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09.06.2021

Die Zukunft des Geldes

Wie Bitcoin und Co die traditionelle Bankenwelt verändern (Teil 4/7)

Axel Wieandt - 09. Juni 2021

Tipps für Praktiker

Bitcoin ist nicht gleichzusetzen mit Geld. Zwar betrachten immer mehr Menschen die Kryptowährung in der digitalen Ära als einen möglichen Ersatz für Gold und spekulieren, dass ihr Wert durch die erwartete Inflation weiter steigern wird. Dennoch werden noch immer kaum Waren oder Dienstleistungen in Bitcoin bepreist. Aufgrund der fehlenden Skalierbarkeit seiner Blockchain, nutzen bislang nur vergleichsweise wenige Menschen Bitcoin auch als Zahlungsmittel. Tatsächlich können weltweit nur sieben Bitcoin-Transaktionen pro Sekunde durchgeführt werden – im Vergleich zu etwa 24.000 Transaktionen pro Sekunde im Visa-Netzwerk. Der Bedarf an Blockchain-Überweisungen steigt hingegen, denn herkömmliche Überweisungsdienste sind teuer: Über alle Wege und Anbieter hinweg liegen die durchschnittlichen Gebühren weltweit bei über zehn Prozent des Überweisungsbetrags, wobei die Gebühren der Banken höher sind als die der Online-Bezahldienste. Bitcoin-Überweisungen hingegen werden in der Regel gebührenfrei durchgeführt, außer die ausführende Partei versucht ihre Zahlung zu beschleunigen. Dies funktioniert, indem sie den Minern im Netzwerk einen Anreiz bietet, die eigene Transaktion bereits in den kommenden Block aufzunehmen. Ein solcher Anreiz ist jedoch nur relevant, wenn die erhaltenen Bitcoins in die lokale Währung eintauschbar sind oder als Zahlungsmittel akzeptiert werden.

Bitcoin und andere Kryptowährungen gelten als pseudo-anonym, da Beteiligte nur durch ihren öffentlichenSchlüssel bestimmt werden können, ohne dabei ihre wahre Identität zu offenbaren. Aus diesem Grund werden Kryptowährungen seit jeher auch für Geldwäsche und den illegalen Handel missbraucht. Die zugrundeliegende Blockchain-Technologie erlaubt allerdings, jede einzelne Transaktion von Wallet zu Wallet (elektronische Geldbörse) nachzuvollziehen. Können IP- und Wallet-Adressen den jeweiligen Identitäten zugeordnet werden, ermöglichen die öffentliche Einsehbarkeit und Unveränderbarkeit der Bitcoin-Blockchain es Behörden ganz einfach, die Transaktionen mithilfe sogenannter On-Chain-Analysetools in Echtzeit zu verfolgen.

Bitcoin ist noch nicht als legales Zahlungsmittel anerkannt und die rechtlichen Rahmenbedingungen zur Nutzungsregulierung unterscheiden sich stark in den unterschiedlichen Ländern:

- In den USA sind Börsen für Kryptowährungen gesetzlich erlaubt, aber der jeweilige Regulierungsrahmen variiert je nach Bundesstaat und Behörde. Seit 2013 reguliert das Financial Crimes Enforcement Network (FinCEN) Krypto-Börsen als Geldübermittler und geht dabei davon aus, dass Tokens ein „weiterer Wert als Ersatz für Währungen“ sind. Die Bundessteuerbehörde (Internal Revenue Service, IRS) versteht Kryptowährungen als Vermögen und besteuert sie entsprechend. Die Börsenaufsichtsbehörde (Securities Exchange Commission, SEC) betrachtet Kryptowährungen als mögliche Wertpapiere und geht immer öfter gerichtlich gegen unregulierte Emissionen von Kryptowährungen (Initial Coin Offerings, ICO) vor, die entsprechende Schutzvorschriften verletzen. Gleiches gilt für den Handel mit ihnen sowie Börsen, die Kryptowährungen zum Handel zulassen. Bislang genehmigte die SEC in den USA für Bitcoin noch keine Auflage eines börsengehandelten Fonds (Exchange Traded Fund, ETF). Die Commodities and Futures Trading Commission (CFTC), eine unabhängige Aufsichtsbehörde für Terminkontrakt- und Optionsmärkte, betrachtet Bitcoin hingegen als Ware und erlaubt den öffentlichen Handel mit Kryptowährungen. Das New York State Department of Financial Services (DFS) erließ 2015 als erste Behörde eines Bundesstaates eine Verordnung, die Erhalt, Lagerung, Kauf, Verkauf, Tausch, Ausstellung und Verwaltung von virtuellen Währungen reglementierte. PayPal erhielt 2020 als einer der ersten Zahlungsanbieter eine durch das New Yorker Department of Financial Services (DFS) ausgestellte bedingte Lizenz für virtuelle Währungen (Bitlicense), durch die alle berechtigten Kontoinhaber in den USA Kryptowährungen mit ihrem PayPal-Konto nutzen dürfen.

