WHU
27.01.2021

Wenn der ehemalige Chef zum Hindernis wird

Warum anhaltender Einfluss durch den vorherigen Chef nach der Übergabe eines Familienunternehmens Innovationen hemmen kann

Stephanie Querbach / Miriam Bird / Priscilla Kraft / Nadine Kammerlander - 27. Januar 2021

Tipps für Praktiker

 

Wer ein Familienunternehmen aus den Händen von Vater oder Mutter erhält und fortführt, hat eine ganze Menge Arbeit vor sich. Hinzu kommt der Druck, den Betrieb im Sinne der Familie erfolgreich weiterzuführen. Gut, wenn dann der ehemalige Chef noch etwas mit an Bord bleibt, seine Expertise zur Verfügung stellt und bei Entscheidungen berät. Oder etwa nicht? Neue Untersuchungen deuten in die entgegengesetzte Richtung. Sie zeigen, dass der ehemalige Chef in KMUs schnell zum Innovationshindernis werden kann.

Warum der ehemalige Chef Innovationen verhindert

Jeder ehemalige Chef eines Familienunternehmens möchte das mühevoll aufgebaute Erbe seiner Firma bewahren. Zu den Produkten hat er eine emotionale Beziehung aufgebaut und betont die Tradition des Familienunternehmens. Was vom ehemaligen Chef etwas romantisch als „Tradition“ bezeichnet wird, kann in der Praxis zum großen Hemmnis für notwendige Produktinnovationen werden. Denn die Forschung hat gezeigt: Je länger eine Führungspersönlichkeit an der Spitze einer Firma steht, desto mehr lässt ihre Offenheit für Innovationen nach. Sie vertraut auf bewährte Produkte und Strategien, statt Interesse an neuen Entwicklungen zu zeigen. Dabei sind Neuerungen für den Mittelstand entscheidend, um auf Dauer wettbewerbsfähig zu bleiben und sich wechselnden Marktumfeldern anpassen zu können. Im Umfeld von Familienunternehmen muss berücksichtigt werden, dass Innovationen aufgrund ihrer Eigenheiten, Ressourcen und Ziele anders ablaufen als in nicht nicht-familiengeführten Unternehmen. Die Verzögerung oder Verhinderung wichtiger Produktinnovationen durch ehemalige CEOs lässt sich im Wesentlichen auf drei Faktoren zurückführen.

1. Verbleib in Entscheidungsgremien

Ehemalige Chefs haben häufig Schwierigkeiten damit, sich zurückzuziehen. Auch wenn sie schließlich den Weg für einen Nachfolger frei machen, verbleiben sie oft noch in der Firma und bekleiden beispielsweise einen Posten im Verwaltungsrat oder in einem anderen Entscheidungsgremium. Formell sind sie damit zwar nicht mehr in der Chefposition, informell findet ihr Wort jedoch nach wie vor Gehör – nicht nur bei den Mitarbeitern, die an deren Rolle als Chef gewöhnt sind, sondern auch beim jeweiligen Nachfolger. Ihre manchmal über Jahrzehnte hinweg tragende Rolle hat ihnen Autorität verliehen und lässt sie als legitime Führungspersönlichkeiten auftreten. So können sie auch trotz ihrer geänderten Funktion weiter starken Einfluss ausüben und die aus ihrer Sicht oftmals überflüssigen Innovationen blockieren. Die Gefahr, dass die langjährigen Chefs zu grauen Eminenzen in der Firma werden, ist in vielen Fällen gegeben.

