Was Unternehmen tun können, um die negativen Folgen des anstrengenden Weges zur Arbeit aufzufangen
Fabiola H. Gerpott - 01. Juni 2021
Mit den steigenden Impfraten hält allmählich auch wieder die Normalität Einzug im Alltag. In der Folge erwarten immer mehr Unternehmen von ihren Mitarbeitenden, dass sie zumindest für ein paar Tage pro Woche ins Büro zurückkehren. Entsprechend müssen die meisten Arbeitnehmer dann wieder pendeln. Damit kehren für viele auch morgendliche Ärgernisse wie verspätete Züge oder Staus zurück in das tägliche Leben. Eine aktuelle Studie zeigt, dass sich die morgendlichen Erlebnisse beim Pendeln negativ auf die Produktivität der Mitarbeitenden auswirken und auch den Arbeitsfluss hemmen können. In anderen Worten: Stress auf dem Weg zu Arbeit kann dazu führen, dass während der Arbeit die volle Motivation gar nicht mehr erreicht wird.
Wie sich das Pendeln auf Engagement und Arbeitsfluss auswirkt
Um die Auswirkungen des Pendelns auf die Effizienz von Mitarbeitenden bei der Arbeit zu untersuchen, führte ein internationales Forscherteam zwei Studien durch. In den Studien beantworteten Arbeitnehmer, die regelmäßig mit dem Auto, den öffentlichen Verkehrsmitteln oder zu Fuß bzw. mit dem Fahrrad zur Arbeit pendelten, über einen Zeitraum von zehn Tagen täglich drei Fragebögen. In den Umfragen machten die Studienteilnehmenden Angaben zu ihren Pendel- und Arbeitserfahrungen am jeweiligen Tag.
Im ersten Teil wurde untersucht, wie sich negative Erfahrungen beim morgendlichen Pendeln auf Arbeitsengagement und Arbeitsfluss der Mitarbeitenden auswirken. Es stellte sich heraus, dass negative Erlebnisse während des morgendlichen Pendelns zu schlechteren Arbeitsabläufen führen und sich darüber hinaus negativ auf das Engagement der Angestellten auswirkten. Dieser negative Zusammenhang besteht jedoch nur dann, wenn Mitarbeitende bei der Arbeit über eine hohe Impulskontrolle verfügen müssen, beispielsweise bei der Interaktion mit einem unfreundlichen Kunden oder Kollegen.
Während sich die erste Studie auf die direkten Auswirkungen negativer Umstände beim Pendeln konzentrierte, ging es in der zweiten Studie darum zu verstehen, warum diese Produktivitätseinbrüche durch das Pendeln entstehen können. Die Forscher fanden heraus, dass die sogenannte Selbsterschöpfung („ego depletion“) essenziell ist. Ein stressiger Weg zur Arbeit erschöpft die Fähigkeit, sich selbst für anstrengende Aufgabe zu motivieren, weswegen ein anstrengender Arbeitsalltag im Anschluss schlechter bewältigt werden kann.
Die negativen Auswirkungen des Pendelns abfedern
Grund zu verzweifeln ist das nicht, denn es gibt eine Reihe von Strategien, um die negativen Auswirkungen des Pendelns auszuschalten oder zumindest abzufedern. Wenn Pendler merken, dass sie gestresst bei der Arbeit ankommen, kann schon ein kurzer Plausch mit einem Kollegen oder eine kurze Achtsamkeitsübung vor dem Arbeitsbeginn helfen, die negativen Effekte abzufedern. Außerdem sollten Pendler versuchen, ihre Arbeit so zu strukturieren, dass verbrauchte Energie wieder aufgefüllt wird. Zum Beispiel hilft es mit einer Aufgabe zu beginnen, die zu schnellem Erfolg führt. Schließlich ist es für Pendler empfehlenswert, Arbeitsanforderungen zu reduzieren, die zusätzliche Energie kosten. Monotone Aufgaben sollten sich mit herausfordernden abwechseln, und vor Beginn einer Aufgabe sollten angemessene Fristen gesetzt werden.