- In China werden Kryptowährungen nicht als legales Zahlungsmittel anerkannt, sondern als eine Form von Vermögen behandelt. Aufgrund der Sorge, dass ein grenzüberschreitender Krypto-Handel die staatlichen Kapitalverkehrskontrollen umgehen könnte, ist die Reglementierung hier äußerst streng. Finanzinstituten wurde 2013 der Umgang mit Bitcoin untersagt, und alle Arten von Bitcoin-Börsen sind seit 2017 verboten. Seit 2019 erwägt die chinesische Regierung sogar ein grundsätzliches Verbot von Krypto-Mining.

- Die EU sieht Kryptowährungen weitgehend als legal an, aber auch hier variieren Börsenregulierung und Besteuerung je nach Land. Die meisten Mitgliedsstaaten erheben eine Kapitalertragssteuer, und der Umtausch in Kryptowährung ist nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs von der Umsatzsteuer befreit. Krypto-Börsen müssen heute als Teil ihrer Sorgfaltspflicht die wirtschaftlichen, rechtlichen und finanziellen Verhältnisse ihrer Kunden prüfen (Know Your Customer/Customer Due Diligence, KYC/CDD). Diese Börsen sind nicht reguliert, müssen aber in bestimmten Mitgliedsstaaten registriert sein und sind zum EU-Passporting berechtigt. Weitere Verschärfungen der KYC/CDD-Regeln und eine umfassende Verordnung zur Regulierung für Krypto-Assets (Markets in Crypto-Assets, MiCA-VO) werden aktuell vorbereitet. Deutschland ist Vorreiter in Bezug auf eine eigene Zulassungspflicht für Krypto-Verwahrer, die seit 2021 in Kraft ist.

Stablecoins verbinden die Blockchain-Technologie mit Fiat-Geld

Aufgrund fehlender CBDC und begrenzt vorhandenen „Auf-“ und „Abfahrten“ zur Krypto-Autobahn (sog. „on-ramps“ und „off-ramps“) entwickelten sich sog. Stablecoins wie Tether oder der U.S. Dollar Coin (USDC). Im Wesentlichen sind Stablecoins Token, deren Wert an eine Fiat-Währung, Gold oder andere wertstabile Assets gebunden ist. So sollen die starken Kursschwankungen überwunden werden, die verhindern, dass Kryptowährungen der ersten Generation als Zahlungsmittel genutzt werden. Es gibt drei Methoden eine möglichst geringe Volatilität zu erreichen: Erstens, eine „Reserve“ für die Aufbewahrung der Vermögenswerte (Einlagen, Anleihen u. ä.), die den Stablecoin stützen; zweitens eine komplexe Methode der Besicherung durch andere Kryptowährungen und drittens eine bei den Regulierungsbehörden stark umstrittene Methode, in der Stabilität durch einen Präge-Algorithmus („Minting“) erreichet werden soll. Beim Minting werden Einheiten einer digitalen Währung in dem Maße entfernt oder neu geschaffen, dass der Kurs der Währung mit dem des wertstabilen Referenzvermögens weiterhin übereinstimmt.

Bis heute wurden über 200 verschiedene Stablecoins auf den Markt gebracht. Einige dieser Stablecoins sind ähnlich gut reguliert wie digitale Zahlungsdienstleister wie PayPal und Venmo in den USA, Alipay und WeChat Pay in China oder Paytm in Indien. Andere sind radikaler und verwirklichen die Vision des 1992 verstorbenen Ökonomen Friedrich August von Hayek von privaten stabilen Währungen, die dem staatlichen Fiat-Währungssystemen Konkurrenz machen.

Die prominentesten Vertreter dieser Kategorie von Kryptowährungen sind die zentralisierten Stablecoins Tether und USDC. Im Zuge der jüngsten Preisanstiege von Bitcoin und Ether erreichten sie einen Börsenwert von 31 bzw. 8 Milliarden Euro, was sie in Bezug auf die Marktkapitalisierung auf Platz 4 und 13 der Kryptowährungen katapultierte.

