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25.10.2023

Wie Europas Vorstandsvorsitzende sich verändern müssen

Sie sollen durch Disruptionen führen und geopolitisch erfolgreich agieren. Aktuelle Daten zeigen, wo CEOs gut aufgestellt sind und wo neue…

Serden Özcan / Ayse Karaevli - 25. November 2023

Tipps für Praktiker 

 

Geopolitische Spannungen, schnell wechselnde ökonomische Trends, technologische Umbrüche und sich ändernde Anforderungen von Angestellten – selten zuvor waren CEOs großer Konzerne mit derart vielen und tiefgreifenden Herausforderungen konfrontiert. Viele Jahrzehnte lang haben europäische Unternehmen die internationalen Märkte dominiert, doch in den vergangenen Jahren scheinen sie an Stärke und Einfluss zu verlieren. Befanden sich vor nur einem Jahrzehnt noch 21 europäische Unternehmen unter den Top 50 des Fortune-Global-500-Rankings, hat sich diese Zahl bis heute mehr als halbiert.    

Es wird deshalb Zeit, den Blick auf die Führungsspitze der größten europäischen Konzerne zu lenken und sich zu fragen: Droht ihnen international weiterer Bedeutungsverlust oder finden sie zu ihrer alten Stärke zurück? Um darauf eine Antwort zu finden, wurden die Daten der CEOs der 600 größten Unternehmen in Europa analysiert. Das Ergebnis: Besonders in vier Bereichen müssen europäische CEOs künftig effektiver navigieren, um mit ihren Unternehmen weiterhin erfolgreich bleiben zu können.

01. Durch disruptive Veränderungen führen

Schon heute müssen CEOs mit gravierenden Veränderungen wie neuen Wettbewerbern und Regularien, gestörten Lieferketten sowie dem wachsenden Einfluss von Konsumenten umgehen. Um diese Herausforderungen zu meistern, brauchen sie frisches Denken, innovative Ideen und die Bereitschaft, bestehende Geschäftsmodelle permanent zu hinterfragen und weiterzuentwickeln.

CEOs europäischer Unternehmen haben in dieser Hinsicht aktuell noch Nachholbedarf. Nicht nur bleiben sie seit 2009 beinahe kontinuierlich länger im Amt, auch ihr Durchschnittsalter nimmt konstant zu. Das erschwert es ihnen, im Vergleich zu jüngeren Top-Managern, auf disruptive Veränderungen agil zu reagieren. Eine positive Entwicklung zeigt sich im Anteil weiblicher CEOs und von CEOs, die aus anderen Unternehmen stammen. Denn dieser hat im gleichen Zeitraum im europäischen Schnitt deutlich zugenommen. Sie bringen neue Ideen und Perspektiven ein, mit denen sich Disruptionen meistern lassen. Während das Vereinigten Königreich, Finnland und Schweden schon sehr gut auf die Auswirkungen von Disruptionen reagieren, gibt es besonders in Deutschland und Frankreich allerdings noch Nachholbedarf.

02. Komplexe Organisationen und ihre Ökosysteme effektiv managen

Die Art, wie sie immer komplexer werdender Organisationen und die sie umgebenden Ökosysteme managen, wird für den Erfolg von CEOs immer bedeutender. Der zunehmende Umfang weltweiter Geschäftsbeziehungen, gegenseitige Abhängigkeiten von Unternehmen, eine diversere Gruppe von Stakeholdern und neue Arbeitsmodelle sind dabei nur einige der Faktoren, die eine Rolle spielen. Deshalb ist es wichtig, den Werdegang der CEOs zu analysieren und daraus abzuleiten, ob sie die nötige Erfahrung haben und fachlich breit genug aufgestellt sind, um komplexe Sachlagen zu managen.

