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30.08.2021

Auf dem Weg zu einem Finanzsystem, das auf Open Source und Protokollen basiert

Wie Bitcoin und Co die traditionelle Bankenwelt verändern (Teil 6/7)

Axel Wieandt - 30. August 2021

Tipps für Praktiker

Als Initial Coin Offerings (ICOs) werden neue Ansätze zur Beschaffung finanzieller Mittel bezeichnet, die häufig zur Entwicklung von Plattformen verwendet werden. Investoren beteiligen sich an ICOs in der Hoffnung, dass der entsprechende Coin (auch Token genannt) und seine Plattform bzw. sein Ökosystem erfolgreich werden. Steigt der Wert der Coins, dürfen die Investoren mit einer hohen Rendite rechnen. Einige Beobachter betrachten ICOs auch als neue Form der Risikofinanzierung. Denn sie erlaubt es Gründern einerseits, die Kontrolle über ihre Krypto-Plattform zu behalten, und andererseits, Geldmittel zu beschaffen und künftige Kunden anzuwerben. Andere vergleichen ICOs mit Börsengängen (IPOs), die allerdings ohne einen spezifischen regulatorischen Rahmen ablaufen.

Der Aufstieg der ICOs

Bei einem ICO wird ein Whitepaper erstellt, in dem alle ICO-Details für die Token-Ausgabe einschließlich des Zeitplans, der Problemstellung, der technischen Lösung, des verantwortlichen Teams usw.  aufgeführt werden. Dieses Konzept wird aktiv an Investoren und Influencer weitergegeben. Der anschließende Token-Verkauf beginnt mit einer Vorverkaufsphase und endet mit der Ausgabe der Token. Diese Token können dann an einer oder mehreren Krypto-Börsen gehandelt werden.

2015 startete das Ethereum-Netzwerk einen der ersten erfolgreichen ICOs und sammelte 18 Millionen US-Dollar ein. Die Dezentrale Autonome Organisation (DAO), ein Projekt, das für Risikokapitalfonds aufgelegt wurde, sammelte im Sommer 2016 zusätzlich über 150 Millionen US-Dollar im Ethereum-Netzwerk ein. Die Kapitalakquise wurde jedoch kompromittiert, als ein Hacker ein Drittel der Gelder auf ein Tochterkonto abzweigte. Als Reaktion darauf führte die Ethereum-Gemeinschaft eine Hard-Fork auf der Ethereum-Blockchain ein, wodurch fast alle Gelder wieder an den ursprünglichen Ort zurücktransferiert werden konnten. Das Ereignis war beunruhigend, doch tat es der ICO-Welle keinen Abbruch.

Die erste große ICO-Welle fiel in die Zeit der Bitcoin-Blase 2017/18. Viele frühe Bitcoin-Investoren suchten damals nach Wegen, ihre Gewinne zu monetarisieren und wieder in Verkehr zu bringen., In ICOs wird Kapital typischerweise in Bitcoin oder Ether gesammelt. Zum Beispiel sammelte Protocol Labs im September 2017 über 200 Millionen US-Dollar von Investoren für Filecoin ein. Das ausgegebene Ziel: das erste "dezentrale Datenspeichernetzwerk zu schaffen, das ungenutzte Speicherkapazität weltweit über einen algorithmischen Markt vermittelt". Nutzer, Um Daten auf diesem dezentralen System speichern zu können, kaufen Nutzer native Token namens FIL. Auf der anderen Seite sind verdienen Nutzer, die dem Netzwerk Datenspeicher zur Verfügung stellen, FIL. Alle abgewickelten Speichervorgänge werden dabei auf einer Blockchain aufgezeichnet.

ICOs erreichten ihren Höhepunkt im Jahr 2018, als dafür insgesamt über 22 Milliarden US-Dollar aufgebracht wurden. Im Frühjahr 2018 legte das Nachrichten-Netzwerk Telegram zwei Angebote auf und sammelte damit 1,7 Milliarden US-Dollar von institutionellen Investoren ein, um das Telegram Open Network (TON) zu entwickeln. Kurz darauf erlöste im Juni 2018 das öffentliche Blockchain-Betriebssystem EOS 4,2 Milliarden US-Dollar im Rahmen eines ICOs. Es ist darauf ausgerichtet, die kommerzielle Dezentralisierung als Alternative zu Ethereum zu unterstützen.