Tether wurde 2014 ins Leben gerufen, und ist laut Angaben seiner Gründer 1 zu 1 durch von Tether Ltd. gehaltene US-Dollar-Reserven gestützt. Der Stablecoin läuft auf der Bitcoin-Blockchain unter Verwendung des Omni-Layer-Protokolls und gehört zu Bitfinex, einer großen Börse für Kryptowährungen. Diese Verbindung stand bereits im Mittelpunkt öffentlicher Kontroversen und von Gerichtsverfahren: Der starke Kursanstieg von Bitcoin 2017/2018 sei durch geheime Absprachen zwischen Tether Ltd. und Bitfinex verursacht worden, bei denen Bitcoin mit betrügerisch hergestellten Tether ohne ausreichende Deckung gekauft worden seien. Es gelang Tether Ltd. erst kürzlich, den diesbezüglichen Rechtsstreit bei der New Yorker Generalstaatsanwaltschaft beilzulegen. „Die Vorwürfe zu den Enthüllungen zum Darlehen, das Tether an Bitfinex vergab“ konnten ausgeräumt werden, wobei Tether zusagte, „noch weitere Informationen über die eigenen Reserven“ offenzulegen.

Der USDC wurde 2018 von einem Konsortium namens Centre geschaffen, das von Circle gegründet wurde und zu dem auch die Krypto-Börse Coinbase und das Bitcoin-Mining-Unternehmen Bitmain gehören. Er ist durch US-Dollar-Reserven gedeckt. Circle selbst ist als offizieller Geldtransferdienst lizensiert und u. a. durch Goldman Sachs gestützt. Alle USDC-Tokens sind reguliert. Die intelligenten Verträge („Smart Contracts“) von USDC erzeugen nur dann neue USDC-Token, wenn parallel ein entsprechender Betrag in US-Dollar auf das Bankkonto des Ausstellers überwiesen wurde. Alle USDC-Aussteller müssen regelmäßig ihre US-Dollar-Anteile melden, die monatlich von der international Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Grant Thornton LLP zusammengefasst und veröffentlicht werden.

Stablecoins sind mit spezifischen Risiken behaftet, die vorrangig mit der Existenz und dem Wert der zugrundeliegenden Fiat-, Gold- oder anderer Reserven in Zusammenhang stehen. Werden die Reserven bei einer Drittpartei hinterlegt, entsteht ein zusätzliches Kontrahentenrisiko. Beispielsweise könnten die Vermögenswerte eingefroren werden, wenn die zentralen Stablecoin-Betreiber ihre behördlichen Auflagen nicht erfüllen. Dieses Liquiditätsrisiko könnte auch eintreten, wenn sich Gerüchte über die Existenz oder den Wert der Reserven verbreiten. Dies könnte zu einem Ansturm auf die Reserven führen. Zudem besteht ein technologisches Risiko in Bezug auf die Blockchain, auf der die jeweiligen Token erstellt werden. Anders gesagt: Stablecoins lassen sich zwar digital übertragen, sind aber nicht so stabil und risikofrei wie Fiat-Geld.

Solange Stablecoins von einer vertrauenswürdigen regulierten Drittpartei wie einer Bank ausgegeben werden, sind sie Fiat-Geld aber sehr ähnlich. Etwa ist der J.P. Morgan Coin auf Quorum, einer programmierbaren Open-Source-Blockchain auf Basis einer Abspaltung („Soft Fork“) von Ethereum, ein Beispiel für einen solchen von einer Bank ausgegebenen Stablecoin. Dabei sind die J.P.-Coins durch US-Dollar-Einlagen bei der J.P. Morgan Chase Bank N.A. gedeckt. Quorum ist für die Abwicklung von privaten Transaktionen innerhalb einer genehmigten Gruppe bekannter Teilnehmer konzipiert. Der J.P. Morgan Coin ist also eine von vielen möglichen Anwendungen, die auf Quorum laufen können. Er ist ein Stablecoin, der unmittelbare, automatisierte Zahlungen und Abrechnungen als Teil des Finanzmanagements in Unternehmen und der Cash-Management Dienstleistung von Banken ermöglicht.

Facebooks Libra-Projekt zeigt das Transformationspotential globaler Stablecoin-Regelungen

