WHU
29.03.2023

Too-big-to-fail-Problem bleibt ungelöst

Trotz eines einheitlichen Abwicklungsmechanismus für von Insolvenz bedrohte Banken vertrauen Investoren immer noch auf Staatsgarantien

Axel Wieandt / Sascha Hahn  - 29. November 2023

Auf dem Höhepunkt der globalen Finanzkrise, als zahlreiche Regierungen Banken mit Eigenkapitalhilfen und Garantien in bisher nicht gekannten Größenordnungen retten mussten, war sich die internationale Gemeinschaft einig: Nie wieder sollte es so weit kommen. Fest entschlossen, eine solche Krise künftig zu verhindern, ergriffen die Regulatoren nach dem G-20 Treffen in Pittsburgh 2009 deshalb zahlreiche Maßnahmen, um die Widerstandsfähigkeit des globalen Finanzsystems, insbesondere die der Banken, zu stärken.

Ein wesentliches Werkzeug dieses Plans ist die Eliminierung der sogenannten impliziten Staatsgarantien für systemrelevante Banken, die anders ausgedrückt, „too big to fail“ sind – zu groß, um zu scheitern. Die Krux an diesen Garantien: Gläubiger solcher Banken wissen, dass sich die Regierungen den Kollaps dieser Institute nicht erlauben können; und sie wissen, dass diese im Krisenfall bereit sind, die Banken mit Eigenkapitalhilfen und Garantien zu retten. Bei ihrer Anlageentscheidung kalkulieren sie deshalb mit ein, dass die Institute im Falle einer drohenden Zahlungsunfähigkeit von impliziten Staatsgarantien profitieren, welche im Ernstfall auch zu expliziten Staatsgarantien werden können. Für die Banken hat das teils erhebliche Vorteile. Sie kommen auf diese Weise in den Genuss günstiger Refinanzierungskonditionen und können ihr Portfolio auf riskantere Anlagen ausrichten. Läuft alles gut, erhalten die Anleger hohe Gewinne und Ausschüttungen. Falls sich die Risiken materialisieren, können die Aktionäre darauf vertrauen, dass ihr Vermögen bei der Bank durch einen sogenannten Bail-out, eine staatliche Rettung mithilfe von Steuergeldern, geschützt ist.

Um Effekte wie diese zu verhindern, gab es in den vergangenen Jahren zahlreiche Bemühungen, einen geeigneten Abwicklungsmechanismus für Banken zu etablieren. Inzwischen müssen sich Gläubiger und Aktionäre an der Rettung einer in Schieflage geratenen Bank beteiligen. Auch ist 2016 ein einheitlicher europäischer Abwicklungsmechanismus in Kraft getreten. Dennoch kam es seither immer wieder zu Fällen, bei denen Banken von EU-Mitgliedsstaaten vorsorglich rekapitalisiert wurden. Das Problem des „too big to fail“ bleibt demnach weiterhin ungelöst: Im Zweifelsfall dürfen Banken noch immer auf staatliche Unterstützung vertrauen.

Jüngste statistische Analysen für den Zeitraum von 2009 bis 2016 zeigen nun, dass das europäische Abwicklungsregime in den Aktien- und Derivatemärkten keine breite Glaubwürdigkeit besitzt und an den Märkten weiterhin davon ausgegangen wird, dass in Schieflage geratene Banken nicht einfach abgewickelt werden. Die Analyse berechnet die abnormale Rendite von Aktien und Kreditausfallversicherungen (Credit Default Swap Spreads) einzelner Banken im Zeitraum der Implementierung des europäischen Abwicklungsregimes von 2009 bis 2017. Insgesamt wurden 34 regulatorische Maßnahmen für 260 europäische Finanzinstitute mit in die Analyse einbezogen, auch die Unterschiede zwischen einzelnen Bankengruppen wie die der systemrelevanten und nichtsystemrelevanten Institute wurden berücksichtigt.

Die Ergebnisse der Analyse zeigen: Insbesondere die systemrelevanten europäischen Banken profitieren weiterhin von impliziten Staatsgarantien, wie die positiven Reaktionen von Aktienkursen und Credit Default Swap Spreads auf die Einführung des einheitlichen Abwicklungsmechanismus belegen. Für die Banken bestehen weiterhin Fehlanreize, hohe Risiken einzugehen. Der Abwicklungsmechanismus muss deshalb zwingend weiterentwickelt werden. Unabhängig von der EZB und den Nationalstaaten sollte der Mechanismus spezifische Durchgriffsrechte umfassen, um gescheiterte Banken schnell und effektiv abwickeln zu können – ganz im Interesse der europäischen Finanzstabilität.

