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08.02.2023

Zu jung, zu weiblich, zu divers

Wieso Vorstände von Familienunternehmen weniger vielfältig sind als die anderer Unternehmen

Khadija Mubarka / Nadine Kammerlander - 08. Februar 2023

Tipps für Praktiker

Je diverser der Vorstand, desto erfolgreicher auch das Unternehmen – so lautet eine gängige wissenschaftliche Erkenntnis. Tatsächlich sind Ideen und Herangehensweisen in Unternehmensvorständen, die in punkto Alter, Geschlecht und Nationalitätdivers aufgestellt sind, häufig vielfältiger und kreativer als in homogen besetzten Vorständen. Insbesondere komplexe Probleme, die ‚out of the box‘-Denken erfordern, können in heterogenen Teams besser gelöst werden. Wie divers die Entscheidungsgremien in Unternehmen sind, ist jedoch – anders als oft vermutet – nicht unbedingt das Resultat einer freien, unabhängigen Unternehmensentscheidung und meritokratischer Beförderungsprozesse. Vielmehr hängt die Vorstandsvielfalt oft stark von der jeweiligen Eigentümerstruktur des Unternehmens ab. Besonders die Vorstandsgremien familiengeführter Unternehmen sind meist demografisch, also in Bezug auf Alter, Geschlecht und Nationalität, weniger divers als solche in Nicht-Familienunternehmen. Doch woran liegt das?

Oberstes Ziel: die Kontrolle der Familie über das Unternehmen sichern

Vor allem eine Besonderheit von Familienunternehmen fördert die Homogenität in Vorständen: Im Gegensatz zu nicht-familiengeführten Unternehmen, bei denen häufig Wachstum und Gewinnmaximierung im Fokus der Unternehmensstrategie stehen, verfolgen Familienunternehmen nicht ausschließlich wirtschaftliche, sondern auch nicht-finanzielle Ziele; Das Konzept des sogenannten sozio-emotionalen Wertes (SEW) setzt sich aus fünf Dimensionen zusammen: der Fähigkeit, familiäre Kontrolle und Einfluss auszuüben, der Identifikation der Familienmitglieder mit ihrem Unternehmen, den sozialen Bindungen des Familienunternehmens, der emotionalen Bindung und Erhaltung der Familiendynastie.

In ihren Entscheidungen und in ihrem Handeln lassen sich Familienunternehmen vor allem von nicht-wirtschaftlichen Zielen leiten, welche in engem Zusammenhang mit den Eigentumsverhältnissen stehen. Diese Faktoren beeinflussen die Besetzung der Vorstände. Vorderstes Ziel von Familienunternehmen ist es, die Kontrolle der Familie über das Unternehmen zu sichern – ein Grund, aus dem sie Diversität in Vorständen eher ablehnen. Zusammen mit ‚Gleichgesinnten‘ haben die Familieneigentümer das Gefühl, mehr Kontrolle zu behalten. Denn sie wissen und verstehen genau, wie diese, ähnlichen, Mitentscheider ‚ticken‘ und wie sie beeinflusst werden können. Der Gedanke, dass diese Art der Kontrolle in volatilen und unsicheren Zeiten eine Scheinkontrolle sein könnte, kommt ihnen häufig nicht.

Weiter zeigt sich in Familienunternehmen: Mitarbeitende, die aus der Unternehmerfamilie stammen, erreichen oft schneller eine höhere Position als externe Mitarbeitende. Aber auch sind die Aufstiegschancen für Mitarbeitende, die die Überzeugungen der Familienmitglieder teilen und sich mit der Geschichte, den Traditionen sowie den (oft konservativen) Werten des Unternehmens identifizieren, besser als für andere. Dies führt dazu, dass jüngere sowie ausländische Talente oft weniger Chancen im Familienunternehmen erhalten. Die hohe Eigentumskonzentration und der Zugang zu familiärem Kapital lassen Familienunternehmen auch Druck von außen, Vorstände diverser zu besetzen, erfolgreich abwehren.

Generell verfolgen Familienunternehmen das Ziel, langfristige und loyale Beziehungen zu ihren Managern und insbesondere Vorständen aufzubauen; sie legen dabei Wert auf Stabilität, und wählen daher eher ältere Mitglieder für Vorstandspositionen aus – vor allem solche, die die Familiennormen und -ziele teilen und die Gründungswerte bewahren möchten. Auch weibliche (Nachwuchs-)führungskräfte haben oft einen schwierigen Stand – zumindest wenn sie nicht aus der Unternehmerfamilie kommen. Auf Grund der oft (noch) fehlenden langjährigen Expertise in fachlich-technischen Gebieten werden sie oft nicht als Kandidatinnen wahrgenommen.

Insgesamt zeigt sich, dass in Familienunternehmen derzeit sowohl ein Wahrnehmungs- als auch ein Umsetzungsproblem bezüglich Diversität existiert. Zudem erscheint es für sie auf den ersten Blick oft sogar wirtschaftlich attraktiver, sich nicht darum zu bemühen, Stellen divers zu besetzen: Denn Mitarbeitende aus einem bekannten Umfeld zu rekrutieren, ist kostengünstiger als sie extern anzuwerben. Indem Familienunternehmen Diversity-Management-Maßnahmen vernachlässigen, schaffen sie sich einen – allerdings kurzfristigen – Kostenvorteil. Manager in Familienunternehmen befördern aus diesem Grund eher Mitarbeitende, die schon länger in der Firma sind. Diese Praxis stärkt zudem die Identifikation mit dem Unternehmen, da Mitarbeitende hierdurch eine größere Loyalität zur Firma und den Familienmitgliedern entwickeln.

