WHU
10.11.2021

Fünf Fragen an SPECTER Automation

WHU Start-up bietet der Baubranche digitale Innovationen

Die Baubranche hat ein Problem: Ihr mangelt es an Digitalisierung. Sie ist international die am zweitwenigsten digitalisierte Industrie. Dabei wird im Vorfeld jedes Projekts eine umfangreiche Sammlung von Daten erhoben. An dieser Stelle setzt SPECTER Automation an. Das junge Start-up möchte die Baubranche in das 21. Jahrhundert heben. Dazu bietet SPECTER Automation eine völlig neue Software-Lösung an, die alle Daten digital und übersichtlich erfasst, allen Beteiligten die für sie relevanten Daten zur Verfügung stellt und darüber hinaus noch Ineffizienzen und mögliche Planungsfehler aufzeigt. Gegründet wurde SPECTER Automation von Moritz Cremer und Max Gier von der RWTH Aachen, sowie Niklas Beese, Emanuel Groh und Oliver Eischet – alle Bachelor-Absolventen der WHU – Otto Beisheim School of Management von 2018. SPECTER-CEO Oliver Eischet hat im folgenden Interview der Reihe „Fünf Fragen an…“ einige Einblicke in die Idee des Start-ups und die Unternehmensgründung gegeben.

1. SPECTER Automation setzt bei einer der am schlechtesten digitalisierten Branchen weltweit an. Die Bauindustrie erhebt zwar vor jedem Projekt umfangreiche Daten, aber diese sind oft noch traditionell auf Papier und in Akten zu finden. Wieso geht die Digitalisierung dort so langsam voran, während sie doch entscheidende Vorteile hat?

Die schleppende Digitalisierung in der Bauindustrie, die tatsächlich den vorletzten Platz hinsichtlich des Digitalisierungsgrads belegt, ist ein Zusammenspiel sehr vieler Faktoren, die teils intern und teils extern bedingt sind. Einer der wichtigsten Aspekte ist sicherlich die Gewohnheit. Sich von bestehenden Prozessen und Arbeitsweisen zu lösen ist nie einfach – das kennt jeder von uns – und damit eine Hürde für neue, digitale Lösungen, die den bestehenden Rhythmus verändern. Hinzu kommt, dass die Bauindustrie, ähnlich wie andere produzierende Gewerbe, eine sehr physische Kultur lebt. Wir haben es mit Machern zu tun, die es gewohnt sind, „Dinge anzupacken“ und etwas Greifbares zu haben. Das macht es für die Digitalisierung erst einmal schwierig. Zuletzt sind Ängste beziehungsweise Vorurteile vorhanden, die mit der Digitalisierung verbunden sind. Ich denke vor allem an den Implementierungsaufwand und daran, dass sich die Bauindustrie mit einer Thematik konfrontiert sieht, die nicht zum Repertoire eines klassischen Bauunternehmens zählt. Digitalisierungs-, Innovationsexperten und Softwareentwickler sollen plötzlich Prozesse verändern, die sich über die letzten 100 Jahre kaum verändert haben. Was sich hier schon zeigt ist, dass es für die Bauindustrie Lösungen braucht, die einfach zu implementieren sind, den Mehrwert der Digitalisierung direkt und greifbar aufzeigen und die Entscheider und Anwender der Industrie begeistern. Genau deswegen haben wir über 15 Monate unsere Software in enger Zusammenarbeit mit der Bauindustrie entwickelt und halten auch weiterhin daran fest, mit den Nutzern auf der Baustelle wöchentlich unsere Software zu verbessern.

2. Euer Unternehmen bündelt die zahlreichen verfügbaren Informationen zum Bau und dem Projekt in einem modernen Dashboard. So können die beteiligten Entscheidungsträger zeitsparend und übersichtlich alles erfassen. Wie wird die Fülle an Informationen vollständig zusammengetragen und wie wird sie dann individuell für jeden Verantwortlichen aufbereitet?

Unser innovatives Dashboard zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass es technisch flexibel und durch die nutzerzentrierte Entwicklung extrem intuitiv zu bedienen ist. Wir verknüpfen alle Datenpunkte mit dem 3D-Modell des geplanten Gebäudes, sozusagen dem digitalen Zwilling. Durch die Einbindung von Terminplänen, kalkulierten Kosten und Aufwänden sowie die Verknüpfung weiterer Dateien wie Pläne und Fotos ermöglichen wir eine 4D-, 5D- beziehungsweise X-dimensionale Erweiterung der 3D-Umgebung. Obwohl die technische Umsetzung sehr kompliziert ist, lässt sich unsere Software einfach bedienen: durch das Klicken auf jedes einzelne Bauteil, beispielsweise eine Wand, werden alle hierfür notwendigen Arbeitsschritte mit den entsprechenden Materialmengen, vorgesehenen Kosten und den geplanten Arbeitsstunden aufgelistet. Der Nutzer kann per Drag & Drop innerhalb von Sekunden eine To-Do-Liste für die Baustelle erstellen und diese mit Nachunternehmern teilen. Für die Projektleitung, Geschäftsfeldleitung, Bauherren sowie für andere Stakeholder, die größtenteils nicht auf der Baustelle sind, können wir Informationen wie beispielsweise den Baufortschritt durch individuelle Ansichten oder Reports übersichtlich aufbereiten.

3. Ihr setzt zur Überwachung von Bauprojekten auch Künstliche Intelligenz und Drohnen ein. Welche Vorteile und neuen Erkenntnisse bietet diese moderne Herangehensweise?

