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22.01.2021

Wie EZB-Ankündigungen die Finanzmärkte beeinflussen

Wie Anleger auf dem Markt für 10-jährige Staatsanleihen auf die geldpolitischen Ankündigungen der EZB reagieren

Ralf Fendel - 22. Januar 2021

Tipps für Praktiker

Die Forschung beschäftigt sich derzeit mit der Frage der Wirksamkeit der Anleiheankaufprogramme der Europäischen Zentralbank (EZB). Die Wirkungskanäle sind dabei sehr komplex und die intendierten Auswirkungen auf die ökonomische Aktivität und letztlich die Inflationsrate ergeben sich nur mit starker zeitlicher Verzögerung. Am Beginn dieses sogenannten Transmissionsmechanismus stehen die Auswirkungen auf die Renditen an den Anleihemärkten und hier insbesondere die Märkte für Staatsanleihen. Dabei zeigt sich, dass bereits die bloße Ankündigung von Anleihekäufen Reaktionen der Marktteilnehmer auslöst. Da man davon ausgeht, dass die Reaktionen unmittelbar und ohne Verzögerung auftreten, werden zunehmend Hochfrequenzdaten genutzt, mit denen die Renditen im Minutentakt gemessen werden.

In einer kürzlich publizierten Forschungsarbeit (Fendel und Neugebauer, 2020) wird jedoch gezeigt, dass es auch weiterhin angezeigt ist, eine niedrigere Frequenz – wie etwa Tagesdaten – zu betrachten. Zumindest für einige Anlageklassen ist eine hochfrequente Identifizierung möglicherweise nicht dazu geeignet, da die Marktteilnehmer und damit die Marktpreise einige Zeit benötigen, die geldpolitischen Nachrichten zu verarbeiten. Mittels einer Ereignisstudie werden solche Verzögerungen explizit nachgewiesen. Dazu wurden zunächst wichtige Ankündigungszeitpunkte in Bezug auf die Ankaufprogramme der EZB identifiziert und anschließend deren Auswirkungen auf die täglichen Renditen von 10-jährigen Staatsanleihen für elf Mitgliedsländer des Euroraums analysiert. Die folgende Abbildung zeigt die Renditeentwicklung sowie die wichtigsten Ankündigungstermine jeweiliger Programme.

Verzögerte Effekte

Sofern nicht auf Hochfrequenzdaten, sondern auf Tagesdaten zurückgegriffen wird, verwendet der überwiegende Teil der bisher publizierten Ereignisstudien ein zweitägiges Fenster nach einer entsprechenden Ankündigung (z.B. Altavilla et al., 2015; Szczerbowicz, 2015; Christensen und Krogstrup, 2019). Dieses relativ große Zeitfenster kann jedoch potenziell verzögerte Ankündigungseffekte nicht explizit identifizieren, da unklar ist, ob Reaktionen noch am selben Ankündigungstag (möglicherweise auch durch Hochfrequenzdaten aufgedeckt) oder mit einer Verzögerung erst am Folgetag auftreten, denn beides wird durch das zweitägige Fenster abgedeckt. Im Gegensatz dazu verwenden Fendel und Neugebauer (2020) ein verzögertes eintägiges Ereignisfenster, d.h. es wird explizit getestet inwieweit es nur am am Folgetag einer Ankündigung zu signifikanten Renditeeffekten kommt. Basierend auf diesem verzögerten Zeitfenster lassen sich statistisch signifikante verzögerte Reaktionen der Staatsanleiherenditen einzelner Mitgliedsländer des Euroraums auf Ankündigungen der EZB feststellen. Erst einen Tag nach der Ankündigung ist ein statistisch signifikanter Rückgang der Renditen zu verzeichnen, während am Ankündigungstag selbst keine Auswirkungen messbar sind. In einem weiteren Beitrag wird der verzögerte Effekt zudem für die gesamte Zinsstrukturkurve für Laufzeiten bis zu 30 Jahren bestätigt (Fendel et al. (2020)).

Die verzögerte Reaktion wurde zuvor in der einschlägigen Literatur nicht explizit dokumentiert und sie überrascht, da man oftmals sofortige Reaktionen der Finanzmarktteilnehmer unterstellt, angesichts ihrer Möglichkeiten zur Informationsverarbeitung. Zwei Argumente erklären jedoch den verzögerten Effekt. Erstens ist der Handel mit Staatsanleihen – mehr als andere Wertpapiere – einigen Transaktionshindernissen ausgesetzt. Der Rentenmarkt hat ein relativ größeres Volumen und ist etwa im Vergleich zum Aktienmarkt weniger volatil. Der Handel mit Staatsanleihen ist komplexer, da Fälligkeit, Kuponzahlung und Rating eine Rolle spielen.