Nützlich ist europäischen CEOs dabei, dass sie vor ihrer CEO-Rolle immer öfter in einer größeren Anzahl an Unternehmen gearbeitet haben und mit komplexen Sachverhalten dadurch vertraut sind. Zugute kommt europäischen Unternehmen außerdem, dass weniger ehemalige CFOs als früher die CEO-Rolle übernehmen. Vielmehr kommen zunehmend ehemalige COOs zum Zug, und sie bringen in der Regel einen generalistischeren Erfahrungsschatz mit. Auch die Branchen, in denen Manager vor ihrer CEO-Rolle tätig waren und welche akademische Ausbildung sie genossen haben, zeigen, dass sie sich zunehmend von Spezialisten zu Generalisten entwickeln – ein deutlicher Pluspunkt beim Management komplexer werdender Organisationen.

03. Geopolitische Herausforderungen bewältigen und Chancen auf internationalen Märkten ergreifen

Ein weiterer wichtiger Faktor für den Unternehmenserfolg ist, dass CEOs geopolitische Spannungen im Blick haben und mit den Besonderheiten wichtiger, internationaler Partner vertraut sind. Dabei sind nicht nur Handelsstreitigkeiten zwischen den Giganten USA und China von Bedeutung, sondern auch die Rolle immer selbstbewusster auftretender Schwellenländer.

CEOs in Europa verfügen heute über wesentlich bessere geopolitische Expertise als alle ihre Vorgänger. Sie haben in den vergangenen Jahren durchgehend mehr Erfahrungen im Ausland gesammelt und für längere Zeit in anderen Ländern gearbeitet. Dabei dominieren die USA als Zieldestination, während CEOs deutlich seltener Erfahrungen in Schwellenländern gemacht haben. Die starke Anbindung an die USA lässt darauf schließen, dass europäische CEOs sehr gut mit diesem Markt und der amerikanischen Kultur vertraut sind, was bei eventuellen Verwerfungen in der Zukunft bedeutsam sein kann. Die 600 größten europäischen Unternehmen sind jedoch auch zunehmend offener dafür, CEOs aus anderen Ländern zu engagieren. denn dies kann ihnen im internationalen Geschäft durchaus Türen öffnen.

04. Inklusive Organisationen mit „Purpose“ aufbauen

CEOs müssen sich zunehmend einer sich verändernden Arbeitswelt stellen. Angestellte fordern mehr Mitsprache, eine bessere Work-Life-Balance, eine inklusive Arbeitsumgebung und dass ihr Job nicht nur dem Lebensunterhalt und der Gewinnmaximierung des Unternehmens, sondern auch einem höheren Zweck dient. Traditionelle Unternehmensstrukturen und -praktiken müssen daher stetig hinterfragt und angepasst werden, um talentierte Mitarbeitende zu gewinnen und zu halten. Für CEOs ist es daher entscheidend, sensibler für die Belange der Angestellten zu werden, ihnen zuzuhören und Initiativen zu fördern, die der Arbeit „Purpose“ verleihen.

Wie bereit europäische CEOs in diesem Bereich für die Zukunft sind, zeigt ein Blick auf ihre Erfahrungen in Personalabteilungen. Auch wenn es zwischen den einzelnen Ländern Unterschiede gibt, ist der Anteil von CEOs, die im Personalwesen gearbeitet haben, seit 2009 kaum angestiegen. Erfahrungen in diesem Bereich sind für CEOs im Umgang mit den Mitarbeitenden überaus hilfreich. Gleiches gilt für Erfahrungen in Entwicklungsländern. Denn eine CEO-Position in einem Land mit großen ökonomischen und sozialen Unterschieden erfordert mehr Achtsamkeit, ist sinnstiftend und macht offener für die Bedürfnisse der Angestellten. Auch wenn der Anteil europäischer CEOs, die auch in Entwicklungsländern gearbeitet haben, seit Jahren steigt, bleibt er doch auf einem insgesamt niedrigen Niveau.

