Manipulative Argumentationstechniken in der öffentlichen und medialen Diskussion beeinflussen die allgemeine Meinung oft unbemerkt
Sven Beisecker / Christian Schlereth - 15. November 2022
Fake News erleben derzeit eine Hochphase. In der aktuellen COVID-19-Pandemie sind die ihnen zugrunde liegenden manipulativen Argumentationstechniken besonders verbreitet. Zwei von ihnen lassen sich besonders gut anhand von zwei Beispielen verstehen: der sogenannte „Angriff auf die Person“ und „das falsche Dilemma“.
„Angriff auf die Person“
Während der heikelsten Phase der COVID-19-Pandemie beispielsweise waren sich auch die Virologen als einschlägige Fachleute nicht immer einig darüber, wie die Pandemie weiter verlaufen würde: Die öffentliche und mediale Kritik an ihren Argumenten fiel dabei nicht immer sachlich aus, sondern fokussierte sich stattdessen oft auch darauf, die jeweiligen Virologen persönlich zu diskreditieren. Statt auf deren fachlichen Argumente einzugehen, wurde ihnen beispielsweise vorgeworfen, sie würden in der Forschung nur eine untergeordnete Rolle spielen. In diesem Fall handelt es sich um die manipulative Argumentationstechnik „Angriff auf die Person“ (lat.: ad hominem). Statt die inhaltliche Auseinandersetzung mit der Person zu suchen, richtet sich die Kritik gegen sie persönlich und deren angeblich fehlende Kompetenz. Auch persönliche Beleidigungen kommen bei dieser manipulativen Argumentationstechnik häufig vor.
„Das falsche Dilemma“
Ein weiteres Beispiel für eine manipulative Argumentationstechnik ist das sogenannte „falsche Dilemma“: Dieses beschreibt den Fall, dass für einen komplexen Sachverhalt lediglich zwei extreme Szenarien dargestellt werden, wie das mögliche Ergebnis aussehen kann. So stellten während der COVID-19-Pandemie Politiker unterschiedlicher Lager den Gesundheitsschutz und die wirtschaftliche Entwicklung des Landes als unvereinbare Positionen gegenüber – und unterstellten damit, dass nur eines der beiden Ziele verfolgt werden könne. Ebenso verhielt es sich mit den Optionen für Lockdowns und die Maskenpflicht. Diese, so hieß es, müssten entweder für alle Bürger gleichermaßen eingeführt werden, oder für niemanden; Mittelwege, Kompromisse und Abstufungen in den Entscheidungen wurden in der Diskussion außer Acht gelassen. Die Argumentationstechnik „falsches Dilemma“ verdichtet die Entscheidungsoptionen auf zwei Extreme – in der Hoffnung, dass die eigene Position als die vermeintlich bessere wahrgenommen und mehrheitsfähig wird.
Unsichere Zeiten sind der Nährboden für Fake News
Diese beiden Argumentationstechniken sind schon lange vor der COVID-19-Pandemie zum Einsatz gekommen. Mittlerweile stehen sie zusammen mit über 200 weiteren solcher Techniken auf einer Liste der Internet Encyclopedia of Philosophy, die manipulative Argumentationstechniken dokumentiert, die häufig bei der Einordnung von Fake News übersehen werden. Auch einige Nachrichtenredakteure setzen solche Techniken teilweise in ihrer Berichterstattung ein und präsentieren faktisch korrekte Inhalte so, dass deren Darstellung die Meinung des Lesers beeinflusst. Dies gelingt besonders gut, wenn, wie im Fall der Pandemie, zunächst kaum belastbare wissenschaftliche Erkenntnisse vorliegen. Manipulierte Diskussionen werden auf der emotionalen und nicht auf der sachlichen Ebene geführt, weil aufgrund fehlender Informationen eine fundierte Bewertungsgrundlage fehlt.