Aber auch die Unternehmen können ihre Mitarbeitenden dabei unterstützen, die negativen Auswirkungen des Pendelns abzumildern. Eine der effektivsten Maßnahmen ist es, flexible Arbeitszeiten zu ermöglichen, so dass Arbeitnehmer nicht zu Stoßzeiten pendeln müssen. Alternativ können Unternehmen das Pendeln auch ganz abschaffen und die Mitarbeitenden vermehrt von zu Hause aus arbeiten lassen – dann allerdings muss auf ausreichend sozialen Austausch geachtet werden. Zusätzlich sollten Führungskräfte darin geschult werden, die Arbeit von Angestellten vorteilhafter zu gestalten, zum Beispiel, indem sie Freiheit bei der Entscheidungsfindung und Aufgabenausführung gewähren. Schließlich können Organisationen die Abläufe so strukturieren, dass Mitarbeitende in ihrem Arbeitsfluss nicht ständigen Unterbrechungen ausgesetzt sind.
Tipps für Praktiker
- Verhindern Sie Stress auf dem Weg zur Arbeit: Reduzieren Sie als Arbeitgeber das kräftezehrende Pendeln Ihrer Angestellten, indem Sie flexible Arbeitsregelungen und Homeoffice ermöglichen. Wenn dies nicht möglich ist, bieten Sie den Mitarbeitenden zumindest flexible Arbeitszeitregelungen an, um den Arbeitsweg weniger belastend zu gestalten.
- Stellen Sie als Führungskraft sicher, dass Sie die grundlegenden Bedürfnisse Ihrer Mitarbeitenden erfüllen, indem Sie ihnen Aufgaben zuweisen, die ihre Kompetenzen fördern. Gewähren Sie Ihren Angestellten, wo möglich, autonome Entscheidungsfindung.
- Seien Sie klug in der Gestaltung der Arbeit: Schaffen Sie Rahmenbedingungen, die Ihren Mitarbeitenden helfen, einen stetigen Arbeitsfluss aufrechtzuerhalten, indem Sie Unterbrechungen während der konzentrierten Arbeit verhindern.
Literaturverweis und Methodik
Es wurden zwei Studien während jeweils zehn Arbeitstagen durchgeführt. In der ersten Studie wurden 53 Teilnehmer gebeten, drei Fragebögen pro Tag zu beantworten. Sie sollten beschreiben, welche Erfahrungen sie beim Pendeln gemacht haben und wie sich anschließend ihr Arbeitsfluss darstellte. Um den Grad des Engagements bei der Arbeit festzustellen, wurden die Teilnehmer beispielsweise gebeten anzugeben, wie kraftvoll und motiviert sie sich bei der Arbeit fühlten.
In der zweiten Studie sollten 91 Mitarbeitende, ebenfalls in drei Umfragen pro Tag, beantworten, wie stark sie beispielsweise ihre Willenskraft bei der Arbeit einschätzten. Auf diese Weise wurde die Rolle der Selbsterschöpfung als zusätzlicher Einflussfaktor im Zusammenwirken von negativem Pendelerlebnis am Morgen und der Arbeitseffizienz getestet. Die zweite Studie bestätigte die Annahme, dass sich das Pendeln, die Kompetenz des Arbeitsnehmers und sein Wunsch nach einem erfüllten Arbeitsalltag gegenseitig beeinflussen.
- Gerpott, F./Rivkin, W./Unger, D. (2021): Stop and Go, Where is My Flow? How and When Daily Aversive Morning Commutes are Negatively Related to Employees' Motivational States and Behavior at Work, in: Journal of Applied Psychology. April 2021.
Co-Autorin der Studie
Prof. Dr. Fabiola Gerpott
Fabiola Gerpott ist Expertin für Leadership, Diversitätsmanagement und organisationales Verhalten an der WHU – Otto Beisheim School of Management. Sie engagiert sich dafür, dass Vielfalt von Führungskräften und Mitarbeitern in Organisationen mehr Wertschätzung erfährt. Außerdem interessiert sie sich für die Zukunft der Arbeit und wie Führung zu einer besseren Gestaltung der Arbeitswelt 4.0 beitragen kann.