2. Stärke des Einflusses auf die Regelung der Nachfolge

Sollte der ehemalige CEO seinen Nachfolger allein bestimmen können, entsteht bei diesem der Eindruck großer Abhängigkeit. Der neue Chef fühlt sich gegenüber seinem Vorgänger zu Dankbarkeit für dessen Entscheidung verpflichtet und wird daher möglichst oft in seinem Sinne entscheiden und seinen Empfehlungen folgen. Er nimmt den Einfluss des Vorgängers weiterhin deutlich wahr, wodurch der ehemalige Chef implizit neue Vorgehensweisen und Produktinnovationen hemmt. Je größer das Gremium der Entscheider über den Nachfolger im Unternehmen ist, desto mehr verwässert dieser Effekt. Die Eigenverantwortlichkeit des Nachfolgers wird gestärkt. Dem Chef die Regelung der Nachfolge bei der Betriebsübergabe allein zu überlassen, ist daher nicht im Sinne der Zukunftsfähigkeit des Betriebs.

3. Familieninterne oder externe Nachfolge

Die Studie zeigt, dass unterschieden werden muss, ob die Betriebsnachfolge innerhalb der Familie oder mit einem externen Bewerber geregelt wird. Wird der Chefsessel im Unternehmen an die nächste Generation und ein Familienmitglied weitergegeben, ist dies für die Innovationskraft weniger hinderlich. Dem eigenen Nachwuchs wird vom ehemaligen Chef ein Vertrauensvorschuss eingeräumt, sodass diese in ihrer Rolle als Nachfolger freier über Innovationen entscheiden können. Die Familienbande sorgen dafür, dass der Nachfolger als besonders kompetent und vertrauenswürdig eingeschätzt wird, wenn es darum geht, die Firma weiter zu führen. Geplante Produktinnovationen stoßen auf weniger Skepsis.

Anders ist der Fall bei Unternehmensnachfolgern gelagert, die nicht der Familie des ehemaligen Chefs entstammen. Obwohl Nachfolger in diesem Fall meistens auch nach Kriterien der Ähnlichkeit ausgewählt werden, müssen diese sich erst beweisen. Bei externen Nachfolgern macht sich häufig der Eindruck breit, sie müssten ihrem Vorgänger für die Betriebsübergabe und das Vertrauen dankbar sein. Dementsprechend entscheiden sie in seinem Sinne und vernachlässigen ihre Innovationskraft für die Produkte. Der notwendige „frische Wind“ nach einer Betriebsübernahme bleibt aus.

Der Einfluss darf höchstens begrenzt sein

Ob es um den Verbleib im Verwaltungsrat oder die Regelung der Unternehmensnachfolge geht: Der Einfluss des ehemaligen Chefs sollte maximal begrenzt sein, um in Zukunft Produktinnovationen nicht auszubremsen. Je weniger Personen neben dem ehemaligen Chef an Entscheidungen oder Beratungen beteiligt sind, desto stärker wird sein individueller Einfluss. So sollten für den Bereich Produktinnovation Regelungen getroffen werden, die die Mitwirkung des ehemaligen Chefs stark minimieren oder sogar ganz ausschließen. Dennoch können seine Expertise und die tiefen Einblicke in die Arbeitsweise des Familienunternehmens in anderen Bereichen der Firma durchaus weiterhin nützlich sein.

Wie können Innovationen dennoch erfolgreich umgesetzt werden?

Produktinnovationen können insbesondere dann erfolgreich umgesetzt werden, wenn dieses Thema nach der Unternehmensübergabe weitgehend dem Einfluss des ehemaligen Chefs entzogen ist. Der Nachfolger sollte möglichst keine Verbindlichkeit gegenüber den Empfehlungen seines Vorgängers verspüren. Es ist die Aufgabe des Nachfolgers, aktiv zu hinterfragen, an welchen Stellen Produktinnovationen notwendig oder überfällig sind, und diese dann konsequent umzusetzen. Dabei sollten auch Diskussionen oder Konflikte mit dem Vorgänger nicht gescheut werden, wenn es um die Erneuerung der angebotenen Produkte geht.