Facebooks Libra-Projekt (2019 offiziell angekündigt, kürzlich umbenannt in „Diem“) schöpft das Potenzial eines Blockchain-basierten globalen Stablecoin-Arrangements aus und hat in der Folge heftige politische und regulatorische Gegenmaßnahmen hervorgerufen. Als Kryptowährungen aufkamen, erkannte Facebook darin sowohl eine Bedrohung als auch eine Chance für sein Geschäftsmodell, das fast ausschließlich auf Werbeeinnahmen basiert. Tatsächlich werden mehr als 98 Prozent der Einnahmen von Facebook durch Werbung generiert. Die Gefahr: Wenn nun ein Konkurrent wie Google oder auch ein kleines Start-up einen Coin entwickeln, der die Transaktionen der Nutzer überwachen und Daten über das Kauf- und Verkaufsverhalten sammelt, so wären Facebooks Werbeeinnahmen bedroht. Könnte allerdings Facebook selbst so einen Coin auf den Markt bringen und diesen in Facebook- und WhatsApp-Dienste einbinden, würde es das Angebot der Plattformen weiter stärken und die Einnahmen steigern. Bereits 2019 zählten die Facebook- und WhatsApp-Dienste gemeinsam 2,5 Milliarden aktive Nutzer und hatten Zugang zu 140 Millionen Geschäftskunden. Zusätzlich könnten 1,7 Milliarden Menschen in Schwellenländern, die kein Konto bei einem Bankinstitut oder einem anderen Finanzdienstleister haben, erreicht und möglicherweise für die Plattformen gewonnen werden.

Traditionelle Kryptowährungen wie Bitcoin und Ethereum, die auf öffentlichen, zulassungsfreien Blockchains („permissionless blockchains“) beruhen, sind nicht skalierbar und der Wert von Bitcoin und Ether ist anfällig für Preisschwankungen. Aus diesen Gründen entschied sich Facebook, das globale Stablecoin-Arrangement Libra ins Leben zu rufen. Um dieses erfolgreich einzuführen, rekrutierte Facebook 28 Gründungsmitglieder der Libra Association, einer Schweizer Stiftung. Die Organisationen sollten das Projekt leiten, die Entwicklung des Libra-Tokens auf der proprietären Move-Blockchain beaufsichtigen und die Mehrfach-Währungsreserven von realen Vermögenswerten verwalten. Diese Vermögenswerte beruhen im Wesentlichen auf Bankeinlagen und Staatsanleihen mit Top-Rating und aus der jeweiligen Fiat-Währung, die für die Ausgabe von Libra-Tokens empfangen wird. Zu den Gründungsmitgliedern gehörten Zahlungsdienste (wie Mastercard und PayPal, die beide später aus dem Projekt ausstiegen), Technologie-Plattformen (wie Facebook und Uber), Telekommunikationsanbieter (wie Vodafone), Blockchain-Unternehmen (wie Anchorage), Risikokapitalgeber (wie Ribbit oder Union Square Ventures) und gemeinnützige Institutionen. Bemerkenswert ist, dass keine regulierte Bank mit im Boot war. Jedes der 100 Mitglieder hatte zu Beginn zehn Millionen US-Dollar oder mehr einzuzahlen. Im Austausch erhielten sie die Rechte an den Dividenden, die aus der Verwaltung der Reserve erwirtschaftet wurden, sowie die Möglichkeit, einen der Knotenpunkte zur Validierung der Transaktionen zu betreiben.

Hinter der Libra-Blockchain steht die Idee der neuen Geldbörse „Calibra“. Nutzer laden diese oder eine andere elektronische Geldbörse der Konkurrenz herunter und tauschen Fiat-Geld in Libra um. Diese Libra-Coins können dann übertragen oder auf den Plattformen von Facebook ausgegeben werden. Sind sie erst durch einen Knotenpunkt validiert, werden die Transaktionen in der Libra-Blockchain festgehalten, die eine Kapazität von bis zu 1.000 Transaktionen pro Sekunde hat.

Nach der Veröffentlichung des Whitepapers zu Libra geriet das Vorhaben sofort weltweit unter heftige Kritik durch Regierungen, Regulierungsbehörden und Zentralbanken. Facebook und die Mitglieder der Libra Association wurden aufgefordert, einem Moratorium für jede weitere Entwicklung der Kryptowährung Libra und dem Wallet Calibra zuzustimmen. Ursächlich hierfür waren Bedenken hinsichtlich des Datenschutzes, fehlender regulatorischer Aufsicht und systemischer Risiken für die globale Finanzstabilität. Laut Schätzungen könnte die Libra-Reserve schnell eine Größenordnung von mehreren hundert Milliarden, wenn nicht sogar einer Billion US-Dollar erreichen. Damit wäre Libra gemessen an seiner Kapitalisierung vergleichbar mit systemrelevanten Finanzinstituten, jedoch ohne Einlagensicherung oder die Absicherung durch Zentralbanken, die die Kryptowährung in einer Liquiditätskrise stützen könnten („Kreditgeber letzter Instanz“). Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass Bürger in Ländern mit schwächeren Währungen den Großteil ihrer Ersparnisse in Libra statt in der lokalen Währung vorhalten und so die Wirksamkeit der Geldpolitik ihres Landes ernsthaft untergraben. Schließlich veröffentlichte das Financial Stability Board (FSB) im Oktober 2020 im Auftrag der G7 „Empfehlungen von hochrangiger Stelle zur Bewältigung der regulatorischen, aufsichtsrechtlichen und überwachungstechnischen Herausforderungen, die durch globale Stablecoin-Arrangements entstehen könnten“. Im Oktober 2020 betonte die G7 erneut ihre Entschlossenheit, globale Stablecoin-Projekte wie Libra zu stoppen, bis eine angemessene regulatorische Aufsicht gewährleistet werden könne.

