Eine neue Verbrauchererfahrung für Sportenthusiasten
Sascha L. Schmidt / Johannes Fühner - 19. Mai 2022
Spätestens seit Facebook sich im Oktober 2021 in „Meta“ umbenannt hat, ist der Begriff Metaverse in aller Munde. Doch dahinter verbirgt sich weit mehr als Facebook. Es geht um die nächste Evolutionsstufe des Internets, in der die physische und die digitale Welt miteinander verschmelzen. In der Tech-Szene wird diese virtuelle Parallelwelt schon lange kontrovers diskutiert. Mark Zuckerberg spricht vom „embodied internet“ – also dem „verkörperten Internet“ – welches soziale Medien, Gaming, Arbeitswelt, Freizeitveranstaltungen und Shopping gleichermaßen in einer dreidimensionalen Plattform vereint.
Das Marktpotenzial scheint gewaltig: Schätzungen von Morgan Stanley zu Folge beläuft sich der adressierbare Markt für das Metaverse auf unglaubliche acht Billionen US-Dollar. Allein im Jahr 2021 sind über zehn Milliarden US-Dollar Risikokapital in Startups geflossen, die sich mit dem Metaverse befassen. Ein Beispiel ist die australische Firma Animoca Brands, das mit seiner Vision eines offenen Metaverses eine Bewertung von rund fünf Milliarden US-Dollar erzielt. Ein wichtiges Betätigungsfeld des Unternehmens liegt im Sport, wo Animoca Brands unter anderem mit der Formel 1 zur Entwicklung eines blockchain-basierten Spiels kooperiert.
Eine wichtige Rolle im Metaverse spielen naturgemäß die üblichen Verdächtigen der Tech-Branche. So unterstrich Microsoft seine Ambitionen im Metaverse, indem es für 69 Milliarden US-Dollar den Gaming-Konzern Activision Blizzard übernahm. Zum Vergleich: Das entspricht in etwa der Marktkapitalisierung des Automobilherstellers BMW. Anhand dieser Akquisition wird auch deutlich, dass die Gaming-Industrie über eine große Nähe zum Metaverse verfügt. Für das Sportbusiness sind das gute Nachrichten, sofern die Verzahnung von traditionellem Sport und Gaming erfolgreich voranschreitet. Darüber hinaus gibt es zahlreiche Startups, die das Metaverse ins Zentrum ihrer Aktivitäten legen. Ein Beispiel hierfür ist die Metaverse-Plattform Roblox, auf der unter anderem bereits Nike und die NFL vertreten sind.
Die Wertschöpfungskette im Metaverse ist sehr vielschichtig und reicht über sieben Ebenen vom Kern der technischen Infrastruktur bis hin zu Erlebnissen im Gaming, Shopping oder eben auch im Sport. Aufgrund seiner emotionalen Wirkung bewegt sich das Sportbusiness dabei vor allem im Bereich „Experience“.
Doch welche Chancen bietet jetzt das Metaverse für verschiedene Stakeholder im Sportbusiness? Stehen wir vor dem „Next Big Thing“, mit dem sich der Sport unbedingt besser heute als morgen befassen sollte? Oder ist das Metaverse nur ein schnelllebiges Phänomen, das schon bald wieder verschwindet?
Clubs und Ligen wollen ein neues digitales Fanerlebnis schaffen
Ganz genau weiß heute noch niemand, wie das Metaverse einmal aussehen wird. Für Clubs und Ligen dürfte sich in Zukunft vor allem eine weitere interessante Chance bieten, mit jungen Zielgruppen zu interagieren und das Fanengagement zu stärken. Aufgrund der Markenstärke vieler Sportorganisationen sind die Voraussetzungen dabei grundsätzlich vielversprechend. Und so überrascht es nicht, dass einige etablierte Player bereits den Eintritt ins Metaverse gewagt haben und als „First mover“ im Sportbusiness agieren.
So sorgte die National Football League (NFL) im November 2021 mit der Ankündigung für Aufsehen, einen eigenen Store auf der Metaverse-Plattform Roblox zu eröffnen. Das kostenlose Online-Videogame gilt vielen als erster Ausblick, wie ein Metaverse künftig aussehen könnte. Hier können die Spieler Avatare erstellen, ihre eigenen Spielwelt aufbauen und an Spielen und Veranstaltungen teilnehmen. In dieser digitalen Welt sind nun auch Produkte von allen NFL-Teams zum Kauf verfügbar, die über die digitale Währung Robux bezahlt werden können. Das User Interface wurde vom Spezialanbieter Melon entwickelt. Der Wertbeitrag der NFL liegt vor allem in der Bereitstellung seiner Marke. Zuvor hatte bereits der spanische Top-Club FC Barcelona erste Erfahrungen gesammelt, indem er Roblox nutzte, um seine neuen Trikots vorzustellen.
