WHU
15.09.2021

Das kommunistische Erbe

Wie sich der Kommunismus noch heute in der Unternehmensführung widerspiegelt

Philip Schnorpfeil / Lutz Johanning - 15. September 2021

Tipps für Praktiker

Der Zusammenprall zwischen Kapitalismus und Kommunismus war einer der wichtigsten sozialen und politischen Vorgänge des 20. Jahrhunderts. Mit dem Fall der BerlinerMauer 1989 schien dieser ideologische Kampf beendet zu sein. Doch 30 Jahre später gibt es noch immer große Unterschiede zwischen den Ländern vor und hinter dem EisernenVorhang, zum Beispiel hinsichtlich der Vorstellungen der Menschen zum richtigen Maß staatlicher Umverteilung. Die Studie „Communist Imprints and Corporate Behavior“ untersucht die Rolle der fortbestehenden kommunistischen Ideologie für heutige Unternehmensentscheidungen als ein bisher unerforschtes Element des sowjetisch-kommunistischen Erbes.

Das ehemalige Ostdeutschland als "Feldversuch"

Die Studie, der ein quasi-experimenteller Rahmen zugrunde liegt, konzentriert sich auf das ehemals kommunistische Ostdeutschland. Nach der Teilung Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg bis zum Fall der Mauer lebten die Menschen westlich der innerdeutschen Grenze in einer marktwirtschaftlichen Demokratie; die Ostdeutschen hingegen waren der Doktrin der kommunistischen Partei ausgesetzt. Diese unterschiedlichen Erfahrungen haben möglicherweise lokale Normen geformt, die ihrerseits auch Jahrzehnte nach der Prägung durch die Doktrin wirtschaftliche Entscheidungen beeinflussen.

Zwei unternehmerische Entscheidungen stehen in engem Zusammenhang mit zentralen Aspekten der kommunistischen Doktrin. Erstens stand die faktische Arbeitsplatzsicherheit im Mittelpunkt der Sozialpolitik und Propaganda des Regimes. Viele Ostdeutsche betrachten heute die Arbeitsplatzsicherheit als das Markenzeichen der Politik in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR). Daraus wird die Hypothese abgeleitet, dass kommunistische Normen die Zurückhaltung bei Entlassungen erhöhen und dadurch eine geringere Fluktuation der Beschäftigten herrscht. Zweitens hat das Erleben des Kommunismus dafür gesorgt, dass Menschen in Ostdeutschland in erheblichem Maße mit finanzfeindlicher Rhetorik konfrontiert wurden, was noch heute für Skepsis gegenüber Fremdfinanzierungen sorgt.

Westdeutsch geprägte Unternehmen in Ostdeutschland berücksichtigen kommunistische Normen weniger

Die Studie misst die Prägung durch die kommunistische Doktrin am Ausmaß lokaler Unterschiede, mit denen ostdeutsche Unternehmen mit westdeutschem Einfluss konfrontiert sind. Man kann sich die Analyse wie folgt vorstellen: Es wird von zwei Unternehmen in Ostdeutschland ausgegangen, die identisch sind hinsichtlich Größe, Alter, Branche, Vermögensstruktur, etc. Wichtig ist dabei, dass diese beiden Unternehmen in einem Gebiet mit gleicher Postleitzahl angesiedelt sind. Der einzige beobachtbare Unterschied besteht nun darin, dass eines der beiden Unternehmen einen westdeutschen Geschäftsführer hat, während das andere Unternehmen einen lokalen, d. h. ostdeutschen, Geschäftsführer hat. Das Unternehmen mit dem westdeutschen Geschäftsführer trifft Entscheidungen, die weniger mit den Normen des Kommunismus übereinstimmen. Es setzt also weniger auf Eigenfinanzierung und erlebt eine höhere Fluktuation unter den Beschäftigten. Mehrere im Anschluss durchgeführte Tests zeigen, dass westdeutsche Geschäftsführer tatsächlich das Verhalten von Unternehmen ändern und nicht nur Firmen leiten, die sich ohnehin in ihrem Verhalten unterscheiden.

Kommunistische Normen bestimmen weiterhin das Unternehmensverhalten

Während die Ergebnisse der Studie darauf hindeuten, dass die Doktrin aus der Zeit des Kalten Krieges eine Rolle spielt, nutzen die Autoren der Studie räumliche Unterschiede in Bezug auf den Widerstand gegen die DDR-Propaganda, um kommunistische Normen als Mechanismus für das Unternehmensverhalten zu bestätigen. Unter anderem nutzen die Autoren dafür eine Theorie aus der Sozialpsychologie, der zufolge in Regionen, in denen die Menschen vor der Einführung des Kommunismus von dieser Ideologie nicht überzeugt waren, kommunistische Normen nicht so erfolgreich verinnerlicht wurden wie anderswo. In diesen Regionen spiegelt das Verhalten der Unternehmen heute also weniger die kommunistischen Normen wider, was auf die Bedeutung der ideologischen Prägung hindeutet.

Ideologie erklärt auch die Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland

Abschließend untersucht die Studie, ob die Ergebnisse innerhalb Ostdeutschlands auch auf Ost- und Westdeutschland übertragbar sind.  Dabei wird analysiert, ob dies mit unterschiedlichen ideologischen Prägungen in Einklang steht. Der Aufbau der Analyse ist folgender: Es gibt zwei sehr ähnliche Unternehmen, die heute in der Nähe der ehemaligen innerdeutschen Grenze angesiedelt sind: Das eine Unternehmen befindet sich jedoch im ehemaligen Westdeutschland, während das andere seinen Hauptsitz in der ehemaligen DDR hat. Auf der Grundlage einer Analyse von Hunderttausenden von Unternehmen ist erkennbar, dass sich die große Mehrheit der Ost-Unternehmen im Vergleich zu seinen westlichen Nachbarn im Einklang mit kommunistischen Normen verhält.

Tipps für Praktiker

  • Berücksichtigen Sie, dass tief verwurzelte kulturelle Phänomene Einfluss auf zahlreiche Geschäftsbereiche haben können.
  • Zwar spielt die lokale Kultur eine entscheidende Rolle für die Formierung einer Unternehmenskultur, das Managementstil kann an dieser Unternehmenskultur allerdings entscheidend mitwirken.

Literaturverweis und Methodik

Autoren der Studie

Dr. Philip Schnorpfeil

Dr. Philip Schnorpfeil ist Postdoc-Forscher an der Goethe Universität Frankfurt und Lehrassistent an der WHU. Seine Forschung widmet sich Haushaltsfinanzen, politischer Ökonomie und Kulturökonomie.

Prof. Dr. Lutz Johanning

Prof. Dr. Lutz Johanning ist Inhaber des Lehrstuhls für Empirische Kapitalmarktforschung an der WHU. Sein Forschungsinteresse gilt der empirischen Kapitalmarktforschung und der Kulturökonomie. Lutz Johanning ist Mitglied der Consultative Expert Group, die neben anderen auch die Europäische Bankenaufsicht berät und sitzt in den Aufsichtsräten der credX AG, Source For Alpha AG und der XTP AG.

WHU