ICOs auf Kollisionskurs mit der amerikanischen Börsenaufsicht

Besonders in den USA erregten diese bemerkenswerten Erfolge von ICOs die Aufmerksamkeit der amerikanischen Börsenaufsicht SEC. Es ist die Aufgabe der Börsenaufsicht Investoren zu schützen, um sicherzustellen, dass Finanzprodukte und deren Angebot legal,  Handelsmärkte fair und Risiken transparent sind. In den Jahren 2016 und 2017 nahm die SEC die ICOs und insbesondere nicht registrierte Token-Angebote genau unter die Lupe: „Unternehmen und Einzelpersonen betrachten ICOs zunehmend als eine Möglichkeit, Kapital zu beschaffen oder sich an Investitionen zu beteiligen. Auch wenn diese digitalen Vermögenswerte und die Technologie dahinter ein neues und effizientes Mittel zur Durchführung von Finanztransaktionen darstellen können, bergen sie auch ein erhöhtes Betrugs- und Manipulationsrisiko. Denn die Märkte für Vermögenswerte dieser Art sind weniger stark reguliert als die traditionellen Kapitalmärkte.“ Und tatsächlich lancierte das vietnamesische Kryptowährungs-Unternehmen Modern Tech mit PINCOIN und iFan 2018 zwei betrügerische ICOs und erschlich sich damit über 600 Millionen Dollar von etwa 32.000 Investoren weltweit. 

Die SEC erstellte 2017 einen Bericht über das gescheiterte DAO-Projekt und verwies darin neuerlich nachdrücklich auf die grundlegenden Prinzipien der US-Bundeswertpapiergesetze und deren Anwendbarkeit auf "eine neue Form" von "kapitalbeschaffenden Unternehmen, die [...] die Blockchain-Technologie verwenden, um die Kapitalbeschaffung und/oder das damit verbundene Angebot und den Verkauf von Wertpapieren zu erleichtern". Im Mittelpunkt der Untersuchungen der SEC zum Wertpapierrecht steht der "Howey-Test". Dieser bezieht sich auf eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs der USA, die festlegt, ob Transaktionen als Investitionsverträge gelten und als Wertpapiere registriert werden müssen. Das Urteil besagt, dass Instrumente als Wertpapiere betrachtet werden und in die Zuständigkeit der SEC fallen, wenn sie:

  1. eine Geldanlage sind,
  2. die in ein gemeinsames Unternehmen investiert wird,
  3. das eine Gewinnerwartung hat,
  4. und dieser Gewinn von einer dritten Partei erzielt werden soll.

Die SEC leitete in der Folge selbst gegen sehr erfolgreiche ICOs Verfahren ein und erreicht bspw. 2019 die Verurteilung von Block.one zur Zahlung einer Strafe von 24 Millionen US-Dollar, da dessen ICO EOS nicht als Wertpapierangebot registriert worden war. Auch Telegram musste sich im Jahr 2020 mit der SEC einigen auf die Zahlung einer zivilrechtlichen Strafe in Höhe von 18,5 Millionen US-Dollar und die Rückzahlung von mehr als 1,2 Milliarden US-Dollar an die Investoren. Die Plattform hatte versäumt, ihre Gram-Token als Wertpapiere registrieren zu lassen.

