Es ist Zeit, dass deutsche Politiker den Unterschied zwischen Erfindungen und Innovationen deutlich erkennen
Dries Faems - 23. September 2021
- Expertenmeinung -
Alle Kanzlerkandidaten haben es in den vergangenen Wochen angesprochen: wie wichtig Deutschlands Innovationskraft für die Lösung der drängendsten gesellschaftlichen Probleme des Landes ist. Armin Laschet, Olaf Scholz und Annalena Baerbock verweisen immer wieder auf Deutschlands historisch gewachsene Rolle als weltweiter Technologieführer und rechtfertigen damit ihren Optimismus, wenn es um die Bewältigung zentraler Probleme wie den Klimawandel oder soziale Ungerechtigkeiten geht.
Schon auf den ersten Blick stellen die Ergebnisse des Global Innovation Index 2021, der kürzlich von der Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO) veröffentlicht wurde, dieses Bild der Politiker von Deutschland als Innovationsführer infrage. Olympisches Gold ist jedenfalls nicht in Sicht. Ganz im Gegenteil: Während Deutschland in den Jahren zuvor stetig auf Platz 9 rangierte, fiel es im aktuellen Index weiter auf Platz 10 zurück.
Woher kommt nun diese Diskrepanz zwischen der Wahrnehmung der Politiker und der Faktenlage? Eine Erklärung bietet sich an: Deutschen Politikerinnen und Politikern scheint nicht bewusst zu sein, dass es einen Unterschied zwischen Erfindungen und Innovationen gibt. Während es für Erfindungen neue Ideen und Technologien braucht, müssen solche Ideen und Technologien zu marktfähigen Produkten oder Dienstleistungen weiterentwickelt werden, damit man von Innovationen sprechen kann.
Der aktuelle Global Innovation Index zeigt deutlich, dass Deutschland tatsächlich unglaublich produktiv ist, was Erfindungen betrifft. So ist das Land weltweit führend in Patenteinreichungen. Dies lässt den Schluss zu, dass es in der deutschen Industrie einen Ideenreichtum gibt, der das Potenzial hat, die Welt zu verändern. Allein, es scheint hierzulande schwerzufallen, diese neuen Ideen auch in Produkte und Dienstleistungen umzusetzen. Auch hierfür liefert der Global Innovation Index 2021 mögliche Gründe: Deutschlands Schwachstelle ist die Digitalisierung, in der es deutlich hinterherhinkt. So liegt es in der Kategorie „E-Participation“ (Anwendung von digitalen Technologien) in diesem Jahr lediglich auf Platz 57 (Platz 23 in 2020). Auch in der Kategorie „Government’s online services” (Onlinedienste der Regierung) stürzte Deutschland von Platz 17 in 2020 auf Platz 59 in 2021 ab.
Insgesamt kann Deutschland stolz auf seinen Erfindungsreichtum sein. Doch haben Erfindungen nur dann einen Nutzen für die Gesellschaft, wenn sie in neue Produkte und Dienstleistungen einfließen. Die dafür notwendigen Entwicklungsschritte sind jedoch nur möglich, wenn es eine starke private und öffentliche infrastrukturelle Basis gibt. Zudem braucht es die Fähigkeit, digitale Geschäftsmodelle zu entwickeln. Und genau an dieser Stelle hinkt Deutschland hinterher.
Die dringende Empfehlung an die neue Bundesregierung ist demnach, Innovation und Digitalisierung als zwei Seiten einer Medaille zu betrachten. Sie muss erkennen, dass umfangreiche Maßnahmen zur Integration und Koordination der verschiedenen Bereiche gefordert sind, um Deutschland in Sachen Innovationen wieder zu einem weltweiten Vorreiter zu machen.
Tipps für Praktiker
- Beachten Sie den Unterschied zwischen Erfindungen und Innovationen! Nicht jede gute Idee wird als neues Produkt oder neue Dienstleistung den Markt erobern.
- Als Unternehmen oder Politiker müssen Sie Investitionen in die digitale Infrastruktur weiter beschleunigen, um das außergewöhnlich breite Spektrum an Erfindungen, die Deutschland hervorbringt, auch wirtschaftlich nutzbar zu machen.
- Betrachten Sie Digitalisierungs- und Innovationspolitik als die zwei Seiten ein und derselben Medaille!
Literaturverweis
Der Global Innovation Index 2021 steht hier zum Download zur Verfügung: https://www.wipo.int/global_innovation_index/en/2021/
Autor des Artikels
Professor Dr. Dries Faems
Dries Faems ist Inhaber des Lehrstuhls für Entrepreneurship, Innovation and Technological Transformation an der WHU – Otto Beisheim School of Management. Er ist Experte für Zusammenarbeit bei Innovationen. In seiner Forschung und Lehre befasst sich Prof. Faems mit Inhalten wie Allianzen für Forschung und Entwicklung, Zusammenarbeit bei der digitalen Transformation und Innovations-Ökosystemen. Er koordiniert außerdem den WHU Innovation Ecosystem Hub, der darauf abzielt, Wissenschaft und Praxis bei der Zusammenarbeit für gemeinsame Innovationen zu vernetzen.