Die frühzeitige Ankündigung des Libra-Projekts in der Öffentlichkeit ohne vorhergehende Rücksprache mit Regulierungsbehörden, wie sie bei die bei regulierten Banken üblich wäre, hat eine beispiellose weltpolitische Gegenreaktion ausgelöst. Die G7 sahen sich gezwungen, Gesetzeslücken durch neue Verordnungen zu schließen. Libra hat der Welt aber auch gezeigt, welches disruptive Potenzial in soziale Netzwerke und E-Commerce Plattformen eingebettete, globale Stablecoin-Arrangements besitzen, um den Zahlungsverkehr zu revolutionieren.

Die sinkende Nutzung von Bargeld und der steigende Anteil alternativer Zahlungsmethoden

Bargeld ist das einzige Zentralbankgeld, auf das Bürgerinnen und Bürger direkt zugreifen können. Die zweite Form des Zentralbankgeldes, die Zentralbankreserven, werden von zugelassenen Geschäftsbanken verwaltet. Diese Banken schaffen Geld durch Kreditvergabe an Regierungen, Institutionen, Unternehmen und Privatpersonen. Diese Kredite erzeugen entsprechende Einlagen auf den Bankkonten der Kreditnehmer, wodurch neues Geld entsteht. Über 90 Prozent der weltweiten Geldreserven liegen auf den Konten von Geschäftsbanken.

Die Pandemie hat die Umstellung auf Online-Banking und die Nutzung von E-Commerce beschleunigt, was zu einem Rückgang in der Bargeldnutzung geführt hat. Das verstärkt die Abhängigkeit von digitalen Zahlungsmethoden und -dienstleistern. Da die Nachfrage nach Bargeld sinkt, fühlen sich Zentralbanken weltweit mehr und mehr dazu gezwungen, digitales Zentralbankgeld anzubieten – nicht als Ersatz, aber als Ergänzung zu privaten Zahlungssystemen und -lösungen.

Das bestehende bankenbasierte Geldsystem schließt manche Menschen aus

In entwickelten Wirtschaftsnationen könnte die zunehmende Digitalisierung des Zahlungsverkehrs Teile der Gesellschaft zurücklassen, indem IT- und Datenschutzbedenken in einer alternden Gesellschaft eine Kluft („digital divide“) entstehen lassen. In Schwellenländern fehlt ein für alle zugänglichen Bankensystem, wodurch CBDC mehr Menschen den Zugang zu Finanzdiensten ermöglichen könnten. Das gilt aber auch für die USA, wo ein erheblicher Prozentsatz der Bevölkerung keinen Zugang zum traditionellen Bankensystem hat.

Zentralbanken auf der ganzen Welt treiben die Entwicklung von CBDC voran

Mit wachsender Bekanntheit von Kryptowährungen sowie dem Aufkommen von globalen Einfach- und Mehrfachwährungssystemen in Stablecoin-Arrangements wie Libra treiben Zentralbanken weltweit die Forschung im Bereich CBDC voran. Die People's Bank of China (PBOC) wurde weltweit als eine der ersten Zentralbanken bekannt, die CBDC aktiv erforscht und erstmalig einsetzt. Seit 2014 berichtet die PBOC über Fortschritte im Zusammenhang mit digitalen Währungen und gründete 2017 das Digital Currency Research Institute. Die PBOC versucht damit, China zum ersten Staat mit einer staatlichen Digitalwährung inklusive elektronischem Zahlungssystem (DC/EP) zu machen.

