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04.05.2022

Für erfolgreiche Transformation braucht man integre Rebellen

Warum manche Grenzen auch zum Wohle des Unternehmens nicht überschritten werden sollten

-Expertenmeinung-

04. Mai 2022

Wie weit dürfen Unternehmerinnen und Unternehmer gehen, um das eigene Unternehmen nach vorne zu bringen oder ihm einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen? Und wie erreicht man erfolgreiche Transformation, ohne dabei den eigenen Wertekompass aus den Augen zu verlieren? Zur Beantwortung dieser und weiterer Fragen hat WHU-Knowledge-Redakteur Nicolas Vogt ein Interview mit Prof. Dr. Miriam Müthel, Inhaberin des Lehrstuhls für Organizational Behavior an der WHU – Otto Beisheim School of Management, geführt. Darin erklärt sie, warum auch Rebellen ihren Anstand nicht vernachlässigen sollten.

Frau Prof. Dr. Müthel, Sie sagen, dass Transformation integre Rebellen braucht. Was sind Rebellen mit Integrität?

Rebellen mit Integrität sind mutige Vordenker, die bestehende Prozesse, Strukturen und alte Wahrheiten in Frage stellen, um neue Wege für das Unternehmen zu gehen, ohne jedoch moralische oder juristische Grenzen zu überschreiten.

Was verstehen Sie unter moralischen und juristischen Grenzen?

Jede Handlung besteht aus drei Perspektiven: der eigennützigen, der moralischen und der juristischen Perspektive. Die eigennützige Perspektive bezieht sich auf die unternehmerischen Ziele, wie z.B. ob durch ein bestimmtes Handeln der Marktanteil eines neuen Produktes erhöht werden kann. Die moralische Perspektive beleuchtet die Frage, ob das Handeln im Einklang mit den eigenen Werten und denen des Unternehmens steht, also ob es richtig es, das zu tun. Die juristische Perspektive wiederum stellt die Frage, ob das Handeln legal ist, also im Rahmen der gültigen Gesetze erfolgen kann.

Worauf kommt es bei der Transformation von Unternehmen an und was sind die Risiken?

Bei Transformation geht es vor allem um die Geschwindigkeit des Wandels, denn nur die Schnellsten werden durch die Transformation profitieren. Die Schnelligkeit der Transformation ist somit die Zielgröße unternehmerischen Handelns, d.h. der Eigennutz. Zugleich stellt sie die Versuchung dar, moralische und juristische Grenzen zu überschreiten, denn viele Handlungsweisen, die einem Unternehmen dabei helfen, noch schneller zu agieren sind illegal oder unmoralisch. Wenn man sich nur auf den Eigennutz konzentriert, kann man sich daher schneller als andere bewegen, geht damit aber auch höhere Risiken ein, verklagt zu werden und/oder sich die Reputation zu ruinieren.

Welche konkreten Beispiele gibt es für die Überschreitung dieser Grenzen und was waren die Konsequenzen?

Um seinen Marktanteil kurzfristig zu erhöhen, hat Uber z.B. eine geheime Software namens „Greyball“ installiert, die es dem Unternehmen ermöglicht hat, in Städten zu operieren, in denen die Nutzung von Uber gesetzlich verboten war. Dies war möglich, weil Uber basierend auf Social Media Daten und Kreditkarteninformationen Beamt:innen der Strafverfolgung und Polizist:innen identifizieren konnte. Diese erhielten dann Absagen vom Anbieter oder eine falsche Uber App-Version, so dass sie kein Uber buchen konnten. Das Verhalten war illegal, endete jedoch in einer späteren Beilegung des Rechtsstreits. Dieses Vorgehen trug jedoch dazu bei, den Marktanteil von Uber massiv zu erhöhen.