Der Einheitliche Abwicklungsausschuss (Single Resolution Board oder SRB) in Brüssel, der als oberste Behörde in Europa für die geordnete Abwicklung ausfallender Banken zuständig ist, hat sich 2019/2020 darauf konzentriert, die Abwicklungsfähigkeit von SRB beaufsichtigten Banken zu stärken, einen robusten Abwicklungsrahmen zu fördern und ein wirksames Krisen-Management zu implementieren. Zudem sollte der einheitliche Abwicklungsmechanismus vollständig operationalisiert werden. Während diese Anpassungen die Glaubwürdigkeit des europäischen Bail-in-Systems, also der Gläubigerbeteiligung bei der Sanierung oder Abwicklung eines Kreditinstituts, insgesamt erhöht haben, wurden die staatlichen Beihilfen für Banken jedoch bisher nicht abgeschafft. Vielmehr wurden seither rechtlich spezifische Ausnahmefälle definiert, in denen Banken weiterhin öffentliche Unterstützung erhalten können.

Die Weiterentwicklung der europäischen Bankenunion ist noch lange nicht vollendet. Seit der Vorschlag für einen einheitlichen Einlagensicherungsmechanismus 2015 erstmals gemacht wurde, konnten sich die EU-Mitglieder noch nicht auf eine gemeinsame Lösung einigen. Ein kollektives System zum Schutz der Sparer würde sicherstellen, dass die Einlagensicherung in ganz Europa gut finanziert ist und eine schwache Einlagensicherung keinen zusätzlichen Anreiz für nationale Regierungen schafft, ihre heimischen Banken zu retten.

Zwar wurde seit 2017 die Glaubwürdigkeit des europäischen „Bail-in“-Systems weiterhin gestärkt, staatliche Rettungsaktionen für Banken jedoch wurden nicht gänzlich abgeschafft. Insbesondere vor dem Hintergrund der aktuellen Übernahmen von Silicon Valley Bank und Signature Bank durch die FDIC in den USA, und dem von der Schweizer Regierung orchestrierten Notverkauf der Credit Suisse an die UBS, sowie anhaltenden geopolitischen Herausforderungen, einer sich ändernden globalen Zinslandschaft, erhöhten Inflationsraten und den daraus resultierenden volatileren Kapitalmärkten, könnte die Standhaftigkeit des Europäischen Abwicklungsregimes erneut auf die Probe gestellt werden.

Autoren der Studie

Prof. Dr. Axel Wieandt

Axel Wieandt – vormals CEO/CFO einer DAX-30-Bank, Global Head of Corporate Development, FIG-Banker und McKinsey-Berater – ist ein Senior Financial Services Professional mit dem Fokus auf Banking, Fintech und Finance. Er berät derzeit US-amerikanische und europäische Private-Equity- bzw. Venture-Capital-Fonds sowie Immobilienunternehmen bei deren Investitions- und Wertschöpfungsplanungen. Außerdem ist er in den Aufsichtsräten deutscher Fintech- und Immobilien-Investmentgesellschaften tätig. Axel Wieandt ist seit einiger Zeit selbst Fintech-Investor und hat Lehraufträge an hochrangigen internationalen Hochschulen, wie beispielsweise seit 2005 als Honorarprofessor an der WHU – Otto Beisheim School of Management. Er ist außerdem Autor von über 90 Forschungsarbeiten, Meinungsbeiträgen und Interviews und als Vortragender auf Konferenzen gefragt. Sein Buch "Unfinished Business: Putting European Banks (and Europe) Back on Track" ist 2017 im V&R unipress Verlag erschienen.

Dr. Sascha Hahn

Sascha Hahn ist Senior Finance Professional und berät europäische Finanzinstitute. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Bankmanagement, Finanzstabilität und europäische Bankenregulierung. Hahn hat einen Doktortitel in Betriebswirtschaft von der WHU – Otto Beisheim School of Management, Deutschland, und einen Master of Management von der HHL – Leipzig Graduate School of Management, Deutschland. Er ist ehemaliger Gastwissenschaftler am Finanzinstitut der NYU Leonard N. Stern School of Business.

WHU