Im Gegensatz zu SEC-regulierten Wertpapier-Token gewähren nicht-regulierte Utility-Token Zugang zu einer Dienstleistung oder fungieren als Tauschmittel innerhalb eines Ökosystems. Die Argumentation der meisten ICO-Geldgeber ist vor Gericht, dass es sich bei ihren Coins um Utility-Token handelt, doch sind die wenigsten damit erfolgreich. Meist kommt es am Ende zu einem Vergleich mit der SEC. Zum Beispiel reichte die SEC im Dezember 2020 Klage gegen die globale Zahlungsplattform RippleNet und ihren Token Ripple (XRP) ein - eine Top-10-Kryptowährung gemessen an der Marktkapitalisierung. RippleNet hat seit 2013 über 14,6 Milliarden XRP-Token im Wert von 1,4 Milliarden US-Dollar veräußert. In ihrer Beschwerde gegen Ripple Labs, Inc. und die aktuellen und ehemaligen CEOs Bradley Garlinghouse und Christian A. Larsen warf die SEC RippleNet vor, XRP nicht als Wertpapierangebot registriert zu haben. Ripple Labs argumentierte, dass es "XRP nie als Investition angeboten oder verkauft" habe und dass "XRP-Inhaber keinen Anspruch auf die Vermögenswerte von Ripple erwerben, keine Eigentumsanteile an Ripple halten und keinen Anspruch auf eine Beteiligung an den künftigen Gewinnen von Ripple haben". Das Unternehmen unterstrich damit den Nutzen, den XRP als Abrechnungs-Token bietet. Als die Klage angekündigt wurde, fiel der Wert von XRP um über 50 Prozent, erholte sich aber schnell. Mit einer aktuellen Marktkapitalisierung von 27 Milliarden US-Dollar rangiert das Unternehmen unter den Top-10-Kryptowährungen. Mehrere Börsen haben XRP aber nun nicht mehr gelistet, um potentielle Konflikte mit den Anforderungen des US-Wertpapierrechtes zu vermeiden.

Sind „SAFTs“ das Allheilmittel?

Um die Registrierungs- und Einreichungsanforderungen der SEC ohne Rechtsverstoß zu umgehen, wurde in mehreren Projekten versucht, „einfache Vereinbarungen zur Ausgabe von Token in der Zukunft“ (Simple Agreements for Future Tokens oder SAFTs) anzubieten. SAFTs richten sich an zugelassene Investoren zur Finanzierung eines Kryptowährungsprojekts gegen das Versprechen auf Token, die erst ausgegeben werden, wenn das Projekt den regulären Betrieb aufnimmt. Filecoin und Telegram, bis dato die beiden größten Token-Angebote, wurden als SAFTs konzipiert. Die von Filecoin vorgelegten Fakten und Nachweise haben die SEC (bisher) vom grundsätzlichen Nutzen von Filecoin für die Speicherung von Daten in einem dezentralen Netzwerk überzeugt.

Allerdings waren nicht alle Versuche erfolgreich. Wie bereits erwähnt, zwang die SEC Telegram trotz der erfolgreichen TON-Plattform, das Angebot von SAFTs für Gram-Token im Oktober 2019 zu stoppen. Das Hauptargument vor Gericht war, dass die Token, die zum Ende der Aufbauphase verteilt würden, nicht registrierte Wertpapiere seien und ihr Verkauf in den USA illegal sei. Die SEC argumentierte so: "Wir haben wiederholt erklärt, dass Emittenten die Bundeswertpapiergesetze nicht umgehen dürfen, nur weil sie ihr Produkt als Kryptowährung oder digitalen Token bezeichnen." Sie bestand darauf die gesetzlichen Offenlegungspflichten zum Schutz privater Investoren auch für ICOs einzuführen. Auch wenn SAFTs einst als Best-Practice-Lösung für den Krypto-Raum galten, verloren sie durch diese Entscheidung der SEC im Fall von Telegram in den USA praktisch ihren Nutzen.

Die regulatorische Haltung der SEC

In der Krypto-Community wurde die SEC für ihren scheinbar willkürlichen Kurs, durch eine Ex-post-Durchsetzung eine Klärung der geforderten Regulierung herbeizuführen, stark kritisiert. SEC-Kommissar Hester Pierce zeigt dafür Verständnis und betont, dass die SEC bemüht ist, „den Menschen zu helfen, herauszufinden, wann die Wertpapiergesetze gelten könnten, sodass wir nicht in die Situation kommen, [...] dass wir erst durch die Durchsetzung Klarheit schaffen müssen, was nie ein guter Weg ist.“ Pierce schlägt eine Safe-Harbor-Politik vor, um die Entwicklung eines wirklich dezentralen Systems ohne Verstoß gegen das Wertpapierrecht zu fördern. Nur die Zukunft wird zeigen, ob die SEC unter dem kürzlich ernannten neuen Vorsitzenden Gary Gensler, ehemals Vorsitzender der Commodity Futures Trading Commission (CFTC), Banker bei Goldman Sachs und Professor am MIT, einen Krypto-freundlicheren Ansatz verfolgen wird. Da der US-Wertpapiermarkt der größte der Welt ist, wird die Haltung der SEC gegenüber Kryptowährungen auch großen Einfluss auf die Regulierung von Kryptowährungen rund um den Globus haben.

