WHU
22.10.2021

Neue Wege zu mehr Effizienz im Flugverkehr

Künstliche Verzögerungen und Umleitungen von Flügen könnten durch neue Flugrouten-Angebote bald der Vergangenheit angehören

Jan-Rasmus Künnen / Arne K. Strauss - 22. Oktober 2021

Tipps für Praktiker

Die Flugsicherung gewährleistet die Sicherheit von Flügen, indem sie sicherstellt, dass der Abstand zwischen den einzelnen Flugrouten so groß ist, dass Kollisionen ausgeschlossen werden können. Damit das gelingt, müssen Flüge teilweise umgeleitet oder künstlich verzögert werden. So waren im Jahr 2017 etwa 3,6 Prozent aller Flüge von solchen Verspätungen betroffen, was Verspätungskosten in Höhe von etwa 550 Millionen Euro nach sich zog. Dies mag überraschend erscheinen, da die Nachfrage nach den Diensten der Flugsicherung nur in 7 Prozent der Zeit die Kapazitätsgrenze überstieg. Andererseits lag die Auslastung der Flugsektoren, also der Anteil an Flügen, die sich zu einer bestimmten Zeit in einem Sektor aufgehalten haben, im Verhältnis zur maximal erlaubten Kapazität dieses Sektors, zur Hälfte unter 60 Prozent. Dadurch blieben in der Vergangenheit erhebliche Luftraumkapazitäten ungenutzt.

Eine der Ursachen für diese vermeidbaren Kosten ist, dass in Europa die Luftraumkapazitäten nicht zentral koordiniert werden. Nach Empfehlung einer Gruppe hochrangiger Experten, der sogenannten Wise Persons Group, gelte es, die Rolle des zentralen europäischen Netzmanagers bei Umleitungsentscheidungen zu stärken und "wo immer möglich, auf einen marktorientierten Ansatz zu setzen".

In einer wissenschaftlichen Simulationsstudie wurde nun untersucht, inwieweit dies durch ein neues Koordinationsmodell in Zukunft besser gewährleistet werden könnte: So könnten die Fluggesellschaften für jeden geplanten Flug ein Bündel potenzieller Flugrouten vom Netzmanager kaufen. Dieser würde ihnen dann kurzfristig eine dieser Routen zuweisen. Der Preis eines solchen Bündels hinge davon ab, wieviel Spielraum die Fluggesellschaft bereit ist, dem Netzmanager zu gewähren: Je genauer sie wüsste, wann sie auf welcher Route fliegen wird, desto höher wäre der Preis. Das übergeordnete Ziel des Netzmanagers bestünde darin, die Gesamtkosten für Umleitungen und Verspätungen zu senken, was letztlich auch den Fluggästen zugutekäme, die die Kosten indirekt mit ihrem Flugticket mittragen.

Die Anwendung dieses neuen Konzepts hat in der an der WHU durchgeführten Simulation erstaunlich gute Ergebnisse geliefert. Die Studie deutet darauf hin, dass die Verwendung solch flexibler Flugrouten-Produkte in Kombination mit einer dynamischen Preisgestaltung zu Kostensenkungen führen könnte, die fast so hoch wäre als würde ein zentraler Netzmanager völlig autonom über die Flugrouten aller Flüge entscheiden. Dies wäre aus Kostensicht zwar ideal, fände aber in der Praxis keine Akzeptanz seitens der Fluggesellschaften.

Somit scheint das vorgeschlagene Konzept einen hervorragenden Kompromiss darzustellen: Die Fluggesellschaften könnten frei zwischen verschiedenen Flugrouten-Bündeln zu unterschiedlichen Preisen wählen. Gleichzeitig hätte der Netzmanager mit der Gestaltung und Abrechnung der Flugrouten-Bündel die zentrale Kontrolle.

Tipps für Praktiker

  • Ungleichgewichte zwischen Nachfrage und Kapazitäten sind auch außerhalb des Logistik-Bereichs allgegenwärtig. Um diese zu reduzieren, sollten Sie als Entscheidungsträger entweder die Kapazitäten in Übereinstimmung mit der antizipierten Nachfrage planen oder die Nachfrage in Übereinstimmung mit den verfügbaren Kapazitäten steuern.
  • Einmal festgelegte Kapazitäten sind eher statisch und können nur über einen längeren Zeitraum hinweg angepasst werden. Für kurzfristige Anpassungen müssen Sie stattdessen auf Maßnahmen zur Nachfragesteuerung zurückgreifen.
  • Denken Sie darüber nach, wie Sie für Ihre Kunden Anreize schaffen können, Ihnen mehr Flexibilität einzuräumen, wenn Sie diese dank zusätzlicher Informationen nutzen können; dies kann sehr wirkungsvoll sein. Die Idee der "flexiblen Produkte" wurde in jüngster Zeit in verschiedenen Bereichen angewandt, z. B. bei Flugtickets, die es der Fluggesellschaft ermöglichen, einen Passagier kurzfristig und ohne Vertragsstrafen auf einen anderen Flug umzubuchen. Dies gilt auch bei Zeit-Slots für die Lieferung von Lebensmitteln nach Hause, die den Kunden kurz vor dem Liefertag flexibel zugewiesen würden.
  • Die dynamische Preisgestaltung ist eine der wirkungsvollsten Möglichkeiten zur Steuerung der Nachfrage und wird in der Luftfahrtbranche seit den 1970er Jahren umfassend eingesetzt. Seien Sie sich jedoch bewusst, dass deren Leistungsfähigkeit davon abhängt, wie gut die Preise die Opportunitätskosten widerspiegeln, die ein Produkt verursacht.

Literaturverweise und Methodik

Die Studie ist Bestandteil des übergeordneten Forschungsprojekts CADENZA, welches von der Europäischen Kommission finanziert wird (Horizon 2020). An dem Projekt wirken zahlreiche Partneruniversitäten, Eurocontrol und Berater aus der Wirtschaft mit.

  • Künnen, J.-R./Strauss, A. (2021): The value of flexible flight-to-route assignments in pre-tactical air traffic management, noch unveröffentlicht.

Co-Autoren

Jan-Rasmus Künnen

Jan-Rasmus Künnen ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Demand Management & Sustainable Transport an der WHU. Sein Forschungsinteresse gilt der Anwendung quantitativer Methoden (Optimierung, Spieltheorie, Modellierung) auf Transport- und Logistikprobleme. In seiner Doktorarbeit beschäftigt er sich mit der Entwicklung mathematischer Modelle zum Ausgleich von Nachfrage und Kapazität im europäischen Luftverkehrsmanagement. Zuvor arbeitete er als Berater bei McKinsey & Company, wo er sich auf die Umgestaltung von Lieferketten und Betriebsabläufen spezialisierte.

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Prof. Dr. Arne K. Strauss

Prof. Dr. Arne K. Strauss ist Inhaber des Lehrstuhls für Demand Management & Sustainable Transport an der WHU – Otto Beisheim School of Management. Er ist spezialisiert auf die Anwendung mathematischer Modelle auf betriebswirtschaftliche Fragestellungen, insbesondere für die Bereiche Nachfragemanagement und Verkehr. Zuvor war er außerordentlicher Professor für Operational Research in der Operations Group der Warwick Business School und Turing Fellow am Alan-Turing-Institute in London. Für seine Forschung wurde er mehrfach ausgezeichnet und ist derzeit Mitglied des Strategic Advisory Teams (Mathematische Wissenschaften) des British Engineering and Physical Sciences Research Council.

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