2020 bestätigte die PBOC gemeinsam mit der Agricultural Bank of China, eine der vier größten staatlichen Banken, DC/EP mittels einer eigens entwickelten App bereits in vier chinesischen Städten getestet zu haben. Dabei stellen alle vier großen staatlichen Banken die Pilotinstitute für das DC/EP-Projekt. Sobald Netzwerkfunktionalitäten und Sicherheit validiert sind, soll DC/EP auch von Tencent und Alibaba in WeChat Pay bzw. Ali Pay eingesetzt werden. Die Digitalwährung wird in zwei Schritten eingeführt: Zuerst werden DC/EP an regulierte Vermittler im Austausch gegen Kapital ausgegeben. Im zweiten Schritt sollen die Vermittler die DC/EP von ihren eigenen Wallets in die Wallets von Einzelpersonen und Händlern übertragen. Das Backend und die Wallets dafür sind bereits entwickelt. Testläufe werden in 28 Städten, darunter Peking, Shanghai und Hongkong, stattfinden. Ausländische Unternehmen wie McDonalds oder Starbucks werden Berichten zufolge ebenfalls teilnehmen. Die Regierung schreibt vor, dass alle Händler, die digitale Zahlungen akzeptieren, auch DC/EP akzeptieren müssen. DC/EP werden Zahlungsoptionen per Near Field Communication (NFC) ermöglichen, für die das jeweilige Gerät nicht online sein muss. Außerdem ist DC/EP nicht an ein Bankkonto gebunden, wodurch es auch für den Teil der Bevölkerung ohne Konto verfügbar sein wird. Trotz aller Fortschritte gibt es jedoch noch keinen konkreten Zeitplan für die formale Einführung von DC/EP in China.

Im Gegensatz zu China scheinen die USA keinen dringenden Bedarf an einer digitalen Währung zu sehen. Der Vorsitzende der Federal Reserve Bank (Fed), Jerome Powell, erklärte sogar, dass angesichts der sehr wettbewerbsfähigen und innovativen Zahlungslandschaft in den USA keine Notwendigkeit für einen digitalen US-Dollar bestünde. Dennoch hat die Fed vor kurzem mit Forschungsarbeiten zu CBDC begonnen und kündigte im August 2020 eine mehrjährige Forschungskooperation mit dem Massachusetts Institute of Technology (MIT) an. Gleichzeitig verstärkt sie ihr internationales Engagement für CBDC, u.a. durch die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), die eine Gruppe von Zentralbanken In Untersuchungen zu Vorteilen des CBDC koordiniert.

In Europa ist die Schwedische Nationalbank Vorreiter bei digitalen Währungen im Handel. Das e-Krona-Projekt reagiert auf einen starken strukturellen Rückgang in der Verwendung von Bargeld. Nach dreijähriger Vorarbeit startete die Riksbank 2020 gemeinsam mit Accenture und R-3 Corda ein e-Krona-Pilotprojekt, um Bezahlungs-, Einzahlungs- und Überweisungsfunktionen in einer Umgebung mit dezentral geführten Kontobüchern („Distributed Ledger“) zu testen.

Seit der Veröffentlichung ihres Berichts zu virtuellen Zahlungsmi tteln im Oktober 2012 beteiligt sich auch die EZB an CBDC. In der Folge wurde 2017 das Projekt Stella als eine Forschungskooperation mit der Bank of Japan, initiiert, um mögliche CBDC-Anwendungsgebiete zwischen den Zentralbanken zu erörtern. Konkret wurden folgende vier Anwendungsbereiche der Distributed-Ledger-Technologie (DLT) untersucht:

  • Abwicklung umfangreicher Zahlungen (Phase 1),
  • Unterstützung der Wertpapierabwicklung (Phase 2),
  • Verbesserung der Effizienz von grenzüberschreitenden Zahlungen (Phase 3)
  • Verbesserung der Vertraulichkeit und Prüfbarkeit (Phase 4).

Mit dem Amtsantritt von Christine Lagarde als Präsidentin der EZB verstärkten sich die Bemühungen um einen gesamteuropäischen CBDC für den Einzelhandel. Im Oktober 2020 veröffentlichte die EZB einen Bericht über einen Digitalen Euro, der „als Zentralbankgeld in digitaler Form verstanden werden kann, das Bürgern wie Unternehmen das Bezahlen im Einzelhandel ermöglicht.“ Nach einer längeren öffentlichen Beratungsphase wird die EZB voraussichtlich im Sommer 2021 weitere Schritte zum Projekt „Digitaler Euro“ entscheiden.

CBDC als digitales Fiat-Geld – wichtige Entscheidungen zur Gestaltung

Bei der Einführung eines CBDC-Projekts müssen Zentralbanken auf der ganzen Welt wichtige Entscheidungen zur Ausgestaltung treffen. Die BIZ hat dabei bereits drei Grundprinzipien und Hauptfunktionen für CBDCs definiert:

  1. Die Einführung darf übergeordneten politischen Zielen nicht im Wege stehen.
  2. Es muss gewährleistet sein, dass öffentliche und private Geldformen nebeneinander existieren und sich ergänzen können.
  3. Innovation und Effizienz müssen durch die digitale Währung gefördert werden.