Im Fußball gilt Manchester City durch seine Kooperation mit Sony als ein Pionier. Dem englischen Spitzenclub geht es vor allem darum, eine globale Online-Community ins Leben zu rufen, die Fans bislang so nicht kannten. Dort können sich Fans zum Austausch untereinander und mit den Spielern treffen und sollen so eine noch engere Verbundenheit zum Club entwickeln. Ein weiteres Ziel ist der Aufbau einer Metaverse-Version des Etihad Stadium. Fans können dann mit ihren personalisierten Avataren das Stadion von überall auf der Welt besuchen. Schon vor dem Eintritt ins Metaverse hatte Manchester City eine Partnerschaft mit Socios zur Einführung eines blockchain-basierten Fan-Tokens bekannt gegeben.
Andere Frühformen des Metaverses finden sich zum Beispiel bei Manchester United, das in seinem „Experience Center“ in Peking die Möglichkeit bietet, das Old Trafford mittels einer VR-Lösung virtuell zu besuchen. In der Bundesliga arbeitet unter anderem der VfL Wolfsburg in Kooperation mit dem Startup The Football Company an einer Präsenz im Metaverse auf der Plattform Discord.
Auch im Tennis gibt es erste Anwendungsfälle. Die diesjährigen Australian Open bieten eine NFT-Reihe mit knapp 7000 Unikaten von verschiedenfarbigen Tennisbällen an und integrieren diese in ein Metaverse namens „AO Decentraland“ inklusive Liveübertragungen des Turniers in 3D. Außerdem hat der Schweizer Tennisprofi Stan Wawrinka eine eigene NFT-Reihe von 5555 digitalen Tennisspielern ins Leben gerufen, die im Metaverse in einer Turnierserie gegeneinander antreten. Die Eigentümer können ihre digitalen Avatare trainieren und somit ihren monetären Gegenwert steigern.
Auch kleinere Sportarten berichten von ersten Pilotprojekten. Die Drone Racing League hat ein sogenanntes „Play-to-Earn“-Spiel im Metaverse entwickelt, in dem Spieler für ihren Einsatz mit einer digitalen Währung entlohnt werden. Hierfür kooperiert die Drone Racing League mit der blockchain-basierten Plattform Algorand im Rahmen eines Sponsoringvertrags mit einem Volumen von über 100 Millionen US-Dollar über fünf Jahre.
Auch wenn sich bislang überwiegend die großen Namen aus der Sportbranche ins Metaverse gewagt haben, so existieren auch für kleinere Clubs und Ligen attraktive Chancen, denn die Eintrittsbarrieren sind relativ überschaubar. Neben dem Erwerb von virtuellem Grund und Boden geht es im Kern darum, seinen Markennamen digital zu inszenieren. Bei Fan-Tokens lässt sich erkennen, dass neben den Big-Playern bereits zahlreiche kleinere Clubs wie Young Boys Bern, Levante UD oder Fortuna Sittard präsent sind. Ähnliches ist im Metaverse vorstellbar.
Sportartikelhersteller erschließen neuen Vertriebskanal
Für Sportartikelhersteller kann im Metaverse ein riesiger neuer Vertriebskanal entstehen. Ähnlich wie bei der Verschiebung vom stationären Handel zum E-Commerce könnte mittelfristig eine Verlagerung ins Metaverse bevorstehen. Dies ist jedenfalls der entscheidende Treiber, warum große Tech-Unternehmen wie Meta, Microsoft & Co. riesige Summen ins Metaverse investieren. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass verschiedene Sportartikelhersteller bereits in das Metaverse eingestiegen sind.
So betreibt Branchenführer Nike seinen eigenen Campus „Nikeland“ – ebenfalls auf der bereits erwähnten Plattform Roblox. Dort können Nutzer verschiedene Gaming-Angebote wahrnehmen und sich mit virtuellen Produkten von Nike ausstatten. Im Dezember 2021 wurde der nächste Meilenstein öffentlich: Nike hat das britische Metaverse-Unternehmen RTFKT akquiriert. Das Startup soll dafür sorgen, virtuelle Nike-Produkte wie Sneaker oder Bekleidung zu entwickeln.