CEOs in Europa müssen am Ball bleiben, um international nicht abgehängt zu werden

Europäische Unternehmen und ihre CEOs befinden sich an einem wichtigen Wendepunkt. Sie müssen ihr Mindset fortlaufend weiterentwickeln und sich auf neue Herausforderungen einstellen, um im globalen Wettbewerb nicht an Bedeutung zu verlieren. Je nach Art der Herausforderung gibt es zwischen den europäischen Ländern große Unterschiede. Während beispielsweise CEOs in Deutschland und Norwegen schon sehr gut darin sind, der Arbeit „Purpose“ zu verleihen, hinken CEOs im Vereinigten Königreich und der Schweiz in diesem Bereich hinterher. Betrachtet man disruptive Veränderungen und das Management komplexer Organisationen, kehren sich die Vorzeichen jedoch um. Bei allen Unterschieden im europäischen Vergleich: CEOs müssen in Zukunft in jedem Fall agil bleiben, um die größten europäischen Unternehmen international wettbewerbsfähig zu halten.

Tipps für Praktiker

  • Erkennen Sie frühzeitig notwendige Veränderungen an der Unternehmensspitze.
  • Seien Sie auch offen für Kandidaten, die nicht unbedingt den traditionellen Karriereweg Ihrer CEOs durchschritten haben, sondern ggf. aus anderen Unternehmen, Branchen oder Ländern kommen.
  • Achten Sie bei der Neubesetzung der CEO-Position darauf, dass der Kandidat bzw. die Kandidatin über die Kompetenz verfügt, disruptive Transformationen voranzutreiben, komplexe Unternehmensökosysteme zu steuern und die Herausforderungen von globalen Märkten und geopolitischen Entwicklungen zu meistern. Beachten Sie, dass CEOs in Deutschland und anderen großen europäischen Ländern diese Kompetenz oftmals fehlt.
  • Suchen Sie nach Generalisten unter den Kandidaten. Nicht-lineare Lebensläufe, eine breite internationale Erfahrung sowie akademische Abschlüsse in unterschiedlichen Fachbereichen sind Indikatoren für entsprechende Vielseitigkeit.
  • Achten Sie auch auf eine breite internationale Erfahrung der Kandidaten, die sich nicht auf die Vereinigten Staaten beschränkt. Erfahrungen in wichtigen Schwellenländern in Südostasien, Lateinamerika oder Afrika sind besonders wertvoll. In den Profilen von CEOs großer europäischer Länder finden sich in der Regel solche Erfahrungen nicht.
  • Unterstützen Sie den CEO, indem Sie ggf. fehlende Erfahrung mit anderen Kulturkreisen und Organisationen in den wichtigsten Schwellenländern durch Kompetenzen anderer Vorstandsmitglieder ausgleichen.

Literaturverweise und Methodik

Für die Studie „Are European CEOs Future-ready? A Status Report on Europe's 600 Largest Corporations“ wurden exklusiv die Daten von 1.350 CEOs der 600 größten, europäischen Unternehmen analysiert. Detaillierte Ergebnisse der Studie und direkte Vergleiche der europäischen Länder finden Sie in:

Co-Autoren

Prof. Dr. Serden Özcan

Serden Özcan ist Inhaber des Stiftungslehrstuhls für Innovation und Corporate Transformation an der WHU – Otto Beisheim School of Management und Experte für Start-ups, Unternehmens­finanzen, privates Eigenkapital, aktivistische Aktionäre, Corporate Entrepreneurship und Unter­nehmens­transformation. Prof. Dr. Özcan wurde bereits mit zahlreichen internationalen Forschungs­preisen ausgezeichnet und seine Arbeiten werden regelmäßig in renommierten akademischen Zeitschriften publiziert. Außerdem ist er Gründungsvorstand des jährlichen Campus for Corporate Transformation an der WHU, bei dem hochrangige Führungskräfte aus den größten europäischen Unternehmen ihre Beobachtungen zu Unternehmenstransformationen teilen.

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Prof. Dr. Ayse Karaevli

Ayse Karaevli ist Professorin und Inhaberin des Lehrstuhls für Corporate Management and Change an der WHU – Otto Beisheim School of Management. Sie hat einen Doktortitel in Betriebswirtschaftslehre von der Boston University und hat ihre Post-Doc-Studien an der Kellogg School of Management an der Northwestern University abgeschlossen. Professor Karaevli ist Expertin für den Bereich Strategie mit Fokus auf strategischen und organisatorischen Wandel, der Nachfolge von CEOs, Teams im Spitzenmanagement und der Karriere von Führungskräften.

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