Mangelnde Akzeptanz für heterogen besetzte Führungspositionen

Die vielfach empirisch erwiesenen Vorteile von Diversität können von Unternehmen nur genutzt werden, wenn die Kultur und generell die Ausgangslage im Unternehmen dies zulässt. Dazu gehört beispielsweise, dass alle Vorstandmitglieder in der Lage sind, in diversen Teams zu arbeiten und aufkommende Herausforderung in der Kommunikation mit allen Gremiumsmitgliedern überwinden zu können. In Familienunternehmen ist diese Voraussetzung oftmals nicht gegeben, was sich besonders am Beispiel der Geschlechtervielfalt zeigt: Zwar haben aktuelle Studien ergeben, dass inzwischen häufiger weibliche Familienmitglieder in Vorständen von Familienunternehmen vertreten sind, jedoch ist geschlechterspezifische Diskriminierung immer noch ein großes Thema. Frauen in Führungspositionen von Familienunternehmen werden hier vielfach nicht entsprechend ihrer Rolle wahrgenommen. Zudem bleiben sie oft „unsichtbar“. Dadurch sinkt in Folge die Motivation von Frauen, sich bei Familienunternehmen allgemein oder innerhalb eines Familienunternehmens auf eine höhere Position zu bewerben.

Familienunternehmen bieten aktuell leider oft noch kein konstruktives Umfeld, in dem Diversität zum Vorteil aller gelebt wird. Obwohl speziell diese Unternehmensart von spezifisch weiblichen Fertigkeiten wie beispielsweise einer anderen Informationsverarbeitung, Kreativität sowie dem Umgang mit vielfältigen, sich teils widersprechenden Zielen besonders profitieren könnte, zeichnen sich diese Unternehmen durch eine geringere Geschlechtervielfalt aus als Unternehmen, die nicht in Familienhand liegen.

Vielfalt als Bedrohung – oder als Chance?

Familienunternehmen sind aus den oben genannten Gründen insgesamt wesentlich zurückhaltender als die Konkurrenz, wenn es darum geht, Vorstände divers zu besetzen. Vielfalt erscheint ihnen oft als nicht wichtig oder gar als Bedrohung für das Unternehmen. Zwar legen die Studienergebnisse nahe, dass ein hohes Maß an demografischer Vielfalt in Vorständen die Leistung von Familienunternehmen prinzipiell steigert. Allerdings zeigen die empirischen Ergebnisse auch, dass die Leistung von Familienunternehmen aktuell noch nicht stärker von divers aufgestellten Vorständen profitiert als die Leistung von nicht-familiengeführten Unternehmen. Familienunternehmen haben es in den letzten Jahren häufig versäumt, ihr Unternehmen auf diverse Teams und damit auf die Arbeitswelt der Zukunft vorzubereiten.

Tipps für Praktiker

  • Diversität hat viele Dimensionen – Geschlecht, Alter, Herkunft, Mindset. Je mehr dieser Dimensionen Sie berücksichtigen, desto besser für Ihr Unternehmen.
  • Nehmen Sie Vielfalt in Vorständen nicht als Bedrohung, sondern als Chance für das Unternehmen wahr – nur so können die Herausforderungen der Zukunft gelöst werden.
  • Diversität ist kein Selbstläufer. Damit Diversität ihre positiven Aspekte entfalten kann, braucht es eine entsprechende Diskussions- und Entscheidungskultur. Achten Sie insbesondere in Familienunternehmen darauf, solch ein konstruktives Umfeld zu schaffen.

Literaturverweis und Methodik

Für die Studie „A closer look at diversity and performance in family firms“ wurde eine Stichprobe von 341 deutschen Unternehmen ausgewählt, darunter sowohl öffentliche als auch private Unternehmen, bei denen Daten aus den Jahren 2014 bis 2018 erhoben wurden. Bei 36 Prozent der Unternehmen handelte es sich dabei um Familienunternehmen und bei den übrigen 64 Prozent um Unternehmen, die nicht in der Hand von Familien waren. Im Durchschnitt hatten 12 Prozent der Unternehmen weibliche Mitglieder in ihren Aufsichtsräten, 20 Prozent der Vorstandsmitglieder hatten im Durchschnitt keine deutsche Staatsbürgerschaft.

Co-Autorinnen der Studie

Dr. Khadija Mubarka

Khadija Mubarka hat als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Familienunternehmen gearbeitet und hat 2022 im Themenfeld Familienunternehmen an der WHU promoviert.

Prof. Dr. Nadine Kammerlander

Nadine Kammerlander ist Inhaberin des Lehrstuhls für Familienunternehmen an der WHU – Otto Beisheim School of Management. Ihr Forschungsinteresse gilt den Themen Innovation, Mitarbeitende und Governance in Familienunternehmen und Family Offices. Ihre wissenschaftlichen Beiträge werden regelmäßig in internationalen Fachzeitschriften veröffentlicht und mit renommierten Forschungspreisen ausgezeichnet.

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