Die vier Arten des digitalen Zentralbankgeldes

Folgende vier Arten digitalen Zentralbankgeldes und dessen Nutzung können unterschieden werden:

  1. Zentralbankreserven und Verrechnungskonten
  2. Digitale Tokens der Zentralbanken (nur im Großhandel)
  3. Zentralbankkonten mit allgemeinem Verwendungszweck
  4. Digitale Tokens der Zentralbanken mit allgemeinem Verwendungszweck

Die unter Punkt 1. und 2. genannten Formen von CBDC werden nur für Geldtransfers im Großhandel bzw. zwischen Zentral- und Geschäftsbanken genutzt, sie sind nicht für die Allgemeinheit zugänglich. Hingegen stehen die unter Punkt 3. und 4. genannten CBDC-Formen für Transaktionen im Einzelhandel und damit auch der breiten Masse zur Verfügung.

Wie CBDCs im Einzelhandel funktionieren:

  1. direkt, d. h. eine unmittelbare Forderung an die Zentralbank, wobei die Zentralbank die KYC-Regularien und das Onboarding der Kunden sowie die Zahlungen übernimmt, oder
  2. hybrid, d. h. Vermittler wickeln die KYC-Regularien, das Client Onboarding und die Zahlungen ab, oder
  3. indirekt, also als zweistufiges System nach dem Vorbild des chinesischen DC/EP, bei dem die CBDC faktisch eine Forderung an einen Vermittler darstellt, der die gesamte Abwicklung von KYC, Onboarding und Zahlungen übernimmt, während die Zentralbank nur die Zahlungen im Großhandel mit Vermittlern abwickelt.

Eine Schlüsselfrage aus Verbrauchersicht ist der Datenschutz, der bei kontobasierten CBDCs schwieriger zu gewährleisten ist als bei Token-basierten CBDCs. Für Zentralbanken ist die Frage nach der Gestaltung der Infrastruktur relevant. Sie kann entweder zentral sein, wie bei CBDC-Konten und -Token der Fall, oder dezentral, also DLT-basiert, wobei Transaktionen über ein autorisiertes Netzwerk validiert werden.

Noch wichtiger als die Unterscheidung zwischen zentral und dezentral ist jedoch die Unterscheidung zwischen einer Token-basierten und einer Konten-basierten Infrastruktur. Denn mit der Verbreitung von DLT werden sich die Geschäftsprozesse dahingehend grundlegend ändern, dass Token für Waren und Dienstleistungen stehen und Smart Contracts der Regelung von Geschäftsbeziehungen dienen. Ein Zahlungssystem muss programmierbar sein, um es mit den programmierbaren, autonomen und automatisierten Waren- und Dienstleistungsströmen der Zukunft zu synchronisieren. Machine-to-Machine oder Pay-per-Use-Zahlungen im Internet der Dinge (Internet of Things oder IoT) werden letztlich ein neues kompatibles Token-basiertes Zahlungssystem erfordern. Das herkömmliche Zahlungssystem hätte selbst mit Sofortzugriff rund um die Uhr wohl nicht die technischen Kapazitäten, um Smart Contracts in die Zahlungsabwicklung zu integrieren. Kryptowährungen oder Stablecoins hingegen haben diese technischen Voraussetzungen. Sie gelten aber aufgrund ihrer beschränkten Kompatibilität mit anderen Systemen, der fehlenden Stabilität und des mangelnden Vertrauens in sie noch als ungeeignet. Auch wenn man zeitnah Schnittstellen zwischen Smart Contracts und konventionellen Zahlungssystemen zur Auslösung von Zahlungen entwickeln könnte, würde ein tokenisiertes CBDC aus funktionaler und rechtlicher Sicht dennoch die größeren Vorteile bringen. Voraussetzung hierfür ist, dass die Schnittstellen zu anderen Zahlungssystemen funktionieren und es nicht anfällig für Cyber-Attacken und Datenhacks ist. Allerdings wurden ein DLT-basiertes, tokenisiertes CBDC in der Größenordnung von Facebooks Libra und darüber hinaus bisher weltweit noch von keiner privaten Institution oder Zentralbank erprobt.

Wie lassen sich die Herausforderungen von CBDC bewältigen?