Das zweite Argument bezieht sich direkt auf die Geschwindigkeit der Informationsverarbeitung. Institutionelle Anleger wie z.B. Pensionsfonds handeln in der Regel mit Staatsanleihen. Sie haben einen langfristigen strategischen Planungshorizont und werden daher ihr Portfolio nicht sehr schnell (d.h. tagesgleich oder gar in nur wenigen Minuten) anpassen, wenn neue Informationen durch die EZB veröffentlicht werden. Zum einen hindern regulatorische Anforderungen sie daran. Beispielsweise muss eine Geschäftsbank, die Staatsanleihen als Sicherheit hält, vor der Liquidation dieser Position zunächst einen Ersatz finden. Zum anderen dauert der interne Entscheidungsprozess innerhalb eines großen Instituts länger als bei einem kleinen Investment Trust oder einem privaten Einzelinvestor, da solche Entscheidungen häufig in Anlageausschüssen getroffen werden und formelle Sitzungen erfordern. Darüber hinaus werden Staatsanleihen in der Regel durch Händler manuell ‚over the counter‘ auf dem Handelsplatz gehandelt – ganz im Gegensatz zu automatischen Transaktionen an einer zentralen Börse, die durch Computeralgorithmen gesteuert werden. Insgesamt werden die Renditen von Staatsanleihen aufgrund solcher Entscheidungs- und Ausführungsverzögerungen daher weniger schnell auf Nachrichten reagieren als beispielsweise Aktienkurse.

Wechselwirkung von Renditeveränderung und Bonitätsbewertung

In Fendel und Neugebauer (2020) wird ferner gezeigt, dass das Ausmaß der Renditereduzierung vom jeweiligen Eurozonenland (als entsprechender Schuldner der Staatsanleihen) abhängt und in etwa dem bekannten Kern- / Peripheriemuster im Euroraum entspricht. Insgesamt sind die Renditen der Peripherieländer (v.a. Griechenland, Spanien, Italien Portugal) dreimal so stark betroffen wie die Renditen der Kernländer. Die Ankündigungen wirken jedoch für alle Mitgliedsländer des Euroraums in die gleiche Richtung: Ankaufankündigungen der EZB senken die Renditen der Staatsanleihen im Euroraum. Daher ist die beobachtete Verringerung des „Spreads“ (d.h. der Zinsspanne) zwischen den Volkswirtschaften als Reaktion auf Ankündigungen der EZB auf eine stärkere Renditereduktion in den Peripherieländern im Vergleich zu den Kernländern (und hier vor allem Deutschland) zurückzuführen und nicht auf unterschiedliche Richtungen der Renditeänderungen wie oftmals gemutmaßt wird.

Die folgende Abbildung veranschaulicht diese Beziehung. Die jeweils für einzelne Länder bzw. deren Staatsanleihenrenditen geschätzten Reaktionskoeffizienten (für den um einen Tag verzögerten Effekt) sind der Bonitätsbewertung des betreffenden Landes gegenübergestellt. Es zeigt sich ein deutlicher inverser Zusammenhang.

Die Forschungsarbeit zeigt dementsprechend, dass man also Bonitätsratings mit in die Betrachtung der Auswirkung geldpolitischer Ankündigungseffekte verknüpfen kann. Dies wird in der Studie auch durch die Verwendung von sogenannten Interaktionstermen bei den ökonometrischen Schätzungen untermauert.

Tipps für Praktiker

  • Die Studie liefert Hinweise auf um einen ganzen Tag verzögerte Auswirkungen geldpolitischer Ankündigungen auf die Staatsanleiherenditen. Betrachten Sie also nicht nur hochfrequente Daten! Diese können irreführend sein.
  • Betrachten Sie die Auswirkungen der Ankündigungen der EZB-Programme zum Ankauf von Vermögenswerten auf einzelne Mitgliedsländer des Euroraums immer differenziert nach den einzelnen Ländern.
  • Obwohl das Ziel der EZB darin besteht, einen aggregierten europäischen Markt zu bedienen, ist zu berücksichtigen, dass die Kommunikation der EZB möglicherweise unterschiedliche Auswirkungen auf die nationalen Finanzmärkte hat. Das ist für das Verständnis der geldpolitischen Transmissionswege im Euroraum sehr relevant.

Literaturverweis

Co-Autor der Studien

Professor Dr. Ralf Fendel

Prof. Dr. Ralf Fendel ist Experte für Fragen der Geldpolitik und der Geldtheorie an der WHU – Otto Beisheim School of Management. Seine Forschungen sind überwiegend empirisch und beschäftigen sich mit den Auswirkungen der Geldpolitik auf Finanzmärkte bzw. die Volkswirtschaft im Allgemeinen. Darüber hinaus beschäftigt er sich in seinen Forschungsarbeiten mit Fragen der Funktionsweise der Finanzmärkte sowie mit Themen der Europäischen Integration.

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