Auch Adidas ist im Metaverse aktiv. Ähnlich wie Erzrivale Nike wählt Adidas den Markteintritt über Kollaborationen mit Unternehmen wie dem NFT-Anbieter Bored Ape Yacht Club oder dem Krypto-Investor Gmoney. Unter dem Namen „Into the Metaverse“ trägt Adidas vor allem seine Produktreihe „Adidas Originals“ ins Metaverse. Kürzlich brachte Adidas ein NFT-Paket von rund 30000 Token auf den Markt, das innerhalb kürzester Zeit ausverkauft war und einen Erlös von über 20 Millionen US-Dollar einspielte.
Abseits der Branchenführer kann sich der Einstieg auch für kleinere Sportartikelhersteller lohnen, um neue Zielgruppen frühzeitig zu erschließen. Beispielsweise hat New Balance verschiedene Markenregistrierungen rechtlich schützen lassen, um virtuelle Artikel im Metaverse vertreiben zu können. Auch die US-Firma ASRV Sportswear, ein erst 2014 gegründeter Sportartikelhersteller mit reinem Online-Vertrieb, bereit sich auf den Einstieg ins Metaverse vor: im Dezember 2021 wurden 60 NFTs einer hochpreisigen Winterkollektion auf dem Marktplatz OpenSea vermarktet, die in weniger als 30 Minuten ausverkauft waren. Darüber hinaus scheint Interesse an dem Erwerb von virtuellem Grund und Boden auf der Metaverse-Plattform Sandbox zu bestehen.
Aus den Beispielen wird deutlich: der vielversprechendste Weg für den Eintritt ins Metaverse führt über Kollaborationen. Die Marke des Sportartikelherstellers ist zwar das „face-to-the-consumer“, aber die technische Umsetzung kann und sollte von spezialisierten Firmen erbracht werden. Genau dieses Vorgehen haben unter anderem Nike und Adidas gewählt, die ihre Metaverse-Präsenz auf bestehenden Plattformen wie Roblox aufbauen.
Wie sich Sportmedien im Metaverse verändern
Das Metaverse könnte in Zukunft selbst den eingefleischten TV-Zuschauer von der gewohnten zwei- in die dreidimensionale Perspektive führen, um seinem Lieblingsclub zu folgen. In der Gaming-Industrie hat dieser Wandel bereits in Teilen stattgefunden. So werden zum Beispiel Live-Konzerte von bekannten Künstlern in virtuelle Welten integriert und sorgen regelmäßig für Rekordzahlen. Im April 2020 sahen mehr als 12 Millionen Nutzer das In-Game-Konzert des US-Rappers Travis Scott in „Fortnite“, wo er aus einem virtuellen Raumschiff stieg.
In der Corona-Pandemie boomen virtuelle Konzerte in Computerspielen und schafften ein neues Gemeinschaftsgefühl. Die Verschmelzung von Gaming und Entertainment ist bereits in vollem Gange. Und hinter In-Game-Konzerten steckt ein lukratives Geschäftsmodell: Wenn Superstars dort auftreten, erreicht die Spielfirma deren Fangemeinde, die sich das Spiel herunterlädt. Aber auch für die Musiker stimmt der Deal, denn sie erreichen die riesige Zielgruppe im Gaming. Mit seinem zehnminütigen Konzert soll Travis Scott 20 Millionen Dollar verdient haben.
Im Fußball hat der Privatsender Sky erste Frühformen des Metaverse geschaffen, indem Spiele über VR-Technologie unter dem Namen „SkyWorlds“ übertragen werden. Zuschauer bekommen dabei die Möglichkeit, ein Spiel aus unzähligen Perspektiven zu betrachten und sich – genau wie die Besucher von In-Game-Konzerten – frei im virtuellen Stadion zu bewegen. Als Hardware fungiert die Oculus Quest, ein Virtual-Reality-Headset, das von Oculus VR, einer Tochter von Meta, entwickelt wurde.
Mit einer ähnlichen Lösung sorgten kürzlich die Brooklyn Nets für großes Medieninteresse, weil sie als erstes NBA-Team eine VR-basierte Liveübertragung im Metaverse angeboten haben. Hier konnten Zuschauer ihre Perspektive auf jeder Stelle des Feldes frei wählen und so die Aktionen von James Harden oder Kevin Durant aus nächster Nähe erleben. Auch die Liga-Organisation der NBA bietet über Metas Plattform „Horizon Venues“ kostenlose VR-Erlebnisse an, in der Zuschauer in der ersten Sitzreihe virtuell Platz nehmen können.
Der Wandel zur Übertragung im Metaverse steht natürlich nicht nur bei Sportveranstaltungen bevor, sondern betrifft alle Streaming-Angebote. Das hat auch Auswirkungen auf künftige Personalentscheidungen. So hat Netflix sich im letzten Jahr die Dienste von Mike Verdu gesichert, einer der führenden Köpfe hinter Facebooks Aktivitäten im Metaverse.
