlicher Professor für Operational Research in der Operations Group der Warwick Business School und Turing Fellow am Alan-Turing-Institute in London. Für seine Forschung wurde er mehrfach ausgezeichnet und ist derzeit Mitglied des Strategic Advisory Teams (Mathematische Wissenschaften) des British Engineering and Physical Sciences Research Council.