Tipps für Praktiker

  • Begrenzen Sie die Rolle des ehemaligen Chefs nach der Unternehmensübergabe. Sein Aufgabenfeld sollte klar umrissen sein!
  • Fühlen Sie sich nicht an Ratschläge des Vorgängers gebunden. Hinterfragen Sie als Nachfolger aktiv, an welcher Stelle Produktinnovationen notwendig sind und scheuen Sie mögliche Konflikte nicht!
  • Sorgen Sie dafür, dass der ehemalige Chef im Familienunternehmen seinen Nachfolger nicht allein bestimmt. Je mehr Menschen an der Entscheidung beteiligt sind, desto geringer ist die Abhängigkeit vom Vorgänger!
  • Unterschätzen Sie nicht die Bedeutung von Produktinnovationen für KMU! Sie sorgen dafür, dass das Unternehmen sich auch in einem ändernden Marktumfeld behaupten kann.
  • Greifen Sie bei Fragen rund um die Firma ruhig auf die Expertise des ehemaligen CEOs zurück, jedoch nicht im Bereich Produktinnovation.

Literaturverweis und Methodik

Die Erkenntnisse dieses Artikels sind auf die jüngste Studie von Prof. Dr. Nadine Kammerlander von der WHU – Otto Beisheim School of Management und ihren Co-Autorinnen Prof. Dr. Miriam Bird von der Universität St. Gallen, Juniorprofessorin Dr. Priscilla Kraft und Doktorandin Stephanie Querbach (beide WHU) zurückzuführen:

Untersucht wurde, welche Bedeutung der Verbleib von ehemaligen Chefs in Entscheidungsgremien von Familienunternehmen hat – ein Aspekt, der bisher kaum in der Forschung berücksichtigt wurde. Mehr als 200 familiengeführte KMUs in der Schweiz, die gerade dabei waren eine Unternehmensnachfolge zu vollziehen, haben die Forscherinnen dafür analysiert.

Co-Autorinnen der Studie

Dr. Stephanie Querbach

Dr. Stephanie Querbach ist affiliierte Forscherin des Instituts für Familienunternehmen und Mittelstand der WHU – Otto Beisheim School of Management. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen rund um die Themen nachhaltiges Unternehmertum, Innovation, Nachfolge und Mitarbeiterzufriedenheit in Familienunternehmen.

Prof. Dr. Miriam Bird

Miriam Bird ist seit Juni 2020 Professorin für Entrepreneurship und Family Enterprise an der TUM School of Management, TUM Campus Heilbronn. Als Direktorin leitet sie darüber hinaus das Global Center for Family Enterprise (GCFE). Miriam Bird fokussiert sich in ihrer Forschung auf Themen wie Unternehmensnachfolge, Innovation und Unternehmensstrategie in Familienunternehmen. Insbesondere interessiert sie sich für den sozialen Kontext, in dem Unternehmen eingebettet sind. Ihre Forschung wurde mehrfach international ausgezeichnet und in Medien wie Handelsblatt, Forbes und Harvard Idea Watch diskutiert. Ihre zuletzt eingeworbene Projektförderung zum Thema Unternehmerteams wurde vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) als Exzellenzbeitrag eingestuft.

Juniorprofessorin Dr. Priscilla Kraft

Priscilla Kraft ist Juniorprofessorin für Technologie und Innovationsmanagement an der WHU – Otto Beisheim School of Management. Ihre Forschung konzentriert sich auf den Einfluss kognitiver Eigenschaften von CEOs und Entrepreneuren auf Innovationen und das Verhalten von Unternehmern. Darüber hinaus untersucht sie den Einfluss von Netzwerken auf die Innovationstätigkeit von Unternehmen.

Prof. Dr. Nadine Kammerlander

Nadine Kammerlander ist Inhaberin des Lehrstuhls für Familienunternehmen an der WHU – Otto Beisheim School of Management. Ihr Forschungsinteresse gilt den Themen Innovation, Mitarbeiter und Governance in Familienunternehmen und Family Offices. Ihre wissenschaftlichen Beiträge werden regelmäßig in internationalen Fachzeitschriften veröffentlicht und mit renommierten Forschungspreisen ausgezeichnet.

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