Ausblick für das Sportbusiness
Auch wenn die Entwicklung des Metaverse derzeit noch in den Kinderschuhen steckt, so erscheint das zukünftige Potenzial im Sportbusiness immens. Für das Fanerlebnis macht es einen erheblichen Unterschied, ob das Sportereignis auf einem zweidimensionalen Bildschirm stattfindet, oder ob Zuschauer direkt ins Spielgeschehen eintauchen können – in gleicher Qualität oder womöglich sogar noch vielfältiger als beim physischen Stadionbesuch. Erfolgskritisch für das Metaverse wird sein, wie schnell und flächendeckend sich VR-Brillen oder andere benötigte Hardware verbreiten werden. Weitere Erfolgsfaktoren werden dabei die Einfachheit der Bedienung sowie die Kosten der Nutzung sein.
Für Sportorganisationen bedarf es heute sicherlich einer gesunden Portion Mut und Unternehmergeist, um frühzeitig eine Metaverse-Präsenz zu etablieren. Der zuverlässigste Weg dorthin führt über Partnerschaften mit etablierten Playern aus der Tech-Branche oder auch Startups wie Roblox oder Unity. Derlei Partnerschaften bieten zusätzlich den Vorteil, dass sich die Investitionskosten in Grenzen halten. Der Wertbeitrag von Sportorganisationen entsteht primär durch ihre Markenstärke. Und die kann dauerhaft vom Investment in die Zukunft profitieren: Denn wer sein Unternehmen früh im Metaverse positioniert, erhöht damit die Chance, seinen Markenwert nachhaltig zu steigern – vor allem mit Blick auf junge Zielgruppen.
Tipps für Praktiker
- Bringen Sie Ihre Marke frühzeitig ins Metaverse! Die entschlossenen Investitionen großer Tech-Unternehmen deuten bereits an, dass mittelfristig kein Weg am Metaverse vorbeiführen wird. Erfolgreiche Marken sollten rechtzeitig handeln, um nicht das Kodak oder Nokia von Morgen zu werden.
- Verstehen Sie Ihre Rolle im Metaverse! Die Wertschöpfungskette im Metaverse ist vielschichtig. Unternehmen im Sportbusiness schaffen vor allem durch neuartige Erfahrungen einen Mehrwert, indem sie einzigartige Fanerlebnisse ermöglichen. Für die technischen Komponenten der Wertschöpfungskette sollte mit spezialisierten Anbietern kooperiert werden.
- Schaffen Sie Angebote, die die Zielgruppe genau im Auge haben! Im Metaverse bewegt sich zunächst vor allem die Gen Z, die ganz andere Bedürfnisse als ältere Zielgruppen hat. Eine simple Übertragung der alten Welt ins Metaverse ist deshalb nicht erfolgsversprechend. Vielmehr müssen Angebote im Metaverse radikal auf die Bedürfnisse der Gen Z zugeschnitten und gamifiziert werden.
Literaturverweis
Der Originalartikel „Aufbruch ins Metaverse – auch für das Sportbusiness?“ erschien auf der Plattform SPONSORs am 03. März 2022.
- Schmidt, S. L. (2020): 21st Century Sports - How Technologies Will Change Sports in the Digital Age. Springer.
Autoren des Artikels
Prof. Dr. Sascha L. Schmidt
Sascha L. Schmidt ist Leiter des Center for Sports and Management und Professor for Sports und Management an der WHU – Otto Beisheim School of Management. Zudem ist akademischer Direktor der SPOAC - Sports Business Academy by WHU. Zusätzlich ist er Mitglied der Digital Initiative an der Harvard Business School (HBS), affiliert mit dem Labor für Innovation Science in Harvard (LISH) und Forscher an der Emlyon Business School Asia. Sascha Schmidt ist Co-Autor verschiedener sportbezogener HBS Fallstudien und einer der Initiatoren und einer der leitenden Dozenten des MIT Sports Entrepreneurship Bootcamp. Seine Forschung fokussiert sich auf Wachstums- und Diversifikations-Strategien sowie die Vorbereitung des Profisports auf zukünftige Entwicklungen.
Johannes Fühner
Johannes Fühner ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Center for Sports and Management (CSM) an der WHU – Otto Beisheim School of Management. In seiner Dissertation befasst er sich mit Diversifikationsstrategien im Sport und dem Einfluss neuer Technologien. Zuvor war Herr Fühner als Unternehmensberater bei McKinsey & Company tätig.