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19.03.2021

Lehren aus den Anfängen des E-Commerce in Familienunternehmen

Während die Versandhandelsbranche früher selbst für große Umbrüche sorgte, haben einige der Unternehmen mehr zu kämpfen als andere, wenn neue…

Julia de Groote - 19. März 2021

Tipps für Praktiker

In seinen Anfängen war der Versandhandel höchst innovativ und stellte eine Bedrohung für etablierte Einzelhandelsunternehmen dar. Zum Zeitpunkt des Aufkommens des E-Commerce verfügten die Unternehmen des traditionellen Versandhandels über jahrzehntelange Erfahrungen in Logistik, Einkauf und Marketing. In den 1990er Jahren ging es diesen Firmen wirtschaftlich hervorragend. Daher wäre zu erwarten gewesen, dass diese Firmen mit dem Aufkommen des Internets einen Vorsprung gegenüber neuen Marktteilnehmern haben würden und ihre Geschäfte hätten ausbauen und Marktführer bleiben müssen.

Jäger werden zu Gejagten

Es war jedoch teilweise eben dieser Erfolg, der sie verwundbar machte. Das Selbstvertrauen in der Branche war insgesamt stark ausgeprägt. Oder wie es ein Befragter in unserer Studie ausdrückte: "Wir hatten (...) diese neuen Wettbewerber nicht im Fokus und sahen sie nicht als ernsthafte Konkurrenz an, im Gegenteil, wir sagten, wir werden sie hinter uns lassen. Wenn wir uns anstrengen, können wir sie überholen." In einigen Firmen glaubten die Führungsteams einfach "nicht an diese Sache mit dem Internet". Wie wir heute wissen, wurden sie eines Besseren belehrt und Firmen wie Amazon und Alibaba haben Geschichte geschrieben.

Disruptive Branchenveränderungen – wie reagieren Familienunternehmen darauf?

Basierend auf unseren Daten, die aus Interviews mit Top-Managern, Eigentümerfamilienmitgliedern, Branchenexperten und Sekundärdaten wie Unternehmensberichten und Websites bestehen, haben wir zwei entscheidende Phasen zwischen dem Aufkommen des Internets und damit der Möglichkeit, in den E-Commerce einzusteigen, und den Reaktionen der Familienunternehmen identifiziert und diese Erkenntnisse in ein Prozessmodell integriert.

In den späten 1990er Jahren wurden alle Unternehmen unserer Studie auf das Internet als neue Technologie und potenziellen Vertriebskanal aufmerksam. Die Art und Weise, wie sie damit umgingen, und vor allem ihr Erfolg aufgrund ihrer Reaktion waren jedoch sehr unterschiedlich. Während einige von ihnen selbst zu den erfolgreichsten Online-Händlern in Deutschland aufstiegen, mussten andere ihr Geschäft vollständig aufgeben. Die erste Phase der Reaktion beinhaltet das Wahrnehmen der neuen Technologie als Chance (Opportunity Recognition), die zweite Phase die Umsetzung von Veränderungen im Unternehmen, die die neue Technologie nutzen (Opportunity Implementation). In beiden Phasen spielen familienunternehmensspezifische Einflüsse eine wichtige Rolle und können die Handlungen der Unternehmen katalysieren.

Wahrnehmungsfilter hindern die etablierten Unternehmen daran, die neue disruptive Technologie als Chance zu begreifen und entsprechend zu handeln. Konkret haben wir in unserer Analyse vier Wahrnehmungsfilter identifiziert: Festhalten an Spielregeln, früherer Erfolg, Innovationskultur und geteilter Fokus. Fast alle Befragten gaben an, dass sie Anfang/Mitte der 1990er Jahre auf das Internet aufmerksam wurden, also etwa zu der Zeit, als die ersten Online-Händler ihre Geschäfte in den USA aufnahmen. Diese Bekanntheit bedeutete jedoch nicht, dass die Führungskräfte das Internet zu diesem Zeitpunkt als relevant für ihre Unternehmen erachteten. Bis auf sehr seltene Ausnahmen sahen die Führungskräfte keinen Grund zu reagieren.

