WHU
09.03.2021

Gut gemeint ist nicht gleich gut gemacht

Warum Unternehmen mit unbeabsichtigten Folgen ihrer nachhaltigen Lieferketten offener umgehen sollten

Lutz Kaufmann / Craig R. Carter / David J. Ketchen / Charlotte Both - 09. März 2021

Tipps für Praktiker

 

 

Unternehmen sind also gut beraten, auch die Nachhaltigkeit ihrer Lieferketten sicherzustellen und eine Strategie dafür auszuarbeiten (Sustainable Supply Chain Management  oder SSCM). Grundsätzlich sind Maßnahmen, die die Umwelt entlasten oder bessere Arbeitsbedingungen schaffen, positiv zu werten und werden in dieser Konnotation auch von der Öffentlichkeit wahrgenommen. Denn aufgrund der Komplexität und der Reichweite der SSCM-Maßnahmen sind unbeabsichtigte Konsequenzen unmöglich in vollem Umfang abzusehen. Wenn Unternehmen also zunehmend in nachhaltige Lieferketten investieren, bergen diese auch immer die Gefahr von Nebenwirkungen.

Sustainable Supply Chain Management – ein zweischneidiges Schwert

Daraus ergibt sich für Unternehmen allerdings ein Dilemma: Einerseits müssen sie ihre Strategie des nachhaltigen Lieferkettenmanagements öffentlich kommunizieren, um die Erwartungen ihrer Kunden zu erfüllen. Andererseits stellen sie sich auf diese Weise mit Teilen ihrer Lieferkette, die sie selbst nicht in allen Bereichen kontrollieren können, noch stärker unter Beobachtung. Von Forschungsseite hat sich Prof. Dr. Lutz Kaufmann von der WHU – Otto Beisheim School of Management zusammen mit seinen Kollegen Prof. Dr. Craig Carter von der Arizona State University und Prof. Dr. David Ketchen Jr. von der Auburn University in Alabama dem Thema angenommen. Zudem ist am Lehrstuhl von Lutz Kaufmann eine Bachelor thesis dazu von Charlotte Both entstanden. Sie ist für diese Arbeit mit dem In Praxi Outstanding Thesis Award ausgezeichnet worden. In ihren Analysen kommen die Forscher zu dem einhelligen Ergebnis: Manager sollten offenlegen, wenn es unbeabsichtigte Konsequenzen ihres nachhaltigen Lieferkettenmanagements gibt. Nur dann wird ihre SSCM-Strategie auch glaubwürdig sein.

Einen Ausgleich zu schaffen, ist wichtig

Wenn Unternehmen und ebenso deren (Sub-)Lieferanten in Sachen Nachhaltigkeit unter die Lupe genommen werden, geht es immer um das Spannungsfeld zwischen Ökonomie, Ökologie und sozialen Fragen – die „triple bottom line“. Es muss ein Ausgleich geschaffen werden zwischen der wirtschaftlichen Rentabilität, dem Umweltschutz und den Sozialstandards für Mitarbeiter. Das alleinige Setzen auf Gewinnmaximierung wird dem Unternehmen mittel- und langfristig mehr schaden als nützen. Denn das Management muss bei allen guten Absichten immer auch die Wirtschaftlichkeit des Gesamtunternehmens und die Arbeitsplatzsicherheit seiner Mitarbeiter im Auge behalten.