Manipulative Argumentationstechniken sind oft schwer als Fake News zu enttarnen
Die jüngsten Untersuchungen von 416 Teilnehmenden, die über einen professionellen deutschen Panel-Anbieter rekrutiert wurden, zeigen, dass Leser verschiedene Argumentationstechniken in nuancierten Abstufungen als Fake News wahrnehmen. Untersucht wurde, inwieweit die Teilnehmenden Artikel als Fake News wahrgenommen haben, wenn in deren Überschriften verschiedene manipulative Argumentationstechniken verwendet wurden. Es ist daher nützlich, Argumentationstechniken zu analysieren, um den „Graubereich“ von Fake News besser zu erkennen.
Dennoch bleibt die Gefahr, dass manipulative Argumentationstechniken häufig nicht als Fake News erkannt werden. Lassen sich manche Techniken von Lesern schnell enttarnen, wird der manipulative Charakter anderer Argumentationstechniken meist erst sichtbar, nachdem die Konsumenten explizit darauf hingewiesen wurden.
Leser zeigen zudem unterschiedliche Reaktionen, wenn sie in ihren sozialen Netzwerken mit Fake News konfrontiert werden: So fällt ihre Reaktion deutlich heftiger aus, wenn ein Unternehmen Fake News verbreitet, als wenn eine Privatperson dies tut. Stoßen Nutzer sozialer Netzwerke auf Fake News von Unternehmen, ist es sehr viel wahrscheinlicher, dass sie dem Account nicht mehr folgen oder sogar die ganze Plattform verlassen. Daher empfiehlt es sich besonders für Unternehmen, auf manipulative Argumentationstechniken zu verzichten.
Tipps für Praktiker
- Werden Sie skeptisch, wenn Ihnen bei komplexen Entscheidungen suggeriert wird, dass es nur zwei Alternativen gibt.
- Werden Sie ebenfalls skeptisch, wenn Sie feststellen, dass ein Argument Sie hauptsächlich auf emotionaler Ebene und nicht auf sachlicher Ebene anspricht.
- Haben Sie ein Augenmerk darauf, wie das Argument in einem Nachrichtenartikel dargestellt wird. Seien Sie aufmerksam, denn manche manipulative Argumentationstechniken sind schwieriger zu erkennen als andere!
- Vermeiden Sie den zu schnellen Konsum von Informationen. Gerade in den sozialen Medien besteht die Gefahr, dass geteilte Meinungen unreflektiert übernommen werden.
- Unternehmen droht ein deutlich höherer Reputationsschaden durch Fake News als Privatpersonen. Verzichten Sie also insbesondere in Ihrem Unternehmen auf den Einsatz manipulierender Argumentationstechniken.
Literaturverweis und Methodik
- Beisecker, S./Schlereth, C./Hein, S. (2022): Shades of fake news: how fallacies influence consumers’ perception, in: European Journal of Information Systems. DOI: 10.1080/0960085X.2022.2110000
Co-Autoren der Studie
Sven Beisecker
Sven Beisecker ist Doktorand am Lehrstuhl für Digitales Marketing an der WHU – Otto Beisheim School of Management. In seiner Forschung beschäftigt er sich vor allem mit der Messung zukünftigen Konsumentenverhaltens in Bereichen, in denen noch wenig bis gar keine Erfahrungswerte bestehen. Beispiele sind neben Fake News die Bereitschaft in der Bevölkerung zur Umsetzung verschiedener umweltschützender Maßnahmen sowie die Akzeptanz neuartiger Technologien in der Kundeninteraktion.
Prof. Dr. Christian Schlereth
Christian Schlereth ist Inhaber des Lehrstuhls für Digitales Marketing an der WHU – Otto Beisheim School of Management. Seine Forschung beschäftigt sich mit verschiedenen Fragen rund um das Thema Digitalisierung im Alltag. Er forscht unter anderem zu Themen wie Präferenzmessung für digitale Güter mittels Discrete-Choice-Experimenten, Ableitung von Handlungsempfehlungen für eine bessere Zielgruppenansprache und Online-Marketing für NGOs. Hierzu arbeitet er eng mit führenden Unternehmen der digitalen Branche zusammen. Seine Publikationen erscheinen in hochrangigen Journals aus den Bereichen Marketing, Information Systems und Operation Research.