Security-Tokens oder wie traditionelle Wertpapiere es auf die Blockchain schaffen

ICO- und SAFT-Unterstützer verweisen gerne auf den Nutzen ihrer Token auf einer bestimmten Plattform oder in einem Ökosystem. Sind diese fungiblen (austauschbaren) Token jedoch einmal gelistet, ziehen sie Spekulanten an, die diese kaufen, um sie später zu einem höheren Preis wieder zu verkaufen. Als die Gerichte der SEC zustimmten, dass Utility-Token tatsächlich als Wertpapiere anzusehen sind noch bevor sie ihre eigentliche Funktion erfüllen können, nämlich an Investoren in der Erwartung eines Gewinns verkauft werden, begannen traditionelle Emittenten, sich von ICOs und SAFTs abzuwenden und stattdessen regulatorisch konforme Security Token Offerings (STOs) an regulierte Börsen zu bringen. tZero war die erste, mit den Regularien übereinstimmende, US-basierte digitale Wertpapierbörse, die einen Sekundärmarkthandel für ihre eigenen Security Tokens initiierte. Auch wenn der Markt für Wertpapier-Token noch klein ist, haben einige Start-ups damit begonnen, reale Vermögenswerte zu tokenisieren (z. B. das Token-Angebot von Exporo). Größere Unternehmen testen inzwischen den Markt für tokenisierte Anleiheangebote (z. B. das jüngste 20-Millionen-Euro-Anleiheangebot von Vonovia). Um mehr Blue-Chip-Emittenten zu ermutigen, diesem Beispiel zu folgen, muss es auch volle Rechtssicherheit hinsichtlich der Eigentumsrechte an Token und der Token-Dienstleistungsangebote für die Sicherung oder Verwahrung geben. Auch muss die Blockchain-Infrastruktur, die den freien Transfer von Security-Tokens über das Internet ermöglicht, mehr Interoperabilität bieten.

Wie könnte der Handel mit Wertpapier-Token und traditionellen Wertpapieren auf der Blockchain die Zukunft des Finanzwesens verändern? Viele Beobachter glauben, dass ein transparenter, global vernetzter Markt, Security Tokens zu einem interoperablen Vermögenswert und einer leicht zugänglichen, kosteneffizienten Technologie für die Investitionsmärkte machen könnte. Denn er würde Investoren und Emittenten eine sofortige Übertragung und Abrechnung von Geldanlageverträgen zu liquiden Anlagen ermöglichen, auch wenn diese geringfügig sind. Zusätzlich vereinfacht die Technologie die Bündelung und Aufteilung von Dividenden, Stimmrechten und anderen Governance-Rechten. Smart-Contract-Designs erleichtern zudem eine Automatisierung der Compliance sowie eine Erweiterung des Gestaltungsraums für Sicherungsverträge. Letztendlich könnte die Security-Tokenisierung aber die traditionellen, öffentlichen Wertpapiermärkte disruptiv verändern, vielleicht sogar zur Erschließung riesiger privater Anlagemärkte führen und diese demokratisieren.

Das dezentrale Finanzwesen als Experiment – Den Geist aus der Flasche lassen?

Während traditionelle Emittenten von Wertpapieren sich Security Token zugewandt haben, verlagert die fortschrittliche Krypto-Gemeinschaft ihren Fokus auf die Entwicklung eines „dezentralen Finanzwesens“ (DeFi). Dabei handelt es sich um eine Bewegung, die sich der Schaffung und dem Betrieb von dezentralen Finanzdienstleistungsangeboten und -anwendungen auf Open-Source-Software-Plattformen verschrieben hat. Diese werden auf öffentlichen Blockchain-Systemen, vor allem Ethereum, entwickelt und eingesetzt und verwenden erlaubnisfreie Blockchain-Protokolle. Die drei derzeit wichtigsten von DeFi abgedeckten Funktionen sind

  1. die Schaffung von monetären Bankdienstleistungen (z. B. die Ausgabe von Stablecoins),
  2. die Bereitstellung von Peer-to-Peer-Kreditplattformen und
  3. der Betrieb von dezentralen Börsenplätzen und Prognosemärkten.