Im Kampf um Marktanteile geht es auch darum, sich gegen die Konkurrenz durchzusetzen. Uber ging dabei mit maximaler Aggressivität vor und buchte unter anderem mehr als 5.000 Fahrten beim Konkurrenten Lyft, die alle in letzter Sekunde wieder storniert wurden. Fairer Wettbewerb geht anders. Uber hat an dieser und an vielen anderen Stelle gezeigt, dass allgemeine gesellschaftliche Werte wie Ehrlichkeit, Fairness und Respekt keine Bedeutung für das Unternehmen haben. Das Unternehmen kannte keine moralischen Grenzen und feierte sich auch noch dafür. Moralische Grenzen definieren bestimmte Verhaltensweisen, die für ein Unternehmen nicht in Frage kommen – ganz gleich wie hoch der mögliche Eigennutz ist. Manche Dinge tut man nicht, weil sie falsch sind. Nie. Die damalige Unternehmenskultur bei Uber führte dazu, dass nicht nur die Konkurrenten unfair behandelt wurden, sondern auch die eigenen Mitarbeiter. Rassismus und Sexismus waren an der Tagesordnung, denn wenn Unternehmen kontinuierlich moralische Grenzen überschreiten, wird dies Teil einer toxischen Unternehmenskultur. Travis Kalanick, der Gründer von Uber, wurde lange Zeit genau dafür gefeiert. 2017, nach einem medialen Aufschrei über einen Blogpost einer ehemaligen Mitarbeiterin zum Umgang mit Frauen im Unternehmen, musste er dann endlich gehen. Die kontinuierliche Anreihung von Skandalen, Untersuchungen und Verurteilungen war zu einer Belastung für das Unternehmen geworden.

Was machen integre Rebellen anders als Travis Kalanick?

Integre Rebellen haben einen klaren individuellen Wertekompass. Sie sind vollkommen transparent und formulieren glasklar, welche Verhaltensweisen für sie persönlich nicht in Frage kommen. Zugleich sind sie offen dafür, mit anderen Mitgliedern ihres Unternehmens darüber zu diskutieren, welche Grenzen die gemeinsamen Werte des Unternehmens vorgeben und wie diese eingehalten werden können. Was richtig und was falsch ist, ist nicht immer einfach zu beantworten. Gleichzeitig sind Unternehmen mehr denn je dazu aufgefordert, Antworten auf moralische Herausforderungen, wie z.B. den Krieg in der Ukraine zu finden. Wenn die moralischen Grenzen des Unternehmens definiert wurden, handeln integre Rebellen konsequent, d.h., sollten diese Grenzen überschritten werden, legitimieren sie Fehlverhalten im Nachhinein nicht, sondern bestrafen es.

Zugleich bewegen sich integre Rebellen jedoch mutig, offen und neugierig innerhalb dieser Grenzen. Dabei suchen sie gemeinsam mit internen und externen Partnern des Unternehmens nach neuen Wegen. Wenn sie dabei Grenzen in Frage stellen, so tun sie dies offen und setzen sich transparent mit diesen auseinander, legen ihre Argumente dar und setzen auf deren Kraft, anstatt Grenzen nach Gutdünken und selbstherrlich aus den Angeln zu heben.

Integre Rebellen glauben an die Kraft werteorientierter Führung für die Transformation. Sie treten daher offen für ihre Überzeugungen ein. Gleichzeitig erhöhen sie sich nicht über andere, sondern arbeiten im Team, um ihre Unternehmen in die Zukunft zu führen.

 

Interviewpartnerin

Prof. Dr. Miriam Müthel

Prof. Dr. Miriam Müthel ist Inhaberin des Lehrstuhls für Organizational Behavior an der WHU – Otto Beisheim School of Management. Von 2014-2016 war Prof. Müthel zudem Network Fellow am Safra Center for Ethics der Harvard Universität, sowie Visiting Scholar am Minda de Gunzburg Center for European Studies der Harvard Universität im akademischen Jahr 2016/2017. Ihre Forschungsarbeit adressiert die Schnittstelle von Führung, Ethik und internationalem Management. Sie arbeitet u. a. zu Reaktionsstrategien von Unternehmen auf Fehlverhalten, den Umgang mit eigenen Fehlern, sowie der Förderung positiver Fehlerkulturen. Prof. Müthel unterrichtet die Fächer Unternehmensethik, ethische Führung und Organizational Behavior im BSc-, MSc- und MBA-Programm der WHU. Sie unterrichtet zudem den Kurs „Wie man eine positive Fehlerkultur schafft“ im Executive-Teaching-Programm der WHU.

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