WHU
13.01.2021

Zukunftsszenarien für den Sport

Was sich für Athleten, Konsumenten und Manager ändern wird

Sascha L. Schmidt / Johannes Fühner - 30. Januar 2021

Tipps für Praktiker

Alle Vorzeichen deuten darauf hin, dass uns aufgrund der Corona-Pandemie eine dramatische Umstrukturierung der wirtschaftlichen und sozialen Ordnung bevorsteht. Keiner der heutigen Entscheider kann derzeit allerdings abschätzen, was diese Neuordnung für unseren Sport bedeuten wird. Konsens herrscht lediglich darüber, dass Corona zu einer neuen Normalität führen wird. Eine Rückkehr zum "business as usual" wird es auch im Sport nicht geben.

Allerdings ist Corona nicht der einzige Grund für den anstehenden Strukturwandel. Denn bereits vor Ausbruch der Pandemie konnten wir einige fundamentale Veränderungen beobachten. Zum einen zeichnete sich ein deutlicher Wertewandel in unserer Gesellschaft ab, der auch zu einer neuen Haltung gegenüber Spitzensport und Sportgroßveranstaltungen wie Olympia im eigenen Land geführt hat. Die Widerstände gegen die Olympia-Bewerbungen von München (Winter 2022) und Hamburg (Sommer 2024) haben deutlich gemacht, dass es den Menschen um Nachhaltigkeit geht. Zudem befindet sich das Sportverhalten der Bevölkerung im Wandel. Vereinsbindung und Ehrenamt als zentrale Größen des organisierten Sports verlieren an Bedeutung. Individualisierte, flexible Sportangebote liegen hingegen im Trend.

Hinzu kommt der technologische Wandel, der unsere Welt in nur wenigen Jahren auf den Kopf gestellt hat. Auch im Sport sind Daten inzwischen allgegenwärtig. So mag kaum ein professioneller Sportverein heutzutage noch auf eigene Datenanalysten verzichten. Interessant ist außerdem, dass die Digitalisierung mittlerweile auch den Mainstream erreicht hat. So kann jeder Freizeitsportler über Wearables wie Armbänder und Uhren seine eigenen Fitnessdaten tracken und damit sein Training optimieren. Und dank automatisierter Kameras können selbst Sechstligaspiele im Fußball über OTT-Plattformen live übertragen werden.

Bei all diesen Veränderungen wirkt Corona schlichtweg als Beschleuniger. Die Pandemie hat uns alle ermutigt, althergebrachte Denkmuster zu hinterfragen (Stichwort: Wertewandel) und die neuen Möglichkeiten digitaler Technologien auszuschöpfen (Stichwort: technologischer Wandel). Deshalb sollten wir nicht in den Rückspiegel schauen, sondern den Blick nach vorn wagen. Wir sollten uns fragen, wie der Sport im Jahr 2030 und darüber hinaus aussehen könnte, und was dies für Athleten, Konsumenten und Manager bedeutet.

Neue Kategorien von Athleten

Der Athlet steht im Zentrum des Sports. Ohne Athleten gäbe es keine Wettbewerbe, keine Mannschaften und keine Ligen. Es gäbe keine Sportsponsoren und selbst große Sportausrüster würden die Grundlage ihres Geschäftsmodells verlieren. Wenn wir im organisierten Sport heute an Athleten denken, unterscheiden wir in der Regel zwischen herkömmlichen und paralympischen Athleten. Zudem gibt es Diskussionen darüber, wie wir mit eSport oder anderen primär kognitiv gesteuerten Sportarten umgehen wollen. Getrieben durch den Wertewandel und den technologischen Wandel gehen wir am Center for Sports and Management der WHU davon aus, dass sich in Zukunft mindestens fünf Kategorien von Athleten entwickeln werden:

  1. Herkömmlicher Athlet:Hierbei handelt es sich im Grunde um den Athleten wie wir ihn heute kennen. Für herkömmliche Athleten wird datengestütztes Training eine immer stärkere Rolle einnehmen. Heutige Technologien, wie zum Beispiel der bei der TSG Hoffenheim oder beim BVB eingesetzte Fußballsimulator Footbonaut, sind hier nur der Anfang. In 20 bis 30 Jahren ist auch das Training mit humanoiden Robotern ein durchaus realistisches Szenario.
  2. Technologie-unterstützter Athlet: Einerseits geht es hier um die Weiterentwicklung heutiger Hilfsmittel für paralympische Athleten, zum Beispiel über Roboterprothesen. Andererseits können sogenannte Exoskelette, d.h. Roboteranzüge, die die Bewegungen des Trägers unterstützen, auch für herkömmliche Athleten ein technologisches Hilfsmittel bieten. Heute werden Exoskelette bereits im Militär oder im Reha-Bereich eingesetzt.
  3. Roboter-Athlet: In dieser Kategorie ist der Sportler ein Roboter mit humanoiden Eigenschaften. Die Steuerung erfolgt entweder über menschliches Handeln (z.B. über blickbasierte Systeme) oder völlig autonom (z.B. über Künstliche Intelligenz). Bei den RoboGames traten 2017 bereits über 700 Roboter aus 18 Ländern u.a. im Fußball, Basketball, Gewichtheben, Hindernisparcours und Hockey gegeneinander an.
  4. Mentaler Athlet: Athleten dieser Kategorie treten in Denksportarten wie beispielsweise im Schach oder im eSport gegeneinander an. Diese Disziplinen sind primär durch kognitive Fähigkeiten wie Wahrnehmung und Reaktionsschnelligkeit geprägt. Durch neue Errungenschaften der Hirnforschung könnten in Zukunft völlig neue Wettbewerbe in heute noch unbekannten Denkdisziplinen entstehen.
  5. Virtueller Athlet: Hologramme können virtuelle Athleten erschaffen, die durch Algorithmen gesteuert werden und in neuen virtuellen Sportarten zum Einsatz kommen. Die für diese neuen Sportarten erforderlichen menschlichen Fähigkeiten werden sich von heute bekannten unterscheiden. Dabei entsteht ein ganz neuer Wettbewerb – nämlich ein Wettbewerb der Softwareentwickler und Ingenieure.

Der Sportkonsument der Zukunft

Der mächtigste Akteur im Sport bleibt der Konsument. Neue Konzepte müssen deshalb immer auch ein Bedürfnis des Sportkonsumenten erfüllen. Keine Technologie wird sich durchsetzen, wenn sie nicht vom Konsumenten gewollt ist. Im Kern beobachten wir zwei wesentliche Veränderungen:

  1. Mehr direkte Mitbestimmung am Wettkampfgeschehen: Nicht zuletzt im Fußball ist das zunehmende Bedürfnis der Fans zu beobachten, bei wichtigen Entscheidungen mitzubestimmen. Eine solche Form der Mitbestimmung existiert bereits im American Football in den USA. In der Fan-Controlled Football League entscheiden die Fans bereits heute über Logo, Trainer, Transfers und eingesetzte Spieler. Es ist für sie sogar möglich, per Online-Voting in Echtzeit den nächsten Spielzug zu bestimmen. In naher Zukunft sollen sie auch Rechteinhaber werden können und an den Erlösströmen ihrer Lieblingsclubs beteiligt werden. Ermöglicht wird dies durch den Einsatz von intelligenten Verträgen, Blockchain-Lösungen und Kryptowährungen. In ferner Zukunft ist es zumindest technisch denkbar, dass Fans die Leistung eines Sportlers nicht nur steuern, sondern über sogenannte Nanobots direkt beeinflussen können. Dabei handelt es sich um sandkorngroße Mini-Roboter in der Blutbahn der Sportler, die quasi auf Knopfdruck zusätzliche Kräfte beim Athleten per Muskelstimulation freisetzen können.
  2. Ein neues, virtuelles Sporterlebnis: Die virtuelle Realität wird es Fans ermöglichen, ihre Lieblingssportart stets von den besten Plätzen im Stadion aus zu verfolgen und nach Belieben in verschiedene Perspektiven zu springen. So konnten die diesjährigen NBA-Playoffs per Videoschalte bereits live vom Spielfeldrand aus verfolgt werden. Um den Fans, die weit entfernt vom Stadion wohnen, ein sozialeres Erlebnis zu bieten, können Spiele zukünftig über Virtual-Reality-Headsets in Satellitenstadien übertragen werden. In ferner Zukunft sind virtuelle AR/VR-Räume denkbar, in denen Hobbysportler sich mit ihren Idolen in Form von Hologrammen im Training oder Wettkampf messen können.