DeFi kann als experimenteller Mikrokosmos eines dezentralisierten Finanzsystems betrachtet werden, das ohne Intermediäre funktioniert.

Das DeFi-Universum ist derzeit klein und hat noch keine Mainstream-Nutzer oder Institutionen angezogen. Viele DeFi-Projekte operieren in regulatorischen Grauzonen. Ethereum hat zudem zurzeit mit starken Kapazitätsengpässen zu kämpfen. Laut defipulse.com „stecken“ etwa 45 Milliarden US-Dollar in DeFi-Anwendungen in der Ethereum-Blockchain "fest". Ende 2020 zählte Dune Analytics etwas mehr als eine Million elektronische Adressen auf Ethereum, die mit den wichtigsten DeFi-Protokollen interagierten. Das größte DeFi-Protokoll ist Maker DAO, eine dezentralisierte Kreditplattform. Einzelpersonen auf der ganzen Welt halten den Governance-Token der Maker DAO Plattform, MKR. Er verleiht das Recht, über Änderungen im Netzwerk abzustimmen. Das Maker-Protokoll ermöglicht es Nutzern, Kredite gegen hinterlegte Sicherheiten aufzunehmen. Im Gegensatz zu traditionell gesicherten Krediten können Maker-Kredite mit verschiedenen Krypto-Anlagen besichert werden – darunter Bitcoin, Cardano oder Polkadot – die in Ethereum-basierten Smart Contracts hinterlegt werden. Im Austausch für ihre hinterlegten Sicherheiten erhalten die Kreditnehmer neu geprägte Dai, die dem Wert der Besicherung entsprechen. Dai ist ein Stablecoin mit einer weichen Bindung an den US-Dollar. Die geliehenen Dai können jederzeit im Tausch gegen die Sicherheiten zurückgezahlt werden, und die zurückgegebenen Dai werden vernichtet. Wenn der Wert der Krypto-Sicherheiten fällt, liquidiert das Maker-Protokoll automatisch diesen Teil der Vermögenswerte, um sicherzustellen, dass die Darlehenssumme insgesamt jederzeit ausreichend besichert ist. MKR-Tokens bieten eine Letztabsicherung der Liquidität (Backstop) für den Fall, dass das System uneinbringliche Forderungen anhäuft. Wenn die Sicherheiten nicht ausreichen, um die im Umlauf befindlichen Dai-Beträge zu decken, werden neue MKR-Governance-Tokens erstellt und automatisch in einer Auktion verkauft, um den Betrag der fehlenden Sicherheiten auszugleichen.

Das Maker-Protokoll ist eine wichtige Basis-Infrastruktur, um das Potenzial von DeFi auszuschöpfen und dem Nutzer einen Mehrwert zu bieten. Andere DeFi-Apps, die derzeit im Maker-Ökosystem arbeiten und Dai nutzen, sind Outlet, das hochverzinsliche alternative Sparkonten anbietet, und Uniswap, ein Protokoll, das einen schnellen und effizienten Krypto-Handel auf der Ethereum-Blockchain ermöglicht. In der Gaming-Industrie gewinnt Dai als Mittel zum Aufbau von In-Game-Ökonomien an Popularität. So hat die Maker DAO eine Dai-Gaming-Initiative gestartet, um die Entwicklung von Gaming-Apps mit Belohnungen in Dai zu fördern. Sie schlägt damit eine Brücke zum Kunstsektor, indem sie Künstler ermutigt, Dai für den Handel mit digitaler Kunst zu nutzen. Das langfristige Ziel der Maker DAO ist es, die gesamte Governance weg von der Stiftung und hin zu den Nutzern zu verlagern und sich dabei auf ein System zu stützen, das MKR-Inhaber zu allen Governance-Angelegenheiten befragt, wie zum Beispiel zu der Akzeptanz von Sicherheiten, Kreditzinsen und Ernennungen von Maker-Vertretern.