Unbeabsichtigte Konsequenzen müssen nicht schlecht sein

Wenn eine SSCM-Strategie unbeabsichtigte Folgen hat, ist zunächst offen, ob diese positiv oder negativ sind. Als positives Beispiel für unbeabsichtigte Konsequenzen kann eine Firma gelten, die im Zuge des SSCM die Bedingungen für ihre Teeplantagenarbeiter in Paraguay verbessern wollte. Wegen des nur saisonalen Anbaus der Pflanzen kam es über das Jahr verteilt zu großen Einkommensschwankungen und einer daraus resultierenden schlechten Gesundheitsversorgung. Nachdem das Problem erkannt war, suchte das Management nach Lösungen: In einem Pilotprojekt für Nachhaltigkeit wurden mehr als einhundert Familien unter den Arbeitern mit Bienenstöcken ausgestattet, um die Einkommensschwankungen durch die ganzjährige Honigproduktion auszugleichen. Was nach Anlaufen des Projekts erreicht wurde, war ein großer Erfolg: Nicht nur konnte in der Region die Landflucht gestoppt und für die Menschen eine bessere Lebensgrundlage geschaffen werden, die Arbeiter standen dadurch auch der Lieferkette langfristiger zur Verfügung, und 30 Prozent der unterstützten Menschen schafften durch die Initiative den Sprung aus der Armut heraus.

Geht es um nachteilige unbeabsichtigte Konsequenzen, sind die Firmen meistens schweigsam. Reflexartig versuchen sie, die Auswirkungen zu kaschieren, um sich nicht der Gefahr negativer Berichterstattung auszusetzen. So hat sich ein Produzent tierischer und pflanzlicher Proteine selbst dazu verpflichtet, seinen ökologischen Fußabdruck und damit auch seinen Wasserverbrauch bis 2025 um satte 50 Prozent zu senken. Wasser wurde gespeichert, wiederaufbereitet, und es wurde verstärkt Regenwasser eingesetzt, um nachhaltiger zu wirtschaften. Die Einsparungen waren zwar beachtlich, jedoch wurde bald deutlich, dass das Projekt an Grenzen stieß – und die lagen deutlich unter den geplanten 50 Prozent an Einsparungen. Wollte das Unternehmen an dem alten Ziel festhalten, hätte dies Auswirkungen auf die wasserintensive Reinigung und die Hygienestandards an den Produktionsstätten in den Ursprungsländern gehabt. Die konsequente Umsetzung eines nachhaltigen Lieferkettenmanagements hätte damit die Sicherheit der Produkte gefährdet – eine Konsequenz, die ebenso unbeabsichtigt wie untragbar gewesen wäre.

Mehr Offenheit ist angezeigt

Eine Maßnahme, die nicht ausschließlich die beabsichtigten Konsequenzen für das nachhaltige Lieferkettenmanagement hat, muss noch keine Katastrophe sein. Denn andere, positive Effekte können publik gemacht werden, und das Unternehmen findet möglicherweise Nachahmer. Dass das Unternehmen überhaupt eine Nachhaltigkeitsstrategie hat, bleibt prinzipiell begrüßenswert.

Die Forscher plädieren in diesem Zusammenhang für deutlich mehr Offenheit in der Unternehmenskommunikation. Sie schlagen unter anderem die Einrichtung einer zentralen Stelle vor, bei der Manager – öffentlich oder anonym – unbeabsichtigte und oftmals unausweichliche Konsequenzen ihres nachhaltigen Lieferkettenmanagements melden können. Auch sollten die verschiedenen Stakeholder der Unternehmen dazu ermutigt werden, Nebenwirkungen, die sie beobachten, offen anzusprechen. Eine Debattenkultur über negative Nebenwirkungen anstelle von Vertuschung würde zu einem konstruktiveren Umgang mit den Problemen führen und würde für andere Initiativen einen Lerneffekt haben.

Die Überprüfung der SSCM-Initiative – ein Marathon, kein Sprint

Der offenere Umgang mit unbeabsichtigten Konsequenzen würde schließlich auch zu mehr Glaubwürdigkeit der Unternehmen führen. Bislang schreiben sich Unternehmen gerne die Nachhaltigkeit ihres Lieferkettenmanagements auf die Fahnen und unterschlagen gleichzeitig dessen unerwünschte Nebenwirkungen. Schnell geraten sie dadurch in den Verdacht des Greenwashings und verwässern damit die an sich positiven Resultate ihres nachhaltigen Lieferkettenmanagements.