CBDC würde neue operative Risiken und Herausforderungen für Zentralbanken bedeuten. Um ein DLT-basiertes, tokenisiertes Allzweck-CBDC umzusetzen, bräuchten die Zentralbanken neue technologische Fertigkeiten und müssten etwa auch neue Formen öffentlich-privater Partnerschaften mit Vermittlern und Anbietern von Zahlungsdiensten eingehen. Abgesehen von solch operativen Herausforderungen könnte das CBDC auch die finanzielle Stabilität des Bankensystems gefährden. In einer Finanzkrise würden die Einlagen der Geschäftsbanken zügig in das CBDC übergehen und das Bankensystem sähe sich der Gefahr eines Sturms auf die Banken ausgesetzt. Um dieses Risiko zu minimieren, müssen die Zentralbanken entweder die Menge an CBDCs begrenzen, die jeder Einzelne halten kann, oder ein mehrstufiges Preissystem einführen, bei dem CBDC-Bestände mit progressiv steigenden Zinssätzen belegt werden. Die Frage des Datenschutzes bei CBDC-Zahlungen könnte durch die Einführung sogenannter Datenschutz-Scheine („Privacy Voucher“) für Transaktionen unterhalb einer bestimmten Grenze gelöst werden.

Chancen und Risiken von CBDCs für Banken und ihre Kunden

CBDCs bieten neue Geschäftsmöglichkeiten für Banken und deren Kunden. Das Angebot elektronischer Geldbörsen für Privat- und Firmenkunden und Optionen zur Zahlungsautomatisierung für Privatkunden sowie verbesserte Cash-Management-Anwendungen für Unternehmen sind Beispiele für neue Serviceangebote im Zusammenhang mit CBDC. Allerdings müssen Banken schnell handeln, wenn sie mit Krypto-Brokern und -Börsen wie Coinbase konkurrieren wollen. Die Nutzung von CBDC könnte im Großhandel durch Effizienz- und Liquiditätssteigerung im Clearing und in der Abrechnung zwischen Banken erhebliche Verbesserung bedeuten und aufwendige interne Abstimmungsprozesse reduzieren. Der Utility Settlement Coin (USC) von Fnality und die italienische Clearing- und Settlement-Plattform von Spunta sind zwei DLT-Lösungen, die das wirtschaftliche Potenzial von CBDC erkennen lassen.

Die Implementierung von CBDCs wird erhebliche Investitionen in technologische Kapazitäten und die Transformation des Zentralbankwesens erfordern. Außerdem ergeben sich neue Geschäftschancen und Herausforderungen für Finanzvermittler, die ihre Zahlungsprodukte und Zahlungsdienstleistungen ausbauen müssen.

- Deutsche Übersetzung des englischen Orginalbeitrags -

Tipps für Praktiker

  • Finanzinstitute wie Unternehmen müssen anerkennen, dass wir den Wendepunkt wahrscheinlich schon erreicht haben – dass die CBDC kommen wird, ist nur eine Frage der Zeit.
  • Finanzinstitute und Finanzabteilungen von Unternehmen müssen anerkennen, dass CBDC ein gänzlich neues Zahlungssystem ist, nach einer neuen IT-Infrastruktur verlangt.
  • Banken sollten sich darauf vorbereiten, alle Anwendungsgebiete von CBDC zu integrieren und den Umgang mit einer Vielzahl digitaler Vermögenswerte inkl. CBDC sicherzustellen – Interoperabilität ist dabei der Schlüssel.
  • Banken und Vermögensverwalter sollten die CBDC sehr genau verfolgen und Wettbewerbsrisiken sowie Risiken durch Disintermediation mit Experimentierfreudigkeit und Ausweitung der eigenen Angebote begegnen.

Literaturverweise

Autor

Prof. Dr. Axel Wieandt

Axel Wieandt – vormals CEO/CFO einer DAX-30-Bank, Global Head of Corporate Development, FIG-Banker und McKinsey-Berater – ist ein Senior Financial Services Professional mit dem Fokus auf Banking, Fintech und Finance. Er berät derzeit US-amerikanische und europäische Private-Equity- bzw. Venture-Capital-Fonds sowie Immobilienunternehmen bei deren Investitions- und Wertschöpfungsplanungen. Außerdem ist er in den Aufsichtsräten deutscher Fintech- und Immobilien-Investmentgesellschaften tätig. Axel Wieandt ist seit einiger Zeit selbst Fintech-Investor und hat Lehraufträge an hochrangigen internationalen Hochschulen, wie beispielsweise seit 2005 als Honorarprofessor an der WHU – Otto Beisheim School of Management. Er ist außerdem Autor von über 70 Forschungsarbeiten, Meinungsbeiträge und Interviews und als Vortragender auf Konferenzen gefragt. Sein Buch "Unfinished Business: Putting European Banks (and Europe) Back on Track" ist 2017 im V&R unipress Verlag erschienen.

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