Den Einsatz von Drohnen haben wir als Proof of Concept schon mehrfach für die Erstellung eines 3D-Modells der Baustelle verwendet. Der Hintergedanke ist dabei, dass wir das BIM-Model, also der digitale Zwilling des Bauobjektes, automatisiert mit dem Baustellen-3D-Modell, welches mittels Pointcloud erstellt wird, abgleichen können. Aufgrund unseres Fokus auf den Rohbau können wir so recht einfach den Baufortschritt erfassen, beziehungsweise mit dem ohnehin in SPECTER erfassten Fortschritt über die Wochenplanung der Baustelle abgleichen. Damit einhergehend kann so auch die Foto-Dokumenation der Baustellle größtenteils automatisch erfolgen. In der Zukunft sind eine Reihe weiterer Use-Cases denkbar, unter anderem auch das Materialtracking mittels Computervision.

Künstliche Intelligenz spielt für uns mittelfristig noch eine deutlich wichtigere Rolle. Unsere Vision besteht darin, die Prozesse auf der Baustelle vollständig abzubilden und Optimierungspotentiale aufzuzeigen. Derzeit sind 33 Prozent aller Aktivitäten auf der Baustelle „Waste“, also Verschwendung im Sinne nicht wertstiftender Aktivitäten im Kontext der LEAN-Philosophie. Hierzu zählen beispielsweise Stillzeiten, die Suche nach und der Transport von Materialien sowie Umbauten als Resultat von Fehlern. Die mögliche Effizienzsteigerung in dem 144 Milliarden Euro großen deutschen Bauhauptgewerbe sind somit immens und wir reden hier nur von Deutschland, wobei die Probleme und Datengrundlagen weltweit nahezu identisch sind. Deswegen sammeln wir schon heute mit jeder Anwendung unserer Software auf der Baustelle enorm wertvolle Prozess-Daten, um gemeinsam mit den Baufirmen Prozesse zu verschlanken und zu optimieren.

4. Auf welche Resonanz ist eure Idee und euer Start-up in der Geschäftswelt und in der Baubranche bisher gestoßen? Betretet ihr mit eurem Konzept nicht einen weitgehend unerschlossenen Markt?

Als wir uns im Sommer des letzten Jahres die Bauindustrie zum ersten Mal genauer angeschaut haben, waren wir uns ehrlicherweise überhaupt nicht darüber im Klaren, was für eine Relevanz, Reichweite und Aufmerksamkeit das Bauwesen derzeit genießt. Die ConstructionTech-Szene wird gerne mit der Situation der FinTech-Industrie von vor etwa zehn Jahren verglichen und gewinnt vor allem seit Corona stark an Bedeutung. Für uns zeigt sich das neben einem hohen Interesse seitens der Investoren vor allem durch Erfolge auf Start-up-Wettbewerben und einer Vielzahl an Förderprogrammen. Doch auch die Bauindustrie selbst scheint derzeit in Aufbruchsstimmung zu kommen und auf der Suche nach geeigneten Lösungen für eine datengetriebene Bauausführung zu sein. Gerade mit unserem Fokus auf Daten, welche wir im Hintergrund durch die Nutzung der Software sammeln, können wir viele Interessenten für uns gewinnen.

Am wichtigsten ist für uns jedoch die Resonanz der Baustelle selber. Wir investieren unfassbar viel Zeit in die gemeinsame Weiterentwicklung der Software mit ihren Nutzern und sind derzeit zweimal pro Woche und Projekt auf Baustellen. Durch diese Nutzer-Zentriertheit und das Validieren von Funktionen über verschiedene Baufirmen mit unterschiedlichen Digitalisierungsständen hinweg können wir sicherstellen, dass unsere Produktentwicklung maximal effektiv ist. Deshalb konnten wir schnell den Punkt erreichen, an dem der Nutzer die Vorteile unserer Software genießen kann und sind mittlerweile so weit, dass Bauleitung und Poliere auch für Folgeprojekte unsere Software wünschen.

5. Inwiefern haben eure Erfahrungen an der WHU – Otto Beisheim School of Management euren Mut zur Gründung eines Start-ups beeinflusst und wie kam eure Kooperation mit den anderen Gründern der RWTH Aachen zustande?

Niklas, Emanuel und ich kommen aus Unternehmer-Familien und wurden somit schon sehr früh in unserem Leben mit dem Thema Entrepreneurship konfrontiert. Allerdings haben unsere Eltern und Großeltern natürlich eine ganz andere Form des Unternehmertums praktiziert, als dies heutzutage für Start-ups üblich ist. Doch selbst mit diesen familiären Hintergründen können wir sehr sicher sagen, dass wir ohne das Studium an der WHU vermutlich nicht SPECTER Automation gegründet hätten. Der Gründer-Spirit, selbst in den frühen Bachelor-Semestern, das einzigartige Start-up-Netzwerk an Alumni und die Förderung durch den neuen WHU – Summer Accelerator haben die richtigen Voraussetzungen geschaffen, um unternehmerisch aktiv zu werden.

Unser Gründerteam wird durch Max und Moritz, beide Alumni der RWTH Aachen, komplettiert. Max und ich kennen uns schon aus dem Kindergarten – wir beide kommen aus einem kleinen Vorort von Aachen und kennen uns schon über 20 Jahre. Als wir im Sommer 2020 auf einer Party im Freundeskreis über Start-ups sprachen, konnten wir allerdings noch nicht ahnen, dass wir weniger als eineinhalb Jahre später eine Pre-Seed Finanzierungs-Runde abschließen und in mehreren Pilotprojekten mit verschiedensten Baufirmen unsere Software testen würden.

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