Bei der Umsetzung von Chancen können die Geschichte und der Status quo, was wir als „unternehmerisches Gepäck“ bezeichnen, der Nutzung neuer Entwicklungen im Weg stehen. Unsere Daten zeigen, dass finanzielle Einschränkungen, bestehende Kunden sowie Strukturen und Hierarchien wichtige Faktoren dafür waren, wie die Unternehmen mit der Veränderung umgingen. Für die etablierten Unternehmen bedeutete der Aufbau von Strukturen für den neuen E-Commerce-Kanal, dass sie große Investitionen tätigen mussten. Mehrere Interviewpartner gaben an, dass nicht nur der Aufbau dieser Strukturen teuer war, sondern gleichzeitig die bestehenden Geschäfte weiterlaufen und sich entwickeln mussten, weil noch nicht absehbar war, ob E-Commerce wirklich erfolgreich sein würde. Daher vermieden es die Unternehmen, übermäßige Risiken einzugehen, indem sie zu viele Ressourcen für ein noch unbekanntes Geschäft bereitstellten. Die von den etablierten Unternehmen ursprünglich erhoffte Kompensation (d.h. das Ersetzen von teuren Katalogen durch den vergleichsweise günstigeren Kontakt über das Internet) konnte nicht in kurzer Zeit realisiert werden. Gleichzeitig entstanden den Unternehmen zusätzliche Kosten für den Aufbau und Betrieb von z. B. Online-Plattformen und weitere Marketingkosten. Folglich konnten die etablierten Unternehmen auf der Kostenseite nicht mit den neuen Marktteilnehmern konkurrieren.

Im Vergleich zu vielen der neuen Marktteilnehmer, die durch Risikokapital finanziert wurden oder bereits an der Börse notiert waren, war der Zugang zu Kapital für die etablierten Unternehmen eher schwierig, und notwendige große Investitionen wurden nicht in vollem Umfang getätigt. Diese Einschränkung erleichterte es den Neueinsteigern auch, ihre Geschäfte zu erweitern, ohne dass sie mit dem entsprechenden Widerstand der etablierten Unternehmen konfrontiert wurden.

Die Rolle des „Familiendisruptors“

Wir stellten fest, dass in den meisten Firmen einige Personen den Prozess vorantrieben, das Geschäftsmodell in Richtung Online-Anwendungen und Tests zu verschieben und E-Commerce einzuführen. Wie die Firmen darauf reagierten, hing stark davon ab, wer das Thema vorantrieb. Die Mehrheit der familienexternen Vorstände gab an, dass sie sich des Themas bewusst waren, es aber nicht als Bedrohung ansahen. Außerdem war das Thema für die meisten von ihnen nicht attraktiv, weil es keine kurz- oder mittelfristigen Gewinne zu erzielen gab. Allerdings gab es auch Ausnahmen. Ein externer Manager gab an: "Ich kam durch die Vordertür rein und präsentierte meine Ideen, und wenn sie (die Vorstandsmitglieder) mich rausschmissen, kam ich durch die Hintertür wieder rein." Diese Bemühungen waren jedoch nicht sehr fruchtbar. Im Gegensatz dazu waren die Reaktionen in den Fällen, in denen ein Familienmitglied das Thema vorantrieb, offener. In einigen der jüngeren Firmen innerhalb der Stichprobe entschieden die Mitglieder der ersten Generation, die das Unternehmen noch leiteten, dass sie es "einfach tun mussten". In anderen etablierten Firmen drängten Mitglieder der nächsten Generation auf das Thema, oft konfrontiert mit irritierten Reaktionen von Mitgliedern des Vorstands. In diesen Fällen waren die etablierten Firmen besser in der Lage, mit den Veränderungen in der Branche umzugehen.

Tipps für Praktiker

  • Seien Sie sich bewusst, dass die Wahrnehmung Ihrer Organisation von Marktsignalen durch Wahrnehmungsfilter verzerrt ist.
  • Seien Sie sich bewusst, dass "das nächste große Ding" wahrscheinlich nicht vor Ihrer Haustür passiert, und achten Sie darauf, verschiedene und zuverlässige Informationskanäle zu nutzen.
  • Fördern Sie die Vielfalt in den Führungsgremien, um blinde Flecken zu vermeiden.
  • Hören Sie auf die Ideen der nächsten Generation - auch wenn sie Ihren Erfahrungen zu widersprechen scheinen.
  • Pflegen Sie eine Innovationskultur, die "Versuch und Irrtum" belohnt. Wenn dies nicht für das gesamte Unternehmen machbar ist, kann die Trennung von neuen und alten Aktivitäten, zum Beispiel durch die Gründung eines Spin-offs, ein Schritt zum Erfolg sein.

Literaturverweis

Co-Autorin der Studie

Juniorprof. Dr. Julia de Groote

Julia de Groote ist Merck Finck Juniorprofessorin für Familienunternehmen am Institut für Familienunternehmen & Mittelstand. Ihre Forschung und Lehre beschäftigen sich damit, wie (Familien-)Unternehmen durch Innovation und Führung nachhaltig erfolgreich sein können.

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