Eine kritische Frage für das DeFi-Universum ist, ob es von künftigen Regulierungen verschont bleiben wird. Im Gegensatz zu ICOs und SAFTs, die von Organisationen und Einzelpersonen ausgegeben wurden, ist dieses Universum schwieriger zu regulieren, da es dezentraler aufgestellt ist. Potenziell könnten die SEC und andere Regulierungsbehörden Personen wie Rune Christiansen, den dänischen CEO und Entwickler, der das Maker-Protokoll auf der Ethereum-Blockchain aufgebaut hat, oder andere Mitglieder des Vorstands der Maker Foundation ins Visier nehmen. Experten halten es jedoch für unwahrscheinlich, dass die Gerichte DeFi-Tokens als Wertpapiere einstufen werden. Angesichts des globalen Kampfes gegen Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung sind die "On-and-Off-Ramps", über die Defi-Token in Fiat-Währungen umgewandelt werden können, wahrscheinlichere Ziele der Regulierung. Damit DeFi sich durchsetzen kann, müsste die Überwachung auch auf der Blockchain stattfinden. Es gilt, Aktivitäten in Echtzeit zu überwachen, während sie auf der Blockchain aufgezeichnet werden. Es ist wahrscheinlich, dass DeFi Applikationen schneller in Volkswirtschaften angenommen werden, die sich noch in Entwicklung befinden und in denen viele Finanzdienstleistungsangebote fehlen. Die Bürger dort wollen oft nicht länger auf die Entwicklung eines auf Intermediären basierenden Finanzsystems warten. Bereitwillig wagen Sie direkt den Sprung in die Zukunft eines dezentralisierten Finanzsystems. In jedem Fall muss DeFi von Betrugsfällen verschont bleiben, damit es eine breitere Akzeptanz findet. Als beispielsweise das DeFi-Projekt Meerkat nur einen Tag nach seinem Start angeblich Opfer eines Hackerangriffs in Höhe von 31 Millionen US-Dollar wurde und schon bald danach Berichte auftauchten, dass es Anzeichen gäbe, es handle sich in Wirklichkeit um einen Exit-Betrug, war die Verunsicherung unter den Anlegern groß.

- Deutsche Übersetzung des englischen Orginalbeitrags -

Tipps für Praktiker

  • Setzen Sie sich mit der Geschichte von ICOs und SAFTs auseinander und erkennen Sie, welch disruptives Potenzial Security-Token, die den Wertpapiergesetzen entsprechen, Blockchain-Technologie und Smart Contracts für die Wertpapierbranche haben.
  • Betrachten Sie das dezentrale Finanzwesen (DeFi) als Live-Experiment und werden Sie Zeuge des Aufbaus eines protokollbasierten Finanzsystems ohne Intermediäre. Erkennen Sie dessen Vorteile als direkteres, transparenteres, effizienteres, widerstandsfähigeres und inklusiveres Finanzsystem.
  • Ziehen Sie in Erwägung, selbst dezentrale Protokolle und neue Finanzinstrumente zu gestalten, zu programmieren und am Markt einzuführen, um Kernfunktionen von Intermediären wie die Annahme von Einlagen, die Kreditvergabe und den Wertpapierhandel zu automatisieren.

Literaturverweise

Autor

Prof. Dr. Axel Wieandt

Axel Wieandt – vormals CEO/CFO einer DAX-30-Bank, Global Head of Corporate Development, FIG-Banker und McKinsey-Berater – ist ein Senior Financial Services Professional mit dem Fokus auf Banking, Fintech und Finance. Er berät derzeit US-amerikanische und europäische Private-Equity- bzw. Venture-Capital-Fonds sowie Immobilienunternehmen bei deren Investitions- und Wertschöpfungsplanungen. Außerdem ist er in den Aufsichtsräten deutscher Fintech- und Immobilien-Investmentgesellschaften tätig. Axel Wieandt ist seit einiger Zeit selbst Fintech-Investor und hat Lehraufträge an hochrangigen internationalen Hochschulen, wie beispielsweise seit 2005 als Honorarprofessor an der WHU – Otto Beisheim School of Management. Er ist außerdem Autor von über 70 Forschungsarbeiten, Meinungsbeiträge und Interviews und als Vortragender auf Konferenzen gefragt. Sein Buch "Unfinished Business: Putting European Banks (and Europe) Back on Track" ist 2017 im V&R unipress Verlag erschienen.

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