Zukünftige Anforderungen an Manager im Sportbusiness

Die beschriebenen Veränderungen auf Seite der Athleten und Sportkonsumenten führen zu vielfältigen neuen Fragestellungen, denen sich Manager im Sportbusiness bereits heute stellen müssen. Zum Beispiel gehören dazu:

  • Welche Technologien werden sich durchsetzen? Wie entscheide ich darüber, in welche Technologie ich investieren soll?
  • Welche Fähigkeiten muss ich aufbauen oder einkaufen, um den Einfluss von neuen technologischen Errungenschaften wie humanoiden Robotern oder Hologrammen auf mein Geschäft abzuschätzen? Wie finde und bewerte ich konkrete Anwendungsfälle?
  • Wie stelle ich die Nachhaltigkeit und die Innovationskraft meines Geschäftsmodells sicher? Wie kann ich meine Institution robuster gegenüber Krisen aufstellen?
  • Welche neuen Sportarten und Athletenkategorien sollte ich im Auge behalten? Wie stelle ich sicher, immer am Puls der Zeit zu bleiben und relevante Entwicklungen nicht zu verpassen?
  • Wie müssen sich etablierte Ligen und Wettbewerbe anpassen, um den veränderten Fanbedürfnissen und neuen Athletenkategorien gerecht zu werden? Welche Maßnahmen aus der Corona-Zeit finden auch in der Zukunft Anwendung?
  • Wie sollen Großveranstaltungen wie Olympia in Zukunft organisiert werden? Werden klassische Sportarten durch neue Sportarten wie eSport ersetzt? Finden Teile nur noch virtuell statt?

Natürlich hat heute noch niemand klare Antworten auf die gestellten Fragen. Aber zumindest wissen wir, dass wir uns an der Schwelle zu dramatischen Veränderungen befinden. Corona hat uns bereits gelehrt, dass die Muster zur Bewältigung neuer Herausforderungen nicht in der Vergangenheit liegen müssen. Schauen wir also nach vorne, navigieren wir in die Zukunft des Sports, ohne zu sehr in den Rückspiegel zu blicken. Es geht nicht darum, genaue Eintrittswahrscheinlichkeiten für Zukunftsszenarien zu ermitteln. Vielmehr geht es darum, eine neue Zukunftsdiskussion anzuregen. Future Readiness bedeutet aus unserer Sicht, nicht nur für eine, sondern für mehrere Zukünfte gewappnet zu sein. Diskussionen von denkbaren Szenarien ermöglichen es, eine so genannte „Ersatz-Erfahrung“ zu machen, die uns auf zukünftige Ungewissheiten vorbereitet.

Tipps für Praktiker

  • Begreifen Sie neue Technologien weniger als Bedrohung, sondern als Chance für Athleten, Konsumenten und Manager im Sport.
  • Nutzen Sie regelmäßig ein Technologieradar, um abzuschätzen, welche Technologien Entwicklungssprünge erleben und welche neuen Anwendungsfälle im Sport auftreten. So sind Sie allzeit bereit, Chancen zu erkennen.
  • Schöpfen Sie die Kraft externer Netzwerke über Kooperationen mit Startups, Universitäten oder branchenfremden Unternehmen für ihre eigene Erneuerung aus.
  • Stellen Sie den Fan bei allen Erwägungen in den Mittelpunkt. Langfristig werden sich nur Technologien durchsetzen, die ein echtes Konsumentenbedürfnis befriedigen.
  • Das Wichtigste zuletzt: Lassen Sie sich die Zeit im hektischen Alltag nicht nehmen, um sich regelmäßig und intensiv mit Zukunftsszenarien auseinanderzusetzen – das macht Sie zukunftsfähig!

Literaturverweis und Methodik

Autoren

Prof. Dr. Sascha L. Schmidt

Prof. Dr. Sascha L. Schmidt leitet das Center for Sports and Management (CSM) an der WHU – Otto Beisheim School of Management. Gleichzeitig ist er akademischer Leiter der Sports Business Academy by WHU (SPOAC) und Affiliate Professor am Laboratory for Innovation Science at Harvard (LISH) der Harvard University. Seine Forschung dreht sich rund um die Zukunft des Sports im digitalen Zeitalter.

Johannes Fühner

Johannes Fühner ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Center for Sports and Management (CSM) an der WHU – Otto Beisheim School of Management. In seiner Dissertation befasst er sich mit Diversifikationsstrategien im Sport und dem Einfluss neuer Technologien. Zuvor war Herr Fühner als Unternehmensberater bei McKinsey & Company tätig.

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