Manager sollten nach Ansicht der Supply-Chain-Management-Experten nach Implementierung ihrer Maßnahme sogar gezielt nach unbeabsichtigten Konsequenzen suchen und diese standardmäßig evaluieren – ein Prozess, der allerdings Zeit braucht. An dieser Stelle ist ein Umdenken nötig, denn bislang besteht die Tendenz, sich bei Entscheidungen am kurzfristigen Erfolg zu orientieren. Dabei kann sich die langfristige Zusammenführung von Nachhaltigkeit und Supply Chain Management auch wirtschaftlich für die Unternehmen lohnen. Dazu gilt es allerdings, den Prozess konstruktiv zu begleiten und fortlaufend neu zu bewerten.

Tipps für Praktiker

  • Bedenken Sie, dass das negative Image eines Lieferanten auf Ihr Unternehmen zurückfällt, das den Auftrag erteilt hat! Halten Sie daher Ihre Lieferanten dazu an, Umweltschutz und Sozialstandards ernst zu nehmen.
  • Niemand kann alle unbeabsichtigten Konsequenzen eines nachhaltigen Lieferkettenmanagements absehen. Gehen Sie offen mit dieser Tatsache um, kommunizieren Sie Nebenwirkungen und ermuntern Sie auch Ihre Stakeholder dazu, das zu tun. Positive wie negative Lehren aus den Initiativen nützen Ihnen und anderen.
  • Stellen Sie Ihr nachhaltiges Lieferkettenmanagement nicht als perfekt dar! Das rückt ihr Unternehmen in die Nähe des Greenwashings und macht Sie unglaubwürdig.
  • Evaluieren Sie nicht nur die positiven Effekte Ihres nachhaltigen Lieferkettenmanagements langfristig, sondern auch seine negativen! Sie werden wichtige Erkenntnisse daraus ziehen, und das wird Ihrem Unternehmen auf Dauer helfen.

Literaturverweise und Methodik

  • Carter, C./Kaufmann, L./Ketchen, D. (2020): Expect the unexpected: toward a theory of the unintended consequences of sustainable supply chain management, in: International Journal of Operations & Production Management, Vol. 40 No. 12, pp. 1857-1871. https://doi.org/10.1108/IJOPM-05-2020-0326
  • Both, C. (2020): Sustainability’s Unintended Consequences (Bachelor Thesis, unveröffentlicht), Vallendar, 2020.

Co-Autoren

Prof. Dr. Lutz Kaufmann

Lutz Kaufmann ist Experte für Geschäftsverhandlungen an der WHU – Otto Beisheim School of Management. Seine Arbeiten konzentrieren sich auf die empirische Erforschung von B2B-Verhandlungen und Beschaffungsstrategien. Die WHU zählt im Feld Supply Chain Management seit Jahren zu den zehn besten Forschungsinstitutionen der Welt.

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Prof. Dr. Craig R. Carter

Craig R. Carter ist Professor für Supply Chain Management an der Arizona State University. Seine Arbeiten konzentrieren sich auf nachhaltiges SCM und die Entscheidungsforschung in Beschaffungskontexten. Er ist einer der weltweit führenden empirischen Forscher im Feld SCM.

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Prof. Dr. David J. Ketchen Jr.

David J. Ketchen Jr. (Dave) ist Harbert Eminent Scholar und Professor für Management an der Auburn University, Alabama. Seine Arbeiten konzentrieren sich auf Strategisches Management, Entrepreneurship und SCM. Er gehört zu den 10 weltweit meist-zitiertesten Autoren im Feld Strategie.

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Charlotte Both


Charlotte Both graduierte als BSc 2020 Studentin von der WHU und setzt Ihr Studium nun mit einem CEMS Master’s in International Management an der Nova School of Business and Economics fort. Ihre Bachelor Thesis über „Sustainability’s Unintended Consequences“ schrieb sie in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Lutz Kaufmann und wurde mit dem In Praxi Outstanding Thesis Award 2020 ausgezeichnet.

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