Ökonomen zeigen zeitnahen politischen Reformbedarf auf, sonst droht der Generationenvertrag in den Sozialversicherungen zu kippen.
Bereits heute nimmt Deutschland im OECD-Vergleich einen Spitzenplatz bei den Sozialabgaben ein. Doch die Ökonomen Prof. Dr. Christian Hagist, Lehrstuhl für Wirtschafts- und Sozialpolitik an der WHU – Otto Beisheim School of Management, und Prof. Dr. Stefan Fetzer, Professor für Public Health und Internationale Gesundheitssysteme an der Hochschule Aalen, berechnen in ihrem jüngsten Gutachten, dass die Sozialversicherungsbeiträge für die Renten-, Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung ohne Reformen von heute 40,9 auf mehr als 50 Prozent des Bruttolohns im Jahr 2050 ansteigen.
Sowohl für Arbeitnehmer als auch für Arbeitgeber würde dies eine erhebliche Mehrbelastung bedeuten, mit möglicherweise drastischen Folgen, wie aus dem Gutachten „Mehr Nachhaltigkeit wagen“ hervorgeht: Es drohe „eine einseitige Aufkündigung des Generationenvertrags durch die junge Generation“, so Prof. Hagist. Heißt: Die deutsche Sozialversicherung könnte künftig gemieden werden, indem weniger sozialversicherungspflichtige Arbeit, dafür aber vermehrt Schwarzarbeit aufgenommen wird, gut ausgebildete Fachkräfte ins Ausland abwandern oder potenzielle ausländische Fachkräfte Deutschland meiden. Die Forscher sprechen in Anlehnung an die Klimaforschung über einen „Kipppunkt“ im deutschen Sozialversicherungssystem.
Das Gutachten zur Tragfähigkeit unserer Sozialversicherung wurde im Auftrag von DIE JUNGEN UNTERNEHMER und DIE FAMILIENUNTERNEHMER erstellt. Thomas Hoppe, Bundesvorsitzender des Wirtschaftsverbands DIE JUNGEN UNTERNEHMER, mahnte angesichts der Erkenntnisse, dass die Bundesregierung noch diese Legislaturperiode notwendige Reformen in allen Versicherungszweigen einleiten müsse. „Ignoriert die Bundesregierung diesen Reformbedarf, sägt sie schon jetzt an dem Ast, auf dessen Tragkraft sich zig Millionen Versicherte in Deutschland verlassen“.
Die Gründe für die rapide ansteigenden Sozialbeiträge sind laut Hagist und Fetzer vielfältig. Der doppelte Alterungsprozess führt in den kommenden Jahren zu einer Zunahme der Rentnergenerationen. Gleichzeitig stehen dem Arbeitsmarkt weniger junge Menschen zur Verfügung, die die benötigten Sozialabgaben tragen könnten. Weitere Kostentreiber für die Sozialbeiträge sind der medizinisch-technische Fortschritt und fehlende Produktivitätsgewinne in der Pflege.
Die Ökonomen geben sich aber optimistisch, „dass man mit entschiedenem politischem Handeln durchaus der großen Herausforderung des demografischen Wandels begegnen kann“. Ihr Vorschlag umfasst Anreize für längeres Arbeiten und einen Beitrag der Baby-Boomer-Generationen in Form von niedrigeren Rentenerhöhungen, die Mobilisierung von Effizienzreserven durch Digitalisierung und echten Wettbewerb im Gesundheitswesen sowie eine Stärkung der Eigenverantwortung der Patienten. In der Sozialen Pflegeversicherung soll über zusätzlich gebildetes Kapital der Beitragssatz mittel- und langfristig stabil gehalten werden.
Das Gutachten „Mehr Nachhaltigkeit wagen – Die Tragfähigkeit der Sozialversicherung in Deutschland“ wurde unmittelbar nach Veröffentlichung von zahlreichen Medien aufgegriffen, unter anderem von der FAZ, dem Handelsblatt, der Welt und der Rheinischen Post.
Das Gutachten zum Download finden Sie hier.
Für Details zur Studie oder einen Kontakt zu Prof. Dr. Christian Hagist kontaktieren Sie uns